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Wir haben die beiden gesehen, in der Tagesschau und als Aufmacher in den Tageszeitungen, erleichtert lachend und stolz mit
dem frisch geschnürten Paket ihrer »Gesundheitsreform«. Auf den ersten Blick jedoch wirken ihre Vorschläge für eine 20
Milliarden Euro schwere Umverteilung wie ein halbherziges Sammelsurium aus Zumutungen, Beschwichtigungen und Erschreckendem.
Dabei lag für Schmidt und Seehofer die Latte recht hoch. Zehn Jahre zuvor hat ein ganz
ähnliches Tandem, Seehofer und Dressler, in einem Pakt von Union und Sozialdemokraten den großen Sprung geschafft, mit dem
»Kompromiss von Lahnstein«. Damals schickten sie die gesetzlichen Krankenkassen in den Konkurrenzkampf um Kunden und Kranke, um
Marktanteile und gute Risiken.
Statt 1225 Krankenkassen konzentrieren sich heute gerade noch 350 auf das Geschäft,
und die Versicherten lassen sich über Internet und Stiftung Warentest zur Billigkasse leiten. Die Stimmung scheint reif für einen weiteren
Systembruch.
Worauf also sind Schmidt und Seehofer so irritierend stolz? Chronisch Misstrauische werden
im drohenden Gesetzespaket erst auf den zweiten Blick fündig.
Erstens: Sie haben einen neuen volkswirtschaftlichen Normalwert gefunden der richtige durchschnittliche Beitragssatz für gesetzlich
versicherte Gesundheit liegt bei 13%. Basta! Das damit Bezahlbare beschränkt nun den Leistungskatalog, »das medizinisch Notwendige« aber
wandert wie bereits »das medizinisch Sinnvolle« in die Altkleidersammlung. Abweichungen vom Normalwert wir kennen das aus der
praktischen Medizin rechtfertigen im Zweifelsfall beharrliche Therapieversuche auch bei fehlendem Leidensdruck. Oberhalb der magischen 13
also außerhalb des gesetzlich versicherten Risikos beginnen zunächst die neuen Eintrittsgelder und die Zu- und Selbstzahlungen. Die
Übergänge zur privat bezahlten Behandlung verwischen, der Gesundheitsmarkt wuchert jenseits dieser Grenze ungehindert weiter. Beim Gang zur
Hausärztin, zur Apotheke oder ins Krankenhaus stets heißt es: »Vergiss die Geldbörse nicht!«
Zweitens: Sie senken die Zahlbeiträge der Arbeitgeber. Deren Lobbyverband BDA hatte gefordert, sie gesetzlich auf 6% der Gehälter
einzufrieren. Mit dem Tabubruch bei der Parität zunächst bei Krankengeld und Zahnprothetik kommen Schmidt und Seehofer
diesem Wunsch recht nahe. Ihr Kunstgriff, Leistungen aus dem gemeinsam finanzierten Katalog zunächst herauszulösen und dann mit der Pflicht
zur privaten Risikovorsorge wieder anzubinden, ist wiederholbar. Damit ist eine weitere Stellschraube gelöst, die schrittweise die indirekten Lohnanteile
senkt von Staats wegen. Die Parität in den Organen der Selbstverwaltung aber, also der hälftige Zugriff der Arbeitgeber auf unsere
Krankenkassen, bleibt trotz dieses Rückzugs unangetastet. Mehr noch!
Drittens: Schmidt und Seehofer lassen die gesetzlichen Kassen nun in den »fairen Wettbewerb« mit den privaten ziehen. Die
Privatkassen hatten, angeschlagen durch die Aktienkrise, in einer beispiellosen Anzeigenkampagne Druck für einen Umstieg auf ihre kapitalgedeckten
Produkte gemacht. Der neue Markt der Zusatzversicherungen für Krankengeld und Zähne verspricht ihnen eine Atempause. Und AOK, Barmer und
Co. werden dort rasch lernen, selbst wie Private zu denken und zu handeln, sich voneinander absetzen und gegenseitig ausstechen. Obendrein
»dürfen« sie bald Einzelverträge mit Ärzten und Kliniken schließen der Weg in eine Medizin der Sonderangebote
ist geöffnet.
Solche Brüche im System der Gesundheitsversorgung beschleunigen den Druck zu
weiteren, noch radikaleren Amputationen.
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