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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 6

Wasserprivatisierung in Berlin

Nasse Geschäfte

Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) sind die größten in Deutschland. Als das Unternehmen im Jahr 1999 teilprivatisiert wurde, feierte der Berliner Senat der »großen« CDU/SPD-Koalition das Verfahren der Gesetzgebung und die Privatisierung als großen Erfolg mit Pilotcharakter für die Bundesrepublik.
Der Verkauf spülte 1,58 Milliarden Euro in die leere Haushaltskasse. Annette Fugmann- Heesing: »Das ist ein Durchbruch in der deutschen Kommunalpolitik. Viele Kommunen haben auf diese Entscheidung gewartet.« Doch der Deal ist ein klares Beispiel dafür, was die Kommunen in Deutschland trotz leerer Kassen auf keinem Fall nachmachen sollten.

Das Verfahren

Wie war denn noch mal das »Verfahren«? Ab 1996 vollzog die Berliner SPD den politischen Richtungswechsel. Ab sofort wurde mit der Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing an der Spitze neoliberale Politik vertreten. Es wurde die sog. Sparpolitik gemacht, mit der man angesichts leerer Kassen die SPD-Landesparteitage in die gewollte Richtung zwängte. Die Korrektur des Länderfinanzausgleichs 1994 bescherte der Stadt Berlin von diesem Zeitpunkt an jährlich Mindereinnahmen von 4 Milliarden Euro. Diese Lücke sollte durch Verkäufe von Vermögen geschlossen werden.
Konsequenterweise sagte der damals regierende Bürgermeister Diepgen (CDU): »Bei der SPD kommt man nur über die Spardiskussion an die Privatisierung heran.« Und genau darum ging es auch. Weil der Landesparteitag der SPD 1997 zunächst nicht willens war, der Privatisierung der Wasserbetriebe zuzustimmen, wurde eine Arbeitsgruppe »Vermögensaktivierung« eingesetzt. Wichtige Mitglieder waren Klaus Wowereit, Klaus Böger, Annette Fugmann-Heesing und Ditmar Staffelt.
Diese Arbeitsgruppe schlug dem Parteitag eine »Hausnummer« zur Abstimmung vor. »Die Wasserbetriebe müssen über die erfolgte Stammkapitalabsenkung hinaus einen tatsächlichen Beitrag von mindestens 2 Milliarden DM zur Haushaltskonsolidierung leisten. Sollte dies nicht möglich sein, bleibt nur die Teilprivatisierung unter Wahrung der Kriterien wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und Sicherung der versorgungsrechtlichen Ansprüche.«
Ein halbes Jahr später war die Partei weichgeklopft und der Parteitag gab grünes Licht mit der Einschränkung, dass keine »Brancheninvestoren« zum Zuge kommen sollen. Am 7.Juli 1998 beschloss der Senat, die »Unternehmensgestaltung der Berliner Wasserbetriebe wie folgt vorzunehmen: Es ist eine Holding AG zu gründen, die am Kapital der Berliner Wasserbetriebe AöR beteiligt ist. Anteile der Holding AG sollen an Private veräußert werden, dabei ist sicherzustellen, dass das Land Berlin mit 50,1% an der AG beteiligt ist.« Für die Beratung bei der Umsetzung wurde das Unternehmen Merrill Lynch gewählt.
Der Beschluss des Senats enthielt keine Einschränkung hinsichtlich der Brancheninvestoren. Die Investmentbank Merrill Lynch, die auf der einen Seite den Senat beriet, um aus den Bewerbern den besten Käufer auszuwählen, beriet zur gleichen Zeit den Börsengang des Bewerbers Azurix (Wassertochter des US-Konzerns Enron). Als dies öffentlich und ein Abbruch des Verfahrens gefordert wurde, erklärte die Finanzsenatorin den erstaunten Abgeordneten, dieser Vorgang sei zwar ärgerlich, aber es gäbe einen sog. »Chinese Wall« innerhalb der Bank, der den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen verhindere. Was hätte die Öffentlichkeit gesagt, wenn die Amerikaner, den Zuschlag erhalten hätten? Die Chancen von RWE/Vivendi/Allianz stiegen durch diesen Vorfall; von deren Gebot sagten die Gewerkschafter im Vorfeld: »Gute Nacht, Berlin!« Sie erhielten den Zuschlag.

Im Handstreich

Die 1.Lesung des Gesetzes zur Teilprivatisierung fand am 14.Januar 1999 statt.
Problematisiert wurde von der Opposition, dass sowohl im Berliner Betriebegesetz als auch im Gesetz zur Teilprivatisierung der BWB nun die Gewinnerwirtschaftung festgeschrieben werden sollte. Es gibt eine Pflicht zur Gewinnerzielung und zur Abführung des gesamten Bilanzgewinns an das Land. Kritiker befürchteten deshalb eine zunehmende Verschuldung und Aufzehrung des Eigenkapitals der BWB und auf der anderen Seite eine drastische Reduzierung der Investitionen. Sie kritisierten auch sofort §3 des Gesetzes, indem es um die Eigenkapitalverzinsung geht. Die Regelung wurde stets nur R+2 (Rendite zzgl. 2%) genannt. Von Anfang an wurde befürchtet, dass die Wasserpreise deswegen steigen müssten — zulasten der Berliner Gebührenzahler.
Die 2.Lesung im Abgeordnetenhaus am 29.4.1999 brachte die Entscheidung durch namentliche Abstimmung. Ohne dass ein konkreter Vertrag bekannt gewesen wäre, stimmte das Parlament mit der Mehrheit von CDU und SPD bei einigen Gegenstimmen in SPD und CDU und der Opposition für einen »Vorratsbeschluss«. Darin wird der Senat aufgefordert, bestimmte Ziele zum Nutzen der Verbraucher, der Beschäftigten der BWB und des Wirtschaftsstandorts Berlin in den Verhandlungen mit den Bietern durchzusetzen. Unter anderem wurden gefordert:
wirksame Maßnahmen zur Konstanthaltung der Wasserpreise und — soweit unternehmerisch darstellbar — eine Senkung der Wasserpreise;
die Sicherstellung des Erhalts der Geschäftsfelder innerhalb der BWB AöR;
die Fortsetzung der hohen Investitionstätigkeit und die Weiterentwicklung der BWB zu einem national und international agierenden wettbewerbsfähigen Unternehmen;
die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Land Berlin;
die Förderung der ökologisch orientierten Wasser- und Abwasserpolitik des Landes Berlin im Interesse einer intakten Umwelt.
Das klang alles so schön, ist vor allem so schön allgemein gehalten und sicherte die Zustimmung.
Die Oppositionsparteien Grüne und PDS klagten gegen das später im Galopp durchgepeitschte Teilprivatisierungsgesetz; die Verträge hatte kaum ein Parlamentarier einsehen dürfen. Der Berliner Verfassungsgerichtshof gab ihnen in zwei wichtigen Punkten Recht: die Renditeregelung (R+2%) und die sog. Effizienzsteigerungsklausel.
In der Plenardebatte zu diesem Thema am 29.Oktober 1999 erklärte die Finanzsenatorin: »Am 29.April dieses Jahres hat das Abgeordnetenhaus das Teilprivatisierungsgesetz beschlossen. Das Abgeordnetenhaus hat am 1.Juli 1999 die Teilprivatisierung selbst, d.h. die Verträge beschlossen. Diese Verträge sind unterschrieben. Was jetzt aussteht, ist der Vollzug, und der soll heute erfolgen.«
Ihr ging es vor allem um die Privatisierung der Daseinsvorsorge. Das war ihr Thema, das war ihr Anliegen. Das hat sie umgesetzt. Und das hat sie in ihrer Rede auch abgefeiert! Ihr Modell war die Bankgesellschaft Berlin — obgleich sie schon damals hat sehen können, was dort geschah! Die Gefahren, die durch die Privatisierung, die Verträge und Vereinbarungen für die Stadt und die Bürgerinnen und Bürger entstanden, hat sie verharmlost. Warnungen wurden in den Wind geschlagen, Kritiker ausgegrenzt. Ohne dass dem Parlament die Neufassung der Passagen, die das Verfassungsgericht für nichtig erklärt hatte, vorgelegt worden wären, beschloss wiederum die Große Koalition von CDU und SPD bei wenigen Gegenstimmen von Linken in den eigenen Reihen den Vollzug.
Weil im Teilprivatisierungsvertrag die Preise bis zum 31.12.2003 festgeschrieben worden waren, ist nun der Tag der Wahrheit gekommen. Was folgt aus den Geheimklauseln des Vertrags, die den Privaten ihre Rendite 28 Jahre lang zusichern? Nun hat PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf eine Senatsvorlage erarbeitet, wonach die Wasserpreise ab dem 1.1.2004 um 15% steigen sollen. Am 16.9.2003 hat der Senat die Vorlage gebilligt. Sie bedarf noch der Zustimmung im Parlament.
Heute regiert »Rot/Rot«. Was werden die Parlamentarier tun? Bislang haben sie nicht mal die Drucksache erhalten. Aber am 30.Oktober sollen sie zustimmen! Der Galopp kommt uns bekannt vor. Es wird auf Eile gedrängt.

Änderungen im neuen Teilprivatisierungsgesetz

Die wichtigsten Änderungen im Teilprivatisierungsgesetz, die die Preisgestaltung direkt bestimmen lauten:
♦  §2: Kosten sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähige Kosten. Dazu gehören auch Entgelte für in Anspruch genommene Fremdleistungen, Abschreibungen, Rückstellungen sowie eine angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Abschreibungen werden auf der Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten berechnet (im Gegensatz zur bisherigen Methode nach Anschaffungswerten).
♦  §3 Abs.4: »Die angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals entspricht mindestens der durchschnittlichen Rendite 10-jähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren. Der Zinssatz wird jährlich durch Rechtsverordnung des Senats festgelegt. Für die Kalkulationsperiode 2004 beträgt der Zinssatz mindestens 6%.«
Das bedeutet, es können auch demnächst 8% oder mehr Rendite kalkuliert werden, die der Gebührenzahler zu blechen hat, die Erhöhung wird per Rechtsverordnung in die Wege geleitet. Und warum? Die Ursache liegt im Pilotprojekt — Vertragswerk von Annette Fugmann-Heesing. Obwohl des Verfassungsgericht die Renditeregelung (R+2%) und die sog. Effizienzsteigerungsklausel für nichtig erklärt hatte, hat sich das Land Berlin in §23 Abs.7 des Konsortialvertrags verpflichtet, aus diesem Urteil resultierende Nachteile für die BWB — und im Ergebnis für die Investoren RWE/Veolia (ehemals Vivendi) Berlinwasser Beteiligungs AG — durch Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes in vollem Umfang auszugleichen. Dies hatte H.Wolf 1999 als Oppositionsführer im Parlament noch heftig kritisiert.
Deshalb ist das Land Berlin also zum vollen Ausgleich der Nachteile verpflichtet, die dann entstehen, wenn der »tatsächliche Zinssatz« für das betriebsnotwendige Kapital der BWB nicht dem »Referenzzinssatz« R+2% entspricht. Bis ins Detail sind in der Senatsvorlage insgesamt 10 Punkte aufgelistet, wonach der Senat immer und alles zu zahlen hat (sog. Grundsatz des Nettoausgleichs).
Die aktuelle Rendite von 10-jährigen Bundesanleihen beträgt 4,02%. Die durchschnittliche Rendite der Bundesanleihen der letzten 20 Jahre, die zugrunde gelegt werden sollen, ist in den letzten Jahren ständig gesunken und beträgt derzeit ca. 6,1%. Das heißt im Klartext, weil der Senat sich auf R+2 festgelegt hat und den Investoren kein Nachteil entstehen darf, muss er 2% zuschießen.

Wie wird die Rendite gesichert?

Und wie macht er das in 2004 und in Zukunft? Indem er beschlossen hat, auf die dem Land allein zustehende Einnahme aus der Konzessionsabgabe zu verzichten. Anstatt der eingeplanten 68 Millionen Euro ab 2003 will der Senat nun bis 2009 nur 14,8 Mio. Euro von der BWB haben. Trotz gegenteiligen Urteils des Verfassungsgerichtshofs wird im Enddeffekt also doch R+2 umgesetzt. Die Berliner Steuerzahler zahlen die Zeche! Aber es sagt ihnen keiner!
Ab dem Jahr 2009 ist für die Laufzeit des Vertrags von 25 Jahren mit den BWB eine Begrenzung auf 50% der höchstzulässigen Konzessionsabgabe vorgesehen. Der Senat vezichtet also wegen der Rendite der »Investoren« bis 2008 auf insgesamt 266 Mio. Euro, und ab 2009 für 25 Jahre auf insgesamt 850 Mio. Euro Kozessionsabgaben. Zusammen sind das 1,116 Milliarden Euro, nur 0,56 Milliarden Euro weniger als der Kaufpreis. Die Instandhaltungsleistungen werden ebenso zusammengestrichen wie die Arbeitsplätze. Das Wettbewerbsgeschäft wird auf Kernaufgaben zurückgefahren. Das ist das tolle Pilotmodell.
Nun sollte jeder wissen, warum die Wasserpreise steigen und warum in Berlin die Kitapreise um 12 Mio. Euro erhöht werden, die von den Eltern eingetrieben werden sollen. Wir müssen ja »sparen«. Wird die Regierungsfraktion von PDS und SPD heute, im Jahr 2003, die Schuldigen benennen? Wird sie diese zum Teufel jagen? Wird überhaupt über das Warum geredet?
Wir dürfen auf die Debatte am 30.Oktober hoffen. Einem solchen Gesetz darf man nicht zustimmen. Aus diesem Grund haben Gliederungen in der SPD verlangt, diese Debatte auf dem nächsten Landesparteitag der SPD im Oktober zu führen. Das Berliner Privatisierungsmodell ist ein Skandal.

Gerlinde Schermer

Die Autorin war von 1991 bis 1999 Mitglied der SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses. Bei den namentlichen Abstimmungen zur Teilprivatisierung der BWB hat sie gegen die Privatisierung gestimmt.



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