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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 20

Aufbruchjahre der Neuen Linken

Michael Steffen, Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971—1991, Berlin/Hamburg/Göttingen: Assoziation A, 2002

Nur wenigen der linken Organisationen und Parteiversuchen, die Ende der 60er Jahre in Westdeutschland das Erbe der antiautoritären Jugend- und Studentenrevolte übernehmen wollten, ist es bisher vergönnt, als Thema einer universitären Einzelstudie und Doktorarbeit, geadelt zu werden. Gut zehn Jahre nach seiner letztlich formellen Auflösung, ist dies einer der erfolgreichsten »K- Gruppen«, dem Kommunistischen Bund (KB), widerfahren. Michael Steffen hat eine Studie vorgelegt, die auch über den üblichen akademischen Rahmen hinaus Verbreitung findet.
Der Autor der vorliegenden Rezension ist befangen: von den 20 Jahren der KB-Geschichte hat er 15 als aktiver Mit- und Wettstreiter aus den Reihen einer mit dem KB konkurrierenden, und obendrein »trotzkistischen«, Organisation in Hamburg, dem alles überragenden Zentrum der KB-Aktivitäten, miterlebt, die restlichen Jahre dann vom Main und Rhein aus begleitet. Bereits 1976 war er Mitherausgeber eines kritischen Büchleins, Wohin treibt der Kommunistische Bund?. Es wird deshalb wohl ein Kompliment sein, wenn bei der Lektüre der KB-Studie nur ganz selten ein Gefühl des »Nein, das war ganz anders!« aufkam.
Die Arbeit von Michael Steffen ist eine akribische Studie auf der Basis umfangreicher Auswertung von öffentlichen und internen Texten des KB und über den KB und zusätzlich vielen Interviews mit Mitgliedern der Gruppe. Sie ist dennoch lebendig geschrieben und gibt einen spannenden Einblick in eine Episode der Linken, die auch heute noch bemerkenswerte Nachwirkungen und Einflüsse hat.
Zu den Kuriosa der westdeutschen Geschichte gehört, dass die rebellische Jugend der 60er Jahre, die sich gegen Autoritäten in Elternhaus, Betrieb, Schule und Universität ebenso auflehnte wie gegen das Kartell des Schweigens über die deutschen Verbrechen im Faschismus und Weltkrieg, nach dem Abflauen der APO und »Studentenbewegung« scharenweise ausgerechnet in Organisationen strömte, die sich an den dunkelsten Kapiteln der Arbeiterbewegung, an Stalinismus, »Bolschewisierung«, Personenkult, ErziehungsdiktaturundGesinnungsterror orientierten. Es waren zutiefst autoritäre Organisationsstrukturen mit einer ähnlichen Kultur von Beschönigung und Unterdrückung kritischer oder abweichender Meinungen, wie die zuvor bekämpfte. Helmut Dahmer spricht in diesem Zusammenhang vom »psychischen Thermidor« der an der Revolte Beteiligten. Die Zahl derer die sich in den, vom dummen Buch des Gerd Koenen als »unser rotes Jahrzehnt« bezeichneten, Jahren, solchen Gruppen wie dem KBW, der »KPD«, KPD/ML oder KABD (später MLPD) anschlossen, geht in die Zehntausende.
Auch der KB war eine solche Organisation, die sich in der Tradition des »Marxismus- Leninismus« und der »Mao-Tse-Tung-Ideen« sah. Auch er verstand unter »revolutionärer Partei« straff organisierte, von oben nach unten gelenkte Vereine, die mittels solch stumpfer und dumpfer Verfahrenskodizes wie »Kampf zweier Linien« oder »Kritik, Selbstkritik, Einheit« zusammengehalten werden. Aber während die übrigen »K-Gruppen« ihr Überleben für ein paar Jahre dadurch sicherten, dass sie immer mehr eine sektentypische Scheinwelt schufen, die sowohl unangreifbar für den wirklichen Gang der Dinge als auch für die verrücktesten Zickzacks ihrer »Vaterländer« China oder Albanien war, versuchte der KB einen anderen Weg.
Seine zwanzigjährige Geschichte lässt sich in der Formel zusammenfassen:Versuch,trotz der maostalinistischen Selbstbeschränkung und der revolutionären Pose in der realen Welt politikfähig zu werden. Ihn ehrt einerseits, dass er im Zweifelsfall immer der Realität vor der verschrobenen Ideologie den Vorzug gegeben hat. Aber gleichzeitig ist er damit auch mehr als die meisten anderen linken Organisationen dafür in die Verantwortung zu nehmen, dass mit der Anpassung an die politischen Möglichkeiten auch regelmäßig wichtige politische Prinzipien einer revolutionär-sozialistischen Strategie mit über Bord gingen.
Das ideologische Gleitmittel des KB in seinen erfolgreichen Aufbaujahren war die »Theorie« der »Faschisierung von Staat und Gesellschaft«. Damit konnte die Organisation emotional zusammengehalten werden und gleichzeitig auch jede Niederlage oder jede Verzögerung im revolutionären Prozess beliebig erklärt werden. Diese »Theorie« erlaubte es dem Kommunistischen Bund einen Mittelweg zwischen den skeptischen und libertären undogmatischen Sozialisten und »Trotzkisten« einerseits und dem mit »obligatem Optimismus« und »Die-Massen-wollen-nach-links«-Überschwang hantierenden Tirana- und Peking-Gruppen einzuschlagen.
»Faschisierung«, das hörte sich nach Verschwörung der Bourgeoisie an, gegen die man sich fest zusammenschließen musste, aber gleichzeitig auch nach kleinen Schrittchen, verdau- und bekämpfbaren Angriffen, zu denen vom Berufsverbot bis zum Gewerkschaftsausschluss und SPD-Parteiregiment alles zusammengeworfen werden konnte. Dass damit in Wahrheit gar nichts erklärt wurde, dämmerte dem KB erst Ende der 80er Jahre und da war es dann zu spät.
In den 70er Jahren gelang es damit und mit der bürokratischen Organisationsform, eine der größten linken Gruppen, mit 2500 Mitgliedern und noch mal so vielen Sympathisanten, mit mehr als 120 Betriebskadern oder gar Betriebszellen und einer Zeitungsauflage von fast 25000 Exemplaren aufzubauen. Speziell in Hamburg war der KB eine kleine linke Macht.
Der KB teilte mit allen »ML-Vereinen« die fatale Etappentheorie der Entstehung von politischem Bewusstsein. Daraus folgte die Konzeption des »demokratischen Kampfes« als angeblich erste Etappe des kommunistischen Aufstands, und — KB-spezifisch — als elementarer Widerstand gegen die »Faschisierung«. Dies und seine Bereitwilligkeit zu schnellen politischen Manövern und Öffnungen, wenn die Wirklichkeit sich zu drehen begann, brachte den KB schließlich an sein Ende und auch zu den vielleicht am schwersten wiegenden politischen Fehlern der »neuen Linken« in der Nachkriegszeit:
Als mit dem Aufkommen von neuen politischen Massenbewegungen gegen die Atomenergie und gegen die Kriegsgefahr die »neue Linke« erstmals wirkliche Massenpolitik entfalten konnte und musste, war es in erster Linie der KB, der die ursprünglich von rechts eingebrachte Idee einer Verparlamentarisierung von links aufgriff und die Bildung von »demokratischen«, bunten Wahllisten forcierte.
In der Folge davon zerbrach der KB in einen Flügel, der diese »Wahlbewegung« als demokratische Kampfetappe konservieren wollte mit einer kommunistischen Konspiration an ihrer Seite, und in einen Flügel, der über den kurzen Umweg einer straff leninistisch begründeten Entrismustaktik bei den Grünen, schnellstens bei der Überzeugung landete, dass die grüne Version des Reformismus schön und zeitgemäß und die kommunistische Organisation überflüssig sei. Diese von letztlich beiden Flügeln des KB — stellvertretend seien die Namen Heiner Möller, Thomas Ebermann, Ulla Jelpke, Jürgen Reents, Andrea Lederer, Reiner Trampert genannt — zu verantwortende Fehlorientierung einer ganzen Generation von Linken in die grüne Partei, prägt bis heute die politischen Handlungsfelder der Linken.
Dass als eine besondere Kombination von »Faschisierungstheorie« mit der Verarbeitung dieser Fehlorientierung heute eine hanebüchene Strömung wie die »Anti-Deutschen« Anhänger findet, hat sowohl politisch-historisch als auch personell seine Begründung ebenfalls in der Geschichte des KB und seines Zerfalls.
Die Studie von Michael Steffen nimmt zu dieser Entwicklungsgeschichte des KB mehr kritische Position ein, als von einer Dissertation erwartet werden kann, aber dennoch angenehm dezent. Sie ist damit gut geeignet eine unvoreingenommen bilanzierende Debatte über die »neue Linke« und die Lehren der 70er Jahre zu befruchten oder einzuleiten. Sie verdient viele Leser.

Thies Gleiss

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