SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 22

Dialektikf ür Anfänger

»Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.«

Hätten wir nicht unseren Meister Brecht, wer könnte gesellschaftliche Zusammenhänge so treffend in einen Vierzeiler unterbringen, wie hier in der »R-Strophe« aus dem schönen Gedicht »Alfabet«? Auf der einen Seite driften die deutschen Sozialdemokraten unter der glorreichen Führung ihres Generalsekretärs Olaf Scholz bei der Suche nach einem neuen »Gerechtigkeitsbegriff« beinahe schon ins Surreale ab und erschweren jedem Spötter und Spaßvogel das Geschäft nach dem Motto: Wer hat das gesagt: »Wenn wir bei der Gerechtigkeit mehr auf die Teilhabe blicken, dann können wir das deshalb, weil es in Deutschland eine gewaltige Umverteilung von oben nach unten gibt« — Olaf oder Scholz? Auf der selbst verorteten Gegenseite entfalten sich jedoch fast noch prächtigere Sumpfblüten.
In Köln tummelt sich seit einiger Zeit eine Gruppe, die der gedanklichen Enge der »Anti-Deutschen« dadurch entkommen möchte, dass sie sich »Intellektuelle gegen Deutschland« nennt. Doch, um ausnahmsweise mal Nietzsche und seine »Fröhliche Wissenschaft« zu zitieren, ist »der Intellekt bei den allermeisten eine schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist«.
Unsere Kölner Freunde verteilten jedenfalls jüngst ein Flugblatt, mit dem sie gegen eine Demonstration im Kölner Villenviertel Marienburg protestierten und anmerkten, die Teilnehmer würden sich nicht nur in der üblen Zwangsläufigkeit von »Sozialneid« über »raffendes Kapital« bis zu »Antisemitismus als bestimmendes Merkmal eines regressiven Antikapitalismus, auf dem die gesamte Ideologie der Antiglobalisierungsbewegung basiert, von ihrem sozialdemokratischen Flügel … bis zu den militanten Autonomen…« verstricken, sie würden auch »einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Reichtum der einen und der Armut der anderen behaupten«. Doch, so der Breitmaulfrosch zum Storch, die gibt‘s hier gar nicht. Da möchte man schon fast mit dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Nordrhein Westfalen, Peer Steinbrück, kommen, der gerade zum Besten gab, dass die »soziale Gerechtigkeit« gefälligst da aufhören müsse, wo sie den Mittelstand gefährde. Aber schöner noch wird dieses ökonomistische Gebräu der antiintellektuellen Deutschen aus Köln mit einem Vierzeiler eines anderen großen Dichterpaars, Gernhardt und Bernstein, beantwortet: »Die Basis sprach zum Überbau: Du bist ja heut schon wieder blau! Da sprach der Überbau zur Basis: Was is?«
Das Elend der Demonstranten aus Marienburg wäre, so die Antideutschen gegen Intellektuelle, dass sie einen »Kampf um die Masse« führten und damit zwangsläufig zum Anwalt der Deutschen mutierten.
Diesen selbst erfundenen Ultimatismusquark haben wir schon des Öfteren aufs Korn genommen. Lustig ist allerdings, dass die Kölner Intellektuellen-Burschenschaft, jedenfalls drei junge Recken von ihnen, zum ersten Mal die politische Bühne Kölns mit einer ganz besonderen Suche nach Massennähe betraten: Als mehrere tausend Leute gegen den Krieg der US-Armee im Irak demonstrierten, standen sie geschützt durch zwei Reihen deutscher Bullizisten vor dem Amerikahaus: einer schwenkte eine US-Flagge, einer die Israels und der dritte verteilte eine Glückwunschbotschaft an den US-Präsidenten für seinen tapferen Sieg über den Islamismus. In dem besagten Flugblatt gegen die Marienburger Demonstration beschweren sie sich nun, dass diese Nähe zu deutschen Repressionsorganen und US- amerikanischem Volk noch nicht gewürdigt worden wäre. Wir tun dies mit dem, was Brecht unter dem Buchstaben »Z« in seinem Alfabet-Gedicht dazu sagt: »Zwei Knaben stiegen auf eine Leiter — der obere war etwas gescheiter. — Der untere war etwas dumm. — Auf einmal fiel die Leiter um.«

Thies Gleiss

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