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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 9

Eigentliche Probleme nur angekratzt

Interview mit Feti Özkan

Mit Feti Özkan, dem stellvertretenden IGM-Vertrauenskörperleiter bei der Eisenbahn und Häfen GmbH Duisburg (Thyssen-Krupp- Konzern) und Delegierter beim IGM-Gewerkschaftstag, sprach Hermann Dierkes für die SoZ.

Du warst Delegierter beim vorgezogenen Gewerkschaftstag der IG Metall. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Führungskrise der Gewerkschaft, die über Monate die Republik bewegt hat. Was ist dein Fazit? Ist die Krise gelöst und die IG Metall wieder handlungsfähig?

Die IG Metall war bisher zum Glück immer noch weitgehend handlungsfähig, vor allem auf der betrieblichen Ebene. Das schwache Bild hat sie beim Kampf um entscheidende zentrale Themen abgegeben: beim Kampf für gleiche Wochenarbeitszeit in Ost- und Westdeutschland und beim Widerstand gegen die sozialpolitischen Schweinereien. Gewerkschaftspolitisch gibt es nach meiner Überzeugung auch nach Frankfurt keine Klarheit über die Positionen und das weitere Vorgehen.

Haben sich die rd. 600 Delegierten mit der Vorgehensweise des alten Vorstands abgefunden, ein Personalpaket zu schnüren oder gab es daran auch Kritik? Wie bewertest du das Ergebnis für den Darmstädter Bevollmächtigten Ernst?

Die schlimmen Auswirkungen der Machtspiele auf Vorstands- und Bezirksebene hätten noch viel deutlicher diskutiert und kritisiert werden müssen. Vor allem die Strukturen, die so etwas ermöglichen. Das ist meiner Meinung nach nur angekratzt worden. Die knapp 42% für den Darmstädter Bevollmächtigten Klaus Ernst bei der Wahl zum geschäftsführenden Vorstand haben zwar nicht gereicht, aber es war ein Achtungserfolg. Er wollte eine entschiedenere Opposition gegen die Agenda 2010, eine deutliche Abgrenzung von der neoliberalen SPD, und er hat sich dem vorgefertigten Personalvorschlag für den Vorstand nicht gebeugt. Immerhin haben 42% der Delegierten das auch so gesehen. Das ist viel bei dem Anpassungsdruckdruck, der heute auf den Gewerkschaften lastet.

Wie wurde über den gescheiterten Streik im Osten und die Arbeitszeitverkürzung diskutiert?

Jürgen Peters hat nochmal zu Recht betont, dass der Streik im Osten nicht zusammengebrochen ist, sondern »aus eigener Entscheidung beendet« wurde. Die aktive Solidarität der gesamten Organisation sei nicht spürbar gewesen. Das haben viele Delegierte so gesehen, nicht nur aus Ostdeutschland. Neben den diskutierten Fehlern wurde aber auch deutlich, dass es grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über den Stellenwert von Wochenarbeitszeitverkürzung gibt. Das ist nicht nur ein Streit unter Funktionären. Auch in vielen Belegschaften ist Arbeitszeitverkürzung solange nicht der Hit, wie sie von Entgeltverlust und Leistungsverdichtung begleitet und nicht mehr erfahrbar wird, dass sie ein entscheidendes Mittel sein kann, um die Erwerbslosigkeit runter zu drücken. Diese Diskussion muss im Oktober fortgesetzt werden.

Was erwartest du von der Fortsetzung des Gewerkschaftstags im Oktober? Ist die IG Metall jetzt auf dem Weg der »IG- Chemisierung«?

Der angepasste Flügel, die »Neue Mitte« in der IG Metall, spielt auf Zeit. Kommt es nicht zu einer Neuorientierung der Organisation, die den sozialen Widerstand und die Mobilisierung in den Mittelpunkt stellt, werden die kämpferischen Teile der IG Metall weiter an Boden verlieren. Es gibt bereits eine Menge Funktionäre und Oberbetriebsräte, die sich nicht mehr vom Mainstream in der IGBCE unterscheiden und die der IG Metall endgültig die Zähne ziehen wollen. Sie haben entweder nie klare Interessenpolitik gemacht oder sie aufgegeben, weil sie ihre politische Orientierung verloren haben, resigniert haben oder persönliche Vorteile nicht aufs Spiel setzen wollen. Sie arbeiten der neoliberalen Schröder-Regierung und der Kapitalseite in die Hände. Gewerkschaftstage sind zwar wichtig für die Positionsbildung, aber viel entscheidender ist, was vorher an der Basis läuft. Die kämpferischen Teile der IG Metall müssen viel stärker zusammenarbeiten und sich als Strömung zu erkennen geben. Das wäre viel demokratischer und wirksamer.

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