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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 18

Wann, wenn nicht jetzt

Die EAL-Wahlfrage

von CHRISTOPH JÜNKE

Die deutschen Freundinnen und Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL), das neue zarte Pflänzchen auf der politischen Linken in der Bundesrepublik, führen ihre erste kontroverse Diskussion: Soll man eigenständig in den Europawahlkampf des nächsten Jahres eingreifen?
Gegner und Skeptiker einer gemeinsamen Wahlkandidatur führen allesamt den realen Zustand der Linken ins Feld. Und in der Tat: Er ist herzerweichend schlecht. Verbrannte Erde bei SPD und Grünen, und auch die PDS, Deutschlands vermeintlich sozialistische Kraft, hat soeben ihren Antikapitalismus demonstrativ über Bord geworfen. Auch wenn sie den Begriff des Sozialismus weiterhin beanspruchen wird, so wissen wir aus der Geschichte der Sozialdemokratie, dass und wie solcherart »Sozialismus« zuerst ethisch uminterpretiert und dann technokratisch fallen gelassen wird. Am Rande und vor allem links der PDS gibt es schließlich noch eine zahlenmäßig durchaus nicht zu unterschätzende radikale oder zivilgesellschaftliche Linke, doch die ist zersplittert, marginalisiert und weitgehend konzeptionslos.
Was jedoch den einen Argument gegen eine Kandidatur ist, sollte uns zu grundsätzlichen Befürwortern machen. Denn wie wollen die Pessimisten eigentlich aus dem linken Ghetto herauskommen? Mit der Sicherung des eigenen Zeitungs- und/oder Organisationsprojekts, so wichtig beides sein mag, haben wir nicht gerade die aufbauendsten Erfahrungen gemacht.
Fragt man dagegen nicht nur, was die real existierende Linke tun kann, sondern vor allem, was im Angesicht der gesellschaftlichen Verhältnisse objektiv notwendig wäre, was für Sozialistinnen und Sozialisten zu tun wäre, so kann man sich sicherlich schnell darauf einigen, dass es eines neuen, programmatisch ausgewiesenen Antikapitalismus bedürfte, um die historisch einmalige Hegemonie des neoliberalen Einheitsdenkens, des Glaubens an die scheinbare Alternativlosigkeit des Kapitalismus, aufzubrechen. Ein solcher neuer Antikapitalismus wird jedoch nur zum Teil am Schreibtisch eines oder mehrerer Intellektuellen geboren werden. Ohne praktisch politische Teilnahme an dieser Gesellschaft, in Form von gewerkschaftlichen und nichtgewerkschaftlichen Klassenkämpfen, in Form von anderen sozialen Bewegungen oder in Form von Wahlkämpfen wird ein neuer Antikapitalismus allerdings nicht nur keine neue Mehrheiten finden. Er wird noch nicht einmal zureichend formuliert werden können, denn nur in der praktisch-politischen Bewährung werden Irr- und Königswege eines neuen, glaubwürdigen Antikapitalismus zu finden sein.
Die Wahlen zum nächsten Europaparlament sind eine einmalige Chance, gerade weil sie ihrer Natur nach vor allem symbolischen Charakter haben. Bereits ein kleiner symbolischer Erfolg auch unterhalb der 5%-Hürde hätte vermutlich große Wirkungen auf eine Linke, die sich in Konfrontation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit neu formieren möchte. Der symbolische Charakter der Wahlen begünstigt zudem jenen propagandistischen Aspekt linker Politik, der wegen der mangelnden Kraft zur politischen und sozialökonomischen Intervention, zwangsläufig stärker ausgebildet ist. Die EAL mit ihren Grundprinzipien (ein sozial und gesellschaftlich verankerter Antikapitalismus und die langfristige Orientierung auf die Vereinigung der sozialistischen Linken bei kurz- und mittelfristigem Respekt der Organisationspluralität) böte dabei ein ideales Dach für die notwendige Mischung aus organisatorischer Pluralität und programmatischer Originalität.
Eine gemeinsame politische Kraftanstrengung im Jahr 2004 wäre aber nicht nur sinnvoll für die Linke selbst. Wichtiger noch, weil von bundesdeutscher Bedeutung, wäre das Signal, endlich wieder eine Möglichkeit zu haben, zumindest ein symbolisches Kreuz zu machen für einen so trotzigen wie unsektiererischen Antikapitalismus. Eine solche Chance wird nicht so schnell wieder kommen. Wird die sozialistische Linke sie zu nutzen wissen?

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