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Der jüngste IG-Metall-Tag hat einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Zum einen ist es der nun bestätigten neuen IG-Metall-
Führung um Jürgen Peters nach dem gescheiterten Streik im Osten offenbar gelungen, den von den Unternehmern, der herrschenden Politik und der
Medienindustrie sowie selbst von Teilen der IG Metall angeführten umfassenden Angriff auf eine der letzten Bastionen antineoliberaler Politik in der BRD
abzuwehren. Auf der anderen Seite hat der Ablauf des IG-Metall-Tages erneut deutlich gemacht, dass wir es bei der IG Metall mit einem ausgesprochen
autoritären und bürokratisch organisierten Apparat der deutschen Arbeiterbewegung zu tun haben, dessen Eigeninteressen einen konsequenten und
offensiven Kampf gegen den herrschenden Neoliberalismus immer wieder verhindert.
Das konnte auch nicht anders sein angesichts der zwiespältigen, differenzierten inneren Struktur der IG Metall. Grob gesprochen hat ein rechter
Flügel 30% bekommen die, die Peters nicht gewählt haben und entsprechend ein linker Flügel die, die Huber nicht
gewählt haben ebenfalls 30%. Der Rest bildet sozusagen »die Mitte«. Es gab diese verschiedenen Strömungen, die heute als
»Traditionalisten« und »Modernisierer« etikettiert werden, immer in der IG Metall. Neu war, dass nun in der IG Metall ein offener
Führungskampf stattfand, der von außen unterstützt wurde: von den Organisationen des Kapitals, den Medien und dem Bundeskanzleramt.
Positiv ist auf jeden Fall, dass der Versuch, die IG Metall auf den Kurs einer »vernünftigen Gewerkschaft« etwa nach dem Vorbild
der IG BCE zu bringen, zunächst einmal gescheitert ist. Allerdings bedeutet das noch keine Erneuerung von unten. Das war ein
bürokratischer Kampf (bei dem der alte Vorsitzende eine besonders aktive und unglückliche Rolle spielte) mit allen bürokratischen
Raffinessen!
Die Offensive des Neoliberalismus ist nicht nur ungebrochen, sondern stärker denn je. Ihre ideologische Hegemonie ist tief in Teile der
Arbeiterbewegung eingesickert. Die Gewerkschaften befinden sich in einer strukturellen Defensive.
Ich denke, dass man hier, was die Offensive des Neoliberalismus angeht, sehr differenzieren muss. Der Neoliberalismus als die globale Strategie des
Kapitals in der Epoche seit dem Ende der 70er Jahre, dieser Neoliberalismus ist politisch immer noch in der Offensive (nicht nur in den USA, sondern auch in
der EU). Aber die Widersprüche dieses global-kaptialistischen Herrschaftsprojekts treten immer deutlicher an die Oberfläche und der Widerstand
dagegen hat weltweit zugenommen. Dass der Neoliberalismus weltweit nicht in der Lage ist, die Wachstumsprobleme des globalen Kapitalismus in den Griff zu
bekommen, dass er unfähig ist zur Lösung der sozialen Frage, der Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut, all dies zeigt sich immer deutlicher.
Die besondere Situation, die wir in der Bundesrepublik haben, ist die, dass eine
sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, die ganz knapp die letzten Wahlen gewonnen hat, über die Zuspitzung des Neoliberalismus in der
Wirtschafts- und Sozialpolitik die Wettbewerbsposition des deutschen Kapitalismus in globalen Zusammenhängen verbessern will.
Doch gerade dieser Wettbewerbskorporatismus scheint bei großen Teilen der Bevölkerung, auch in Teilen der Arbeiterbewegung, auf
Zustimmung zu treffen. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Deutschland ein imperialistisch führendes Land ist es gibt hier etwas zu
verteilen, zumindest stärker als in anderen europäischen Ländern.
Natürlich sind dabei der deutsche Imperialismus und die Rolle, die die deutsche Arbeiterbewegung hierbei spielt, ein Strukturproblem. Die Dominanz
der Sozialpartnerschaft innerhalb der Gewerkschaftsbewegung ist nun wirklich nicht neu für die Linke. Linke antikapitalistische, sozialistische Positionen,
auch linksreformistische Positionen, waren in den DGB-Gewerkschaften insgesamt stets Minderheitspositionen, obwohl es Gewerkschaften gab und gibt (z.B. in
Bereichen der IG Metall, früher der IG Medien, jetzt von Ver.di), in denen solche Positionen nicht herausgedrängt waren und sind. Seit den 90er
Jahren haben sich sozialpartnerschaftliche Positionen (moderner formuliert: die Ideologie des »Wettbewerbskorporatismus«) eher noch
verstärkt.
Ein zentrales Merkmal des deutschen Modells ist natürlich das duale System,
insbesondere die starke Position der Gewerkschaften, die mit dem Betriebsverfassungsgesetz und der Rolle der Betriebsräte verbunden ist. Diese tendieren
traditionell stärker dazu, sich auf der Ebene des Unternehmens kooperativ zu verhalten. Die Erhaltung dieser Position, zusammen mit der Verteidigung des
Flächentarifvertrags, ist natürlich einer der zentralen Punkte, die die deutschen Gewerkschaften im eigenen Organisationsinteresse vertreten
zu einer Zeit, in der sie unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit in die Defensive geraten sind.
Zum zweiten verfügen große Teile der Arbeiterklasse in Deutschland nach wie vor
über einen relativ hohen Lebensstandard, wenn auch die Angst vor Arbeitslosigkeit zu einer ständigen disziplinierenden Begleitung
im Alltag geworden ist. Es gibt heute kaum noch Fraktionen der industriellen Arbeiterklasse, die von einem wirklich sicheren Arbeitsplatz ausgehen
können. Solche Erfahrungen fördern einen ständischen Konservatismus auch in den Gewerkschaften. Zum dritten wirkt die Struktur
des politischen Systems: wo sind die politischen Organisationen, die die Arbeiter wirklich aufklären über das, was in der Ökonomie passiert?
Es ist eine Barriere für Linke, dass im Bewusstsein großer Teile der Gewerkschaftsbewegung die neoliberale oder genauer die neoklassische
Argumentation wenn die Wirtschaft schlecht läuft, musst du die Kosten reduzieren und dadurch schaffst du einen neuen Aufschwung so
fest in den Köpfen steckt. Das ist ein Stück ideologischer Hegemonie.
In deinem Sozialismus-Supplement hast du, um die gegenwärtige Offensive des Neoliberalismus zu kennzeichnen, von einem
»Mittelklassefaschismus« gesprochen. Was verstehst du darunter?
Das bezog sich ganz konkret auf einen Artikel in der Zeit, in dem eine angeblich ehemals progressive Rechtsanwältin auf einer ganzen Seite
gefordert hat, dass den Gewerkschaften das Streikrecht entzogen werden muss, weil sie es gegen die Agenda 2010 also gegen das von der Regierung
vertretene »Gemeinwohl« missbrauchen. Diese Argumentation ist natürlich klassisch, das kennen wir von Friedrich Hayek, von
Ludwig von Mises, das war die Argumentation von Pinochet, von Franco und Hitler, als sie die Gewerkschaften ausgeschaltet haben.
Dahinter steckt eine gewisse Einschätzung der treibenden Klassenkräfte in der gegenwärtigen neoliberalen Offensive, jener
neuen Mittelklasse, die, wie du in Anlehnung an Barbara Ehrenreich schreibst, »Angst vor dem Absturz« hat.
Das ist richtig. Die Rolle der Mittelklasse müssten wir in einer zeitgenössischen linken Klassenanalyse wieder stärker
berücksichtigen zumal sie auch in den traditionellen Faschismusanalysen eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Isolation der Gewerkschaften, die
wir gegenwärtig erleben, hat einerseits damit zu tun, dass die politische Linke in der gesamten gegenwärtigen Epoche dramatisch geschwächt
ist. Der andere Punkt ist der, dass der alte Klassenkompromiss des westeuropäischen Wohlfahrtsstaats der Nachkriegszeit aufgrund der objektiven Ursache
der Massenarbeitslosigkeit zerbrochen ist und dass die Mittelklasse, die sich in den 70er Jahren in großen Teilen nach links orientiert hatte, nach rechts
gerückt ist.
Das heißt ganz konkret, dass die Arbeiterbewegung ihre Bündnispartner in der
Verteidigung des Sozialstaats nicht mehr in der Mittelklasse findet. Das sind heute sogar die medialen Angreifer. Der materielle Hintergrund dieses
Positionswechsels ist der, dass sie keinen Sozialstaat mehr mitfinanzieren wollen, dessen Leistungen zunehmend schlechter werden und die sie privat besser und
billiger bekommen.
Es geht also weniger um den alten Faschismus, sondern um das Phänomen, dass es heute vor allem die Grün-Alternativen, also
»Progressive« sind, die die Speerspitze des Neoliberalismus bilden.
Ja, die »faschistische« Forderung nach Entzug des Streikrechts ist etwas, da soll man mich nicht falsch verstehen, das mit dem aktuell
wichtigeren Phänomen der »Angst vor dem Absturz« wenig zu tun hat. Dass in der lohnabhängigen Mittelklasse seit den 70ern eine
Verschiebung stattgefunden hat, dass neoliberale Politik dort mit ihren stärksten Rückhalt findet, während viele in den 70ern linksradikale
oder linksreformistische Positionen vertreten haben, dass ist zunächst einmal nicht faschistisch. Es ist ja gerade die Aufgabe der Linken, im Sinne bspw.
eines Pierre Bourdieu, Allianzen zu bauen zwischen kämpferischen Kernen der Arbeiterklasse und den Intellektuellen, die ihren Kampf auf ihrem Niveau
in den Institutionen führen müssen. Auch wenn wir schwächer geworden sind, müssen wir von links mitwirken an diesen neuen
Allianzen für Kritik und Widerstand. Dass dies nicht unmöglich ist, zeigen natürlich die großen Massenkonferenzen von Porto Alegre
bis Florenz und wird sich hoffentlich wiederholen in St-Denis im Dezember dieses Jahres.
Ein zentrales Theorem dieser neuen »progressiven«, nach rechts gekippten Mittelklasse ist in der Tat die Behauptung, die
Gewerkschaften seien bürokratisch verknöchert und kümmerten sich nur um die Kernbelegschaften, die sog. Arbeiteraristokratie. Der
ideologische Charakter dieser Kampagne ist das eine. Aber ist die Tatsache, dass diese Kampagne zunehmend verfängt, nicht auch ein Zeichen, dass sie
sich auf reale Erfahrungen stützen kann?
Das ist richtig. Die Frage ist nur, ob man da auf die Ratschläge von rechtsgewendeten Leuten hören sollte. Die Schwäche der
Gewerkschaftsbewegung in der großen Umbruchskonstellation vom Fordismus zum Postfordismus oder zum transnationalen Hightechkapitalismus besteht
doch darin, nicht nur in der Bundesrepublik, dass die Gewerkschaften in einigen Bereichen, bspw. in der Automobilindustrie, in der Defensive stark geblieben
sind, dass jedoch die großen Strukturveränderungen in der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse weitgehend an den Gewerkschaften vorbei
gelaufen sind. Insofern ist es für die Gewerkschaften und vor allem die Linke in ihnen eine zentrale Aufgabe, klar zu machen, dass es gilt, neue Schichten,
auch Randschichten, der Arbeiterklasse zu erfassen. Es war ja schon immer ein Merkmal des Kapitalismus, dass er alte Klassenstrukturen auflöst und neue
Formierungsprozesse einleitet, die mit den neuen Spezifika der neuen Technologien, der Globalisierung und des Neoliberalismus ganz eng verbunden sind.
Die Rekonstruktion einer neuen Gewerkschaftsbewegung von unten würde deswegen
voraussetzen, das neue Dienstleistungsproletariat zu erfassen. Man kann Erfahrungen anderer nicht blind kopieren, aber man kann von ihnen lernen, bspw. von
den Erfahrungen der letzten Jahre in den USA, wo das Proletariat überwiegend weiblich und farbig ist.
Die klassenkämpferische Linke in den Gewerkschaften ist marginal und konzeptionslos. Die SPD ist schon lange nicht mehr links, hat nun
aber offensichtlich auch ihren linken Flügel eingebüßt. Die Grünen sind, wir haben es angesprochen, mittlerweile zur Speerspitze des
Neoliberalismus mutiert, und die PDS, lange Zeit der Hoffnungsträger auf der Linken, hat sich soeben offen vom Antikapitalismus verabschiedet. Selbst
ein so vorsichtiger Denker wie du spricht mittlerweile von der Notwendigkeit einer neuen politischen Linken, von »Rifondazione«.
Dabei geht es aber nicht um eine Kopie der italienischen Rifondazione, es geht mir dabei um eine Neubegründung, deren Teil auch Rifondazione
Comunista ist. Die Epoche der letzten beiden Jahrzehnte ist ja nicht nur gekennzeichnet durch die Offensive des Kapitalismus, sondern auch durch eine tiefe
Krise der traditionellen Linken in allen ihren Formen.
Das spezifische der gegenwärtigen Situation ist für mich die Notwendigkeit eines
Lernprozesses und die Notwendigkeit, im globalen Kapitalismus Widerstandspotenziale zu entwickeln, die Lernprozesse in Bewegung setzen und dann zu einer
Neuformierung der Linken führen müssen. Das alles ist aber noch ein europaweites Laboratorium.
Welche Rolle spielen in dieser doch wesentlich programmatisch gefassten Neubegründung die Arbeiterbewegung, speziell die
Gewerkschaftsorganisationen?
Eine Linke, die nicht nur die Verbindung zur Wirklichkeit der Klassengesellschaft und der Rolle der sich natürlich stark verändernden
Arbeiterklasse sucht, die sich nicht darauf bezieht, wird auch keine Perspektive von gesellschaftlichen und politischen Veränderungen entwickeln
können. Der Neoliberalismus kann in einer unmittelbaren Perspektive nur überwunden werden durch die Konstruktion einer Gegenhegemonie
mittels eines alternativen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzepts, das in der gegenwärtigen Situation sicherlich Elemente eines
Linkskeynesianismus enthält.
Eine Linke, die nicht die Veränderung von Produktionsstrukturen, von Arbeit und Leben
auch programmatisch ins Zentrum rückt, wird in meinen Augen keine Zukunftsperspektive haben.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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