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Dass Rudi Dutschke mehr als das wilde bewegte Leben war, das man ihm gerne zuschreibt, dass er eine Fragment gebliebene
politische Theorie hinterlassen hat, dessen Erbe weitgehend unaufgearbeitet ist, gerade auch unter Linken, ist gelegentlich festgestellt worden. Geändert
hat sich bisher daran nicht viel.
Einen der wichtigsten Beiträge zur politischen Theorie Dutschkes hat dessen ehemaliger
Freund, Genosse und Konkurrent Bernd Rabehl vor über 15 Jahren veröffentlicht.* Rabehl zeigt in seinem kleinen Aufsatz auf, dass Dutschkes
revolutionsstrategische Überlegungen nicht zu trennen waren von jener spezifisch deutschen Nachkriegssituation, die durch die Spaltung in zwei sich
feindlich gegenüber stehende Blöcke und die Überdeterminierung der linken Politik durch eben diese Blocklogik gekennzeichnet war.
Dutschke ging es, so Rabehl damals, um eine Revolutionsstrategie, »die sich löst von dem Machtanspruch der Großmächte, aus der
ideologischen Frontstellung von Freund und Feind und trotzdem festhält an sozialen Grundlagen der Revolution und damit einem nationalistischen
Aufbruch widerspricht«.
Fast 20 Jahre danach hat Rabehl dasselbe Thema zu einem kleinen Büchlein**
über Dutschke verarbeitet, doch man staunt (wenn man die politische Entwicklung Rabehls im letzten Jahrzehnt nicht mitbekommen hat), wie bestimmte
Akzentverschiebungen in der Analyse zu einem so grundsätzlich anderen Ansatz sich entwickelt haben.
Man merkt dem Buch das Schicksal seines Autors an. Rabehl gehört zu jenen politisch-
theoretisch talentierten Köpfen der 68er Bewegung, die auch in den 70er Jahren die Ideen einer Neuen Linken kräftig hochhielten, jedoch mit all
ihrer Weisheit am Aufstieg der neuen sozialen Bewegungen scheiterten und seit Beginn der 80er Jahre weitgehend marginalisiert und enttäuscht waren.
Mehr schlecht als recht sich eine zumindest akademische Nische erobernd, geriet er in den 90ern ins Räderwerk der neuesten linken Wendungen und
wurde ob seiner mangelnden Berührungsängste auch mit partiell rechten Milieus zum »Opfer« politischer Correctness-Kampagnen. Das
ist ihm offensichtlich nicht gut bekommen. Denn nicht nur, dass er nun unverhohlen in einem, juristisch vorsichtig gesprochen, auffallend rechtslastigen Verlag
publiziert, auch was er zu sagen hat, ist ausgesprochen reaktionär und lässt all jene intellektuelle Schärfe vermissen, die ihn einst noch
ausgezeichnet hat.
Rabehls Trick ist einfach und durchaus spiegelbildlich zu jenem, den bestimmte Linke
anwenden, wenn sie Dutschke einen Nationalisten schimpfen. Aus der Tatsache, dass es bei Dutschke eine nationale Frage als Nebengleis der sozialen gab,
machen sie die Behauptung, dieses Nebengleis wäre das Hauptgleis gewesen und er selbst nur Sozialist, weil er Nationalrevolutionär gewesen sei.
Bereits Dutschke selbst hat sich in den 70ern gegen eine solche Interpretation heftig gewehrt und seine Witwe Gretchen Dutschke-Klotz hat diese Mythen
sowohl in einem ausführlichen Aufsatz wie auch in ihrer Dutschke-Biografie überzeugend widerlegt.
Kein Zufall ist es deswegen, wenn jener Rabehl, der schon in den 60ern eine intime Feindschaft
zu Gretchen Dutschke pflegte, sie nun unter jedem Niveau abzukanzeln versucht. Allein, weil sie Amerikanerin sei, wäre sie nicht in der Lage, den
nationalrevolutionären Ansatz ihres Mannes zu verstehen. Auf demselben »Niveau« stehen im gesamten Werk die in den deutschen
Sprachalltag eingegangen Anglizismen dezent im Kursivsatz.
Großspurig will Rabehl Dutschkes Denken wiederbeleben, doch er merkt nichteinmal,
wie er dazu beiträgt, Dutschke erstklassig zu beerdigen. Denn wenn es Dutschke wirklich zuvörderst um die nationale Frage ging, so sollte eine
heutige Veröffentlichung zum Thema mindestens darauf hinweisen, dass diese Frage seit 13 Jahren historisch erledigt ist.
Dass Dutschkes Position natürlich eine andere war, das lässt sich nun auch anhand
der soeben erschienenen, und von seiner Witwe herausgegebenen Tagebücher*** aufzeigen (siehe die Seiten 139 und 334). Wenn auch Dutschke-Kenner
wenig neues aus den Tagebüchern erfahren werden, deutlich wird einmal mehr, wie er um eine zeitgenössische Revolutionsstrategie für die
Linke gerungen hat und wie sehr er sich dabei von Feinden verfolgt sah.
Die Herausgabe der Tagebücher ihres Mannes ist sicherlich ein publizistisches Verdienst
ersten Ranges. Leider wird die Freude dadurch stark gemindert, dass die redaktionelle Kommentierung nur als katastrophal zu betrachten ist. Auftauchende
Personen und Bücher werden nur willkürlich und nicht selten falsch aufgeschlüsselt, historische Begebenheiten werden nicht erläutert
und politisch-theoretische Anspielungen nicht erklärt. Somit wurde eine wichtige Chance vertan, Dutschkes Theorien einem breiteren Publikum
nahezubringen.
Nicht nur deswegen ist fraglich, ob die Tagebücher, wie sie im (nebenstehenden) SoZ-
Interview sagt, eine ideale Einführung ins Werk Dutschkes sind. An einer Lektüre der zur Veröffentlichung bestimmten Dutschke-Texte geht
kein Weg vorbei, doch gerade die sind schon lange nicht mehr greifbar.
Christoph Jünke
*Bernd Rabehl, »Dutschke als Denker seiner Zeit«, in: Bernhard Kuschey (Hrsg.), Linke Spuren. Marxismus seit den 60er Jahren, Wien 1987,
S.7186.
**Bernd Rabehl, Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland, Dresden: Edition Antaios 2002, 132 Seiten, 12 Euro.
***Rudi Dutschke, Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebücher 19631979, herausgegeben von Gretchen Dutschke, Köln:
Kiepenheuer & Witsch 2003, 430 Seiten, 22,90 Euro.
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