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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 19

»Rudi war immer Internationalist«

Interview mit Gretchen Dutschke

Obwohl viel über Rudi Dutschke gesagt und geschrieben wurde, scheint es, als ob er ähnlich wie Rosa Luxemburg von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wird. Was zeichnete deiner Ansicht nach das Denken und Handeln von Rudi Dutschke aus?
In erster Linie seine Methode die Gesellschaft zu analysieren. Er versuchte die gesellschaftlichen Tendenzen, aber auch die Widersprüche herauszuarbeiten und wahrte dabei immer einen internationalistischen Blick. Die eigene politische Strategie wiederum leitete er aus den Widersprüchen ab.
Eine politische Strategie machte für ihn nur Sinn, wenn sie das Ziel hatte, die Mehrheit der Bevölkerung für die eigenen politischen Vorstellungen zu gewinnen. Das bedeutete aber auch, dass man selbst die Widersprüche in der Auseinandersetzung mit der Bevölkerung erfahren muss, um von dort aus dann weiterzugehen. Viele behaupten, Rudi Dutschke hätte eine Utopie von dem gehabt, was am Ende stehen müsse, doch das stimmt nicht. Der Prozess war für ihn entscheidend.

Was hat ihn von anderen führenden Repräsentanten der 68er unterschieden?
Damals dachten fast alle, dass die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt den Weg weisen könnten. Viele dachten, dass man vielleicht direkt in die Dritte Welt gehen solle, um die Befreiungsbewegungen zu unterstützen. Als jedoch die APO in der BRD entstand, lautete die Frage, wie man den Widerstand international verbinden kann. Dutschke und Krahl bspw. waren sich hinsichtlich dieser Überlegungen sehr nahe. Da Krahl aber bereits 1970 bei einem Autounfall starb, weiß ich nicht, was dieser angesichts der Niederlagen der Befreiungsbewegung in den 70er Jahren gedacht hätte.

Waren andere neidisch auf Rudi Dutschke? Gab es Konkurrenz?
Personen, die am stärksten hervorgetreten sind, wie Christian Semmler oder Bernd Rabehl, waren durchaus neidisch. Krahl weniger, aber er war ja in Frankfurt. Dieter Kuntzelmann und Rabehl wiederum machten auch Stimmung gegen mich, sie meinten, ich würde Rudi von der revolutionären Arbeit abhalten.

Rudi Dutschke gilt vielen nicht als Theoretiker, sondern als Aktivist, Charismatiker. Stimmst du damit überein?
Damals wurde viel theoretisch gearbeitet, z.B. im Hinblick auf die Frankfurter Schule. Das mit der ökonomischen Theorie war schwierig. Es gab ja Versuche, die aber alle nicht gelungen sind. Ich bin mir jedoch nicht so sicher, ob in den 60er Jahren überhaupt die Theorie weiterentwickelt wurde. Eher schon wurde die Theorie der Frankfurter Schule aus den 30er Jahren an die Verhältnisse der 60er Jahre angepasst. Etwas grundlegend Neues gab es nicht. Rudis Leistung war es sicherlich, die Theorien der 30er Jahren benutzbar, relevant zu machen.
Das Problem neuer theoretischer Grundlagen stellt sich ja auch heute wieder.

Ist das Bild von Rudi Dutschke in Deutschland gerecht?
Seine Rolle hinsichtlich der Entwicklung von Nachkriegsdeutschland wird mittlerweile als positiv dargestellt. Die Zeit, in der behauptet wurde, dass der Terrorismus das direkte Produkt der 68er ist, gehört wohl der Vergangenheit an.

Ist diese Darstellung nicht aber auch ein Problem? Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, wurde behauptet, jetzt seien die 68er an die Macht gelangt.?
Zu behaupten, die 68er hätten nichts bewirkt, wäre absoluter Unsinn. Die Forderung nach Demokratisierung und die antiautoritäre Ideen waren ein wichtiger Teil der 68er-Bewegung. Ich denke, das hatte eine große Wirkung. Warum soll man denn überhaupt was tun, wenn es sowieso nichts bringt. Deutschland ist wirklich anders geworden. Sicherlich sind die augenblicklichen Entwicklungen beunruhigend. Nun, man kann Gesellschaften immer ändern, auch zum negativen.

Als gebürtige US-Amerikanerin, die in den USA lebt — wie siehst du die politische Entwicklung in den USA? Wie könnte Widerstand aussehen?

In der heutigen weltpolitischen Situation geht es doch nur um Gewalt und Militär. Ich setze auf gewaltlosen Widerstand. Die Gesellschaft in den USA ist schon so kontrolliert, dass Gruppen, die sich in erster Linie auf Gewalt stützen, sehr schnell zerschlagen werden können. In den Diskussionen in den USA über die Frage, wie man eine Opposition gegen die Einschränkung der Bürgerrechte aufbauen kann, weiß ich von keinem Pro-Gewalt-Standpunkt.
Die Politik der US-Regierung muss auch von außen bekämpft werden. Der Protest sollte sich jedoch auch gegen die eigene Regierung wenden, in dem Sinne, dass man sagt: »Geht nicht diesen Weg der USA.« Die Bewegung von Seattle wurde bis zum 11.9.2001 immer stärker, wir bekamen immer mehr Aufmerksamkeit. Danach war dann plötzlich alles weg. Die Bewegung hat sich zwar erholt, doch hat sie noch lange nicht die alte Stärke wiedererlangt. Es scheint, dass Bush trotz der Lügen über den Irak fest im Sattel sitzt. Ich denke, dass die Propagandamaschine der Regierung gut läuft, und es ist zu fürchten, dass in den USA wenig passiert, bevor nicht massiver Druck von außen entsteht.
Jetzt, wo es scheint, dass Deutschland bereit ist, Truppen in den Irak zu schicken, um die amerikanische Besetzung des Landes und die Erweiterung des US-Weltimperiums mit toten Deutschen und deutschen Steuergeldern zu bezahlen, ist es an der Zeit, dass die noch gar nicht so ausgeprägte europäische Bewegung mit Leben erfüllt wird. Ihr müsst gegen diesen Schwachsinn demonstrieren und die rot-grüne Regierung in die Zange nehmen. Die Bush-Regierung will mit allen Mitteln ihr Weltreich erweitern, zulasten der Demokratie, der Menschenrechte und des Wohlergehens aller Menschen. Deutschland ist in den Augen der neokonservativen Bush-Administration ein Feind. Ja, Leute, es steht so im Wall Street Journal und nicht in irgendeinem »verrückten« Linksblatt. Die Bush-Regierung will durch die Forderung nach europäischen Truppen in den Irak Europa nur schwächen, damit das US-Weltreich ungehindert seine Pläne, wie sie im Project for the New American Century formuliert sind, realisieren kann.

Die Tagebücher von Rudi Dutschke wurden jüngst veröffentlicht. Was ist neues zu erfahren?
Es gibt einiges Negative über bestimmte Leute von damals nachzulesen, was man so noch nicht weiß. Leider mussten wir, um juristische Probleme zu vermeiden, einiges auslassen, wofür wir keinen Beweis hatten. Man wird durch die Tagebücher einen besseren Blick auf Rudi als Person bekommen, besonders in Bezug darauf, was er gefühlt hat. Natürlich steht auch viel über seine politischen Überlegungen drin. Wer seine Texte gelesen hat, für den wird es zwar keine Überraschungen geben, in den Tagebüchern sind seine politischen Überlegungen jedoch meist einfacher nachzuvollziehen, als das z.B. in seiner Schrift über Lenin möglich ist. Man sollte mit den Tagebüchern anfangen, um dann mit den theoretischen Texten weiterzumachen.

Vor kurzem hat Bernd Rabehl ein kleines Büchlein über Rudi Dutschke geschrieben. Darin wird behauptet, er wäre so etwas wie ein Nationalrevolutionär gewesen. Was hältst du davon?
Das ist absoluter Unsinn. Der Hauptpunkt der 68er war die antiautoritäre Bewegung. Rudi war immer Internationalist, Deutschland daher immer nur ein Teil des Ganzen. Es ging ihm sehr stark um die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, und nicht um die Idee, Deutschland von den Besatzungsmächten zu befreien. Er war nicht gegen die USA, weil sie die BRD besetzt hielten, sondern weil sie gegen Vietnam Krieg führten. Rudi hat natürlich über die Frage der Besatzung nachgedacht, dies war jedoch nicht Ausgangspunkt seiner Politik. Sein Ausgangspunkt war eine Politik für die Befreiung der Menschen, für die Überwindung ihrer Entfremdung. Die Erniedrigten und Beleidigten sollten ihr Leben selbst bestimmen können. Er ging von einem humanistischen Gesichtspunkt aus, und nicht von einem nationalistischen.

Wie hätte sich deiner Ansicht nach Rudi Dutschke 1989 der Frage der Vereinigung von BRD und DDR konkret gestellt?
Er wollte die Vereinigung in einer sozialistischen Gesellschaft. Nun waren 1989 dafür die Bedingungen nicht vorhanden. Er hätte sich sicherlich gefragt, ob unter diesen Umständen eine Vereinigung für die Menschen vielleicht besser wäre. Dann wäre er sicherlich dafür gewesen. Er wäre jedoch ganz sicher dagegen gewesen, dass die ehemalige DDR ausgeplündert wird. Er hätte in einem vereinigten Deutschland für eine eigenständige sozialistische Perspektive gekämpft.

Das Interview mit Gretchen Dutschke, der Witwe von Rudi Dutschke, führte Sascha Kimpel für die SoZ.



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