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Während Sharon im Schatten der »Roadmap« manövriert, sind die Mängel der
Hauptströmung des israelischen Friedenslagers niemals deutlicher zutage getreten.
August 2003: Ein Konvoi jüdischer und arabischer israelischer Friedenaktivisten besucht die
Olivenhaine von Anin, einem palästinensischen Dorf im nördlichen Westjordanland nahe der vor 1967 bestehenden Grenze zu Israel. Die Aktivisten sind
dort, um den Bauern von Anin bei der Vorbereitung der herbstlichen Ernte zu helfen, in der Hoffnung, dass sie durch ihre israelische Staatsbürgerschaft den
militärischen Beschränkungen trotzen und die Felder erreichen können, die seit der Errichtung der Mauer der Apartheid durch Israel für die
Dorfbewohner nicht mehr zugänglich sind.
Der Ausflug ist nicht ohne Risiko: israelische Soldaten schossen Wochen zuvor auf Aktive der
internationalen Solidaritätsbewegung, die zusammen mit Dorfbewohnern gegen die Mauer protestiert hatten. Sich den Behörden entgegenstellen und sie
reizen so lautet für Taayush (arabisch für »Partnerschaft«) der Name des Spiels. Diese wenige Wochen nach dem Beginn der Al-
Aqsa-Intifada im September 2000 gegründete Organisation ist eine der jüngsten und energischsten im israelischen Friedenslager.
In den vergangenen drei Jahren stand diese jüdisch-arabische Gruppe, die sich der direkten Aktion verpflichtet fühlt, um Solidarität mit den
Palästinensern zu üben und für sie humanitäre Hilfe zu leisten, im Mittelpunkt schlagzeilenträchtiger Zusammenstöße
mit den israelischen Militärbehörden. Im Herbst letzten Jahres befanden sich ihre Aktiven an vorderster Front bei der Organisierung der Hilfe für
die durch die Einschüchterung durch jüdische Siedler behinderte Olivenernte. Sie schützten das winzige Dorf Yanun nahe Nablus vor der
Verwüstung durch benachbarte Siedler. Sie kämpften auch gegen die ethnische Säuberung von Al-Nuaman, einem Dorf im Westjordanland, dessen
Eigentum auf kafkaeske Weise von Israel gestohlen wurde: durch die Annexion seiner Häuser und Ländereien aber nicht seiner Bewohner
durch die Stadt Jerusalem.
Doch während Taayush den die direkte Konfrontation nicht scheuenden Teil von Israels
Friedensbewegung repräsentiert,enthüllt diese Gruppe auch die wesentliche Schwäche der Friedensbewegung: Die Gruppe umfasst wahrscheinlich
nicht mehr als tausend aktive Mitglieder. Ihre Führer sind froh, wenn sich für eine Aktion wie in Anin 150 Aktive finden, die den Bauern helfen
und die meisten von ihnen werden zur arabischen Minderheit in Israel gehören.
Die Friedensbewegung in Israel, so sagen ihre Kritiker, hat sich seit dem Scheitern der
Friedensgespräche von Camp David im Jahr 2000 faktisch verflüchtigt. Bei ihren größten Protestkundgebungen in Tel Aviv kamen gerade
mal einige tausend Teilnehmer zusammen.
Der Grund dafür beschäftigt die Führer des winzigen radikalen Teils der
Friedensbewegung. Neve Gordon, ein führendes Mitglied von Taayush, verweist darauf, dass Meinungsumfragen regelmäßig zeigen, dass eine
überwältigende Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit und sogar der Siedler einen Rückzug aus den besetzten Gebieten
akzeptiert. »Aber Leute dazu zu bringen, sich zu engagieren, auf die Straße zu gehen, dass es auch geschieht, das ist eine andere Sache«, so Neve
Gordon.
Die stürmischen Tage der frühen 80er Jahre, kurz nach der Gründung von Peace
Now, der größten Friedensorganisation in Israel, sind lange vorbei. Peace Now organisierte große Protestaktionen in Tel Aviv und Jerusalem gegen
die israelische Invasion des Libanon. 1982 gab es eine Kundgebung von 400000 Menschen, die gegen die Massaker an den Palästinensern in den libanesischen
Flüchtlingslagern Sabra und Shatila protestierten. Dadurch sah sich die Regierung gezwungen, eine Untersuchungskommission einzuberufen, die den damaligen
Verteidigungsminister Ariel Sharon für die Tötung Hunderter Palästinenser teilweise verantwortlich machte.
Jeff Halper, Kopf des Israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen (ICAHD),
spricht dagegen ungern von einer goldenen Ära der Friedensbewegung. »Peace Now hatte in den frühen 80er Jahren spektakuläre Erfolge,
aber ihre Botschaft war extrem beschränkt. Sie hatte wenig über die palästinensische Erfahrung der Besatzung zu sagen, und mit Oslo schlief sie
weitgehend ein, als ob damit alle Probleme gelöst worden wären.«
Die erste Intifada war jedoch für das Entstehen der sichtbarsten Kampagne von Peace Now
verantwortlich. Dies war 1988 »Settlement Watch«, wodurch der Irreführung der Regierung die genaue Dokumentation des Wachstums der
Siedlungen entgegensetzt wurde. Die Intifada bewirkte auch die Bildung der medienwirksamsten Menschenrechtsorganisationen zum Schutz der
palästinensischen Bevölkerung, vom Komitee gegen die Folter über BTselem bis zu den »Rabbinern für
Menschenrechte«.
Aber die wirkliche Blütezeit der radikalen Friedensbewegung kam nach Auffassung Halpers nach Oslo und insbesondere nach der Wahl Binyamin
Netanyahus 1996. »Die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung hatte zu wirken angefangen, und die Linke fürchtete, dass Netanyahu versuchen
würde, den Weg zum Frieden zu untergraben«, meint Halper. »Die Gruppen fingen an, mehr auf Konfrontationskurs mit den Behörden zu
gehen.« Damals entstanden Organisationen wie das ICAHD oder Gush Shalom, die, 1993 als pressure group gegründet, in den späten 90ern ein
direkteres Herangehen entwickelte. Darüber hinaus bildete sich eine Reihe radikaler Frauenorganisationen.
Während der aktuellen Intifada tauchten noch provozierendere Gruppen auf wie Taayush, die
Frauen von Makhsoum Watch, die Übergriffe von Soldaten an Checkpoints aufdecken, sowie die israelischen Filialen der Indymedia-Webseiten, die das
allgemeine Schweigen der israelischen Medien über die Natur der Besatzung umgehen. »Kennzeichend für diese Gruppen ist, dass sich die Israelis
durch sie ein Bild darüber machen können, was in den besetzten Gebieten geschieht, wie das Leben der Palästinenser wirklich aussieht«, so
Halper.
Parallel dazu fingen auch Gruppen an, auf die inneren Mängel der israelischen Gesellschaft zu
verweisen. Organisationen wie Sikkuy, Givat Haviva und Alternative Voice in the Galilee beunruhigt durch die kurze Intifada der arabischen
Bevölkerung in Israel im Oktober 2000 engagierten sich gegen die Diskriminierung der arabischen Minderheit.
Andere Gruppen begannen sich mit heikleren Fragen auseinanderzusetzen und schauten tief in die
Seele des jüdischen Staates: »Neue Familie« kritisierte die israelischen Vorstellungen von Familienleben und »Neues Profil« begann
eine Kampagne für die Entmilitarisierung der Gesellschaft zu führen.
Eine jüdische Menschenrechtsanwältin, die ungenannt bleiben möchte, vertritt die These, dass sich die Zerbrechlichkeit des Friedenslagers
durch die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten erklären lässt, die in der politischen Linken über den Zionismus bestehen. Dies führe
zu einem Versagen bei der Entwicklung einer kohärenten Strategie zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Sie glaubt, dass es im Friedenslager drei
grundlegende Positionen gibt, wie die Besatzung zu beenden sei, und dass jede von ihnen durch die Haltung zum Zionismus geprägt ist. Sie teilt sie
entsprechend ein in die traditionelle zionistische Linke, die moralische zionistische Linke und die antizionistische Linke.
»Ein Teil der ersten Gruppe sind jene, die sagen, dass Palästinenser und Israelis
getrennt von einander leben sollten, und sei es nur, weil dies den Israelis größeren Schutz verleiht. Sie möchten eine einseitige Trennung und
scheren sich nicht darum, ob die Bedingungen für die Palästinenser gut oder schlecht sind. Insgeheim wären viele glücklicher, wenn es einen
klaren Bruch mit den arabischen Bürgern des Landes gäbe und diese dazu ermutigt würden, ihr Zuhause in Israel zu verlassen und in den
Palästinenserstaat zu ziehen. Dann gibt es jene, die fest daran glauben, dass der Friede nur gesichert werden kann, wenn den Palästinensern ein
lebensfähiger Staat neben Israel angeboten wird, wenn man ihnen hilft, ihre eigenen demokratischen Institutionen zu entwickeln, und wenn man die arabische
Minderheit in Israel als vollständig gleichberechtigte Bürger integriert.«
Schließlich, so die Anwältin, gibt es ein winziges, radikal antizionistisches Element,
welches das akzeptiert, was die anderen beiden Richtungen nicht akzeptieren können: dass die Zukunft von der Errichtung eines binationalen Staates
abhängt, der gleiche Rechte für zwei Völker verkörpert. »Nur diese Gruppe lässt sich von der Vorstellung des
Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge nicht beunruhigen.«
In diesen drei Gruppierungen kommt die Fraktionierung der Friedensbewegung deutlich zum
Ausdruck. Zum isolierten, radikalen Lager gehören die Mitglieder der Frauenfriedenskoalition, Taayush und das ICAHD sowie die außerparlamentarische
arabische Partei Ibn Al-Balad, die eine Handvoll jüdischer Mitglieder aufweist.
In der mittleren Gruppe, zu der vielleicht einige tausend Mitglieder zählen, treffen wir auf die
meisten der älteren, etablierteren Gruppen wie Uri Avnerys Gush Shalom oder Yesh Gvul, die Bewegung der Veteranen, die sich weigern, in den besetzten
Gebieten Dienst zu tun, sowie viele der neuen »Refuseniks«, die Anfang 2002 durch ihre Petition gegen den Militärdienst Schlagzeilen machten.
Zur ersten Kategorie, der traditionellen zionistischen Linken, gehört bei weitem der
größte und einflussreichste Friedensblock, Peace Now, der potenziell Zehn- wenn nicht Hunderttausende Israelis repräsentiert. Und darin, so die
Auffassung der radikaleren Aktivisten, liegt genau das Problem der Friedensbewegung.
Neve Gordon ist der Auffassung, dass Peace Now es aus verschiedenen Gründen nicht
geschafft hat, sich während der laufenden Intifada zu einer effizienten Friedensbewegung zu entwickeln. Erstens, so Gordon, ist der Block von Figuren aus der
Arbeitspartei und der Meretzpartei geführt worden wie Tzali Reshef und Yossi Sarid, die einen persönlichen Anteil an Oslo hatten. Mit dem Scheitern
des Oslo-Prozesses fühlten sie sich bemüßigt, zusammen mit dem früheren Ministerpräsidenten Ehud Barak die Palästinenser
für die Krise verantwortlich zu machen statt eine kritischere Position einzunehmen. Sie behinderten potenzielle jüngere Führer, die vielleicht dem
Friedenslager neuen Schwung verliehen hätten.
Zweitens bedeutet das starke zionistische Ethos der Peace-Now-Führer, dass die Bewegung
Probleme bei der Aufnahme von Mitgliedern aus der eine Million Menschen zählenden arabischen Minderheit in Israel hat. Das erste arabische Mitglied wurde
erst im Jahre 2001 zugelassen. Der Ausschluss eines Fünftels der Bevölkerung hat sowohl die Bewegung geschwächt als auch ihre Vision dessen
verzerrt, wie der Friede beschaffen sein könnte.
Drittens hat sich Peace Now geweigert, die von der Regierung und den Medien durch die endlose
Wiederholung von Bildern der Selbstmordattentate geförderte Kultur der Angst anzugreifen. Dies hat schädliche psychologische Auswirkungen auf die
allgemeine Öffentlichkeit, verzerrt ihre Wahrnehmung der Realität und macht sie gegenüber der Friedensbotschaft taub, so Gordon.
Und viertens hat Peace Now es versäumt, zwischen der Besetzung und Israels inneren
Wirtschaftsproblemen eine Verbindung herzustellen. »Warum verweisen sie nicht darauf, dass die gegenwärtig den Ärmsten auferlegten gewaltigen
Haushaltskürzungen direkt mit den riesigen Summen im Zusammenhang stehen, die in die Siedlungen, die Umgehungsstraßen und jetzt in den Bau der
Mauer gepumpt werden?«, fragt Gordon.
Er fürchtet, dass der wachsende Zynismus der Israelis bezüglich ihrer politischen
Führer gefördert durch die bis zu Sharon reichenden zunehmenden Korruptionsskandale die gewöhnlichen Israelis desillusioniert
und bei ihnen ein Gefühl der eigenen Machtlosigkeit hervorgerufen hat.
Jeff Halper andererseits glaubt, dass es verfrüht sei, das Friedenslager abzuschreiben.
»In vieler Hinsicht ist die Friedensbewegung heute stärker denn je. Es lassen sich mehr abweichende Stimmen vernehmen und mehr Israelis sehen mit
eigenen Augen, was die Besetzung praktisch bedeutet. Die Anzahl ist klein, aber es ist ein Anfang.«
Eine nicht erwartete jüngere Entwicklung ist, dass ältere Friedensaktivisten zum ersten
Mal die Auffassung äußern, dass die Zwei-Staaten-Lösung die heilige Kuh der Linken vielleicht nur eine Schimäre ist. So
schreiben der ehemalige Führer von Gush Shalom, Haim Hanegbi, und der frühere stellvertretende Bürgermeister von Jerusalem, Meron
Benvenisti, in der Zeitung Haaretz: »Die Mauer ist die große verzweifelte Lösung für die jüdisch-zionistische Gesellschaft. Sie ist der
letzte Verzweiflungsakt jener, die sich der Palästinenserfrage nicht stellen können und gezwungen sind, diese aus ihrem Leben und aus ihrem
Bewusstsein zu streichen. Angesichts dessen sage ich das Gegenteil.«
Jeff Halper hebt hervor, dass Hanegbi und Benvenisti ihre Bekehrung zu einem gemeinsamen Staat
von Palästinensern und Israelis erst in den letzten Monaten zugegeben haben, und fügt hinzu: »Ich glaube, viele von uns im Friedenslager machen
jetzt eine Übergangsphase durch, indem wir alte Dogmen zurückweisen. Wir sehen, was in den besetzten Gebieten geschieht, und die meisten von uns
kommen zu der Schlussfolgerung, dass ein Palästinenserstaat nicht mehr möglich ist.«
Es bleibt abzuwarten, ob ein solches Verdikt der israelischen Friedensbewegung zu neuem Schwung
verhilft oder sie schwächt.
Jonathan Cook
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