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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 11

Wie im Lager

Was Werkvertragsarbeiter in Deutschland so erleben

In Deutschland ist alles geregelt. Das gilt auch für die rund 4000 Werkvertragsarbeiter aus Rumänien, die jährlich hierzulande arbeiten. Die meisten am Bau, immer mehr aber auch in großen, privaten Schlachthöfen.
Im Monat 1200 Euro, geregelte Arbeitszeit, kostenlose Unterbringung und Transport hatte der Chef der rumänischen Firma Social Com versprochen. Ioan Raescu, Daniel Kincza und ihre Kollegen vertrauten ihm. Was sie allerdings in Deutschland erleben, fasst Kincza in einem Satz zusammen: »Es war wie im Lager.«
Der Arbeitstag begann oft morgens um 3 Uhr mit dem Transport in meist überfüllten VW-Bussen zur Schlachterei. Kontrollen der Fahrzeuge durch die Polizei finden offensichtlich nicht statt — und wenn doch, so bleiben sie ohne Wirkung.
Statt acht Stunden mussten sie in der Regel 10—12, manchmal auch länger als 14 Stunden arbeiten. Es gab auch Pausen — »pro Tag zweimal 15 Minuten«.
Die versprochenen 1200 Euro erhielten sie nach eigenen Angaben nie. Immer wieder gab es Abzüge — für die überfüllte Unterkunft genau so wie für das benötigte Arbeitsmaterial (Messer, Kettenhandschuhe, Stiefel usw.). Alles mussten sie bezahlen. Abrechnungen wurden ihren Aussagen nach von den Arbeitern blanko unterschrieben; möglichen Kontrollen durch das Arbeitsamt versuchte man zu begegnen, indem im Vorfeld Aussagen über angebliche Arbeitszeiten und Entlohnung sorgfältig einstudiert wurden.
Bereits kurz nach ihrer Ankunft nahm ihnen der Dolmetscher des deutschen Vertreters der Firma Social Com ihre Pässe und Visa ab, sie erhielten statt dessen Kopien. Daniel Kincza erklärte: »Ich habe das gesamte Jahr 2002 bei der Firma Gausepohl durchgearbeitet, Urlaub habe ich nicht bekommen.« Angeblich, so wurde ihm erklärt, sei zuviel zu tun und außerdem habe er kein gültiges Visum. Da ihm sein Pass weiterhin verweigert wurde, konnte Kincza das nicht selbst überprüfen. Für eine Verlängerung des Visums wäre zudem das örtliche Ausländeramt zuständig gewesen.
So blieb Daniel Kincza bis Januar 2003 durchgehend in Deutschland, »im Lager«, wie er sagt.
Weil Löhne vom November und Dezember ausstanden, entschlossen sich die Arbeiter zu einem Streik. Was folgte, war die Androhung des Firmenvertreters, er werde sie allesamt rausprügeln und mit dem Bus nach Hause verfrachten. Als auch diese Drohung nichts half, wurden die Streikenden tatsächlich am folgenden Tag in ihrer Unterkunft in Badbergen brutal verprügelt. Eines der Prügelopfer musste mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus, ein anderer wurde mit dem Kopf gegen das Waschbecken geschlagen, bis es zersprang.
Ob Wilfried Ideke, der Boss, dabei selbst Hand oder Faust mit anlegte, oder ob er lediglich mit einer Pistole bewaffnet »den Streit zwischen den Rumänen schlichten wollte«, wie er sagt, wird das Gericht in Osnabrück klären müssen. Jedenfalls kam er vorübergehend in Haft und geht seiner Tätigkeit weiter nach. Immerhin befasst sich jetzt die Staatsanwaltschaft mit dem Fall.
Auch das Oldenburger Arbeitsamt, zuständig für die Standorte der Fleischfirmen Gausepohl und D+S Fleisch, nahm Ermittlungen gegen die beteiligten Firmen auf und empfahl, die Firma bis auf weiteres für Werkverträge zu sperren. Doch das Gegenteil geschah. Denn die Firma D+S Fleisch, stolz auf »Europas modernsten Schlachthof«, brauchte gefügiges Personal — also genehmigte das für Werkverträge mit Rumänien zuständige Landesarbeitsamt weitere Werkverträge bis 2004. Erst nach Ablauf des neuen Vertrags soll die Firma Social Com für ein Jahr vom Werkvertragswesen ausgeschlossen werden. Kein Problem. Der Vertreter der Firma Social Com, Wilfried Ideke, vertritt weitere vier rumänische Firmen in Deutschland. Er bestreitet alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe und spricht seinerseits von »Erpressungsversuchen seitens der rumänischen Arbeiter«.
Auch weiterhin leben rumänische Schlachter »im Lager« von Badbergen. Ihr Visum ist an die Arbeit gebunden; verlieren sie die Arbeitsstelle, etwa weil sie sich beschweren oder aus einem anderen Grund (ein beliebter Kündigungsgrund ist der Vorwurf angeblichen »Diebstahls«), müssen sie das Land verlassen und sind darauf angewiesen, ihren Lohn von der Heimat aus einzuklagen. Das wäre in diesem Fall Rumänien. Hilfe vor Ort, etwa durch einen Betriebsrat, gibt es bei D+S Fleisch nicht.
An den Zuständen wird sich folglich auf absehbare Zeit nichts Grundlegendes ändern. Denn anders als Viehtransporte oder Legebatterien von Hühnern werden Arbeiterunterkünfte in der Regel nur vor ihrer Belegung kontrolliert. Wie Werkvertragsarbeiter aus Rumänien oder Bulgarien hierzulande wirklich leben und arbeiten müssen, überprüft im Grunde niemand. Zollämter und Arbeitsämter sind allenfalls für das Eintreiben unterschlagener Steuern oder Sozialleistungen zuständig. Hinzu kommt, dass staatliche Kontrollämter hoffnungslos unterbesetzt sind.
Mehrfach beschwerte sich die Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) bei der Bundesregierung über die Zustände in der fleischverarbeitenden Industrie. So schrieb der NGG-Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg schon im Januar 2001, also ein Jahr vor der Eskalation der Situation in Badbergen, an den damaligen Arbeitsminister Riester: »Lohndumping, unwürdige Arbeits- und Wohnverhältnisse während der Entsendung sind für die in der Regel aus Ungarn, Rumänien und Polen kommenden Kollegen an der Tagesordnung.«
Der drei Arbeiter aus Badbergen versuchen nun, mit Hilfe der NGG ihren ausstehenden Lohn in Höhe von insgesamt 15000 Euro zu erstreiten.
Als im März dieses Jahres wenige Wochen nach der Schlägerei von Badbergen die SPD-Bundestagsabgeordneten Matthias, Weisheit und Ortel die Firma D+S Fleisch besuchten, zeigten sie sich gegenüber der Lokalpresse voll des Lobes. Weisheit wurde mit den Worten zitiert: »Sie haben hier einen beeindruckend modernen Betrieb.« Derartig Gutes habe er noch nicht gesehen. Gemeint waren die schönen Hallen und Maschinen.
Auf seiner Homepage wirbt www.d-s-fleisch.de für das neue Gütesiegel »Charta QS«: »Gesunde Tiere — gesundes Fleisch. Um das 100% dokumentieren zu können, setzen wir uns für die gläserne Produktion ein. Deshalb gehen unsere Qualitätsprüfungen auch weit über das gesetzlich vorgeschriebene HACCP-Konzept hinaus.« Wenigstens für das Fleisch gibt es also ein Gütesiegel.

Helmut Lorscheid

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