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Auf einem bundesweiten Aktionstreffen von Anti-Hartz-Initiativen, der Gewerkschaftslinken, Erwerbslosengruppen und fast
aller linken Organisationen wurde am 16.August in Frankfurt beschlossen, am 1.November eine bundesweite Demonstration gegen die Agenda 2010 und den mit
ihr verbundenen Sozialabbau durchzuführen. Verschiedene Aktionstage im Vorfeld, vor allem der 20.Oktober, sollen mit lokalen Aktivitäten auf
Berlin einstimmen.
An dem Treffen nahmen etwa 150 Vertreter aus allen Teilen Deutschlands teil. Sie waren sich
in der generellen Einschätzung der Lage schnell einig: Die von der SPD-Grüne-Regierung verfolgte Politik stellt mittlerweile den
größten Angriff auf sozialstaatliche Errungenschaften seit Bestehen der BRD dar. Zentrales Ziel dabei ist, die Löhne flächendeckend zu
senken. Dazu soll der schon bestehende Niedriglohnsektor ausgebaut und sämtliche Lohnersatzzahlungen und Sozialleistungen, vom Arbeitslosengeld,
über die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe bis hin zu den Renten und den gesetzlichen Leistungen der Krankenkassen, drastisch gesenkt werden. Im
Interesse aller Betroffenen muss deshalb eine breite Widerstandsfront gegen die Angriffe der Unternehmer und der Regierung aufgebaut werden.
Unterschiedliche Einschätzungen gab es hingegen darüber, wie weit das politische
Bewusstsein über die Sozialabbaupolitik in den Köpfen der Menschen präsent und wie weit die Widerstandsbereitschaft entwickelt ist. War
die eher bescheidene Mobilisierung des DGB im Mai gegen die Agenda 2010 nur ein Ergebnis von Abwieglerei, Unfähigkeit und Unwillen der
Gewerkschaftsspitze, oder herrscht in vielen Betrieben, Gewerkschaftsstrukturen und in den Stadtteilen nicht doch eine lähmende Ohnmacht vor, an der
die linken Aktiven sich erst noch abarbeiten müssen?
Für die zahlreich zur Konferenz mobilisierten und notorisch zur Übertreibung
neigenden Anhänger von Linksruck, SAV, MLPD und einige andere war die Sache klar: Nur eine zentrale Demonstration könne den vorhandenen
Widerstandswilllen aufgreifen und die Zaudernden aufrütteln. Sie machten sich nicht viel Mühe, über schlagkräftige Alternativen auf
der Grundlage von dezentralen Aktionen nachzudenken. Der schwache, teilweise bizarre Auftritt von führenden Vertretern von Attac, die mit billigen
Standardfloskeln von der Notwendigkeit der Verbreiterung des Widerstands gegen eine Demonstration in Berlin und im November sprachen, machte es der
anderen Seite sehr leicht, eine große Mehrheit für die zentrale Aktion am 1.11. zu gewinnen.
Das Problem ist damit allerdings nicht gelöst. Wenn es im November nicht gelingt, den
Widerstand real zu verbreitern was nicht unbedingt und schon gar nicht nur durch eine hohe Teilnehmerzahl ausgedrückt wird dann wird
der demobilisierende Effekt nach der Demonstration noch größer sein als nach den frustrierenden Dampfablassaktionen des DGB vom Mai. Nicht
nur der offiziellen Gewerkschaftsführung, die durch ihre Unterwürfigkeit gegenüber »ihrer« Regierung und »ihrer
SPD« gelähmt ist und jeden Schritt fünfmal prüft, ob er nicht zu einer unerwünschten Radikalisierung treibt, fehlt es heute an
einer überzeugenden Eskalationsstrategie, sondern auch der mehr oder weniger radikalen Linken.
Die Agenda 2010 entpuppt sich zunehmend als zentraler Angelpunkt dieser Regierung. Wer die
Agenda ablehnt, muss deshalb auch politische Alternativen parat haben und ein Konzept, wie der Kampf darum zu führen ist. Es ist also nicht
demonstratives Re-Agieren gefragt, sondern der Aufbau von wirklichen Strukturen gesellschaftlicher Gegenmacht. Und das ist nun mal eine Arbeit, die in den
Betrieben und Stadtteilen geleistet werden muss. Die mühsame Arbeit auf unterster Ebene, die Ermutigung neuer, millionenfacher Gegenwehr und
unermüdliche Aufklärung an der Basis bleibt der Linken nicht erspart. Die Demonstration in Berlin steht durchaus in Gefahr, zu einer bloßen
Pose zu verkommen. Das darf aber nicht geschehen.
Der trotz Ferien und Sommerhitze erfreulich gute Besuch der Konferenz in Frankfurt, das
relativ breite Vorbereitungskomitee für die Demonstration in Berlin und auch der letztlich beschlossene etwas besonnenere Aufruf sind positive
Ansätze. Sie müssen in den nächsten Tagen und Wochen überall ausgebaut werden, um im November nicht nur übermütig,
sondern aufgrund einer wirklichen Erfahrung zu sagen: Das war erst der Anfang.
Thies Gleiss
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