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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 7

CDU will Kopfpauschalen

Im Eilschritt zur Privatisierung des Gesundheitswesens

Nachdem die Bundesregierung die »Rürup-Kommission« mit der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Abschaffung des Sozialstaats beauftragt hatte, wollte auch die CDU nicht nachstehen.
Sie beauftragte den Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog (»Durch Deutschland muss ein Ruck gehen«!), eine nach ihm benannte Kommission zu leiten, die unter dem Motto »Den deutschen Sozialstaat demografiefest machen« Vorschläge für die Senkung der Lohnnebenkosten und die Einführung von noch mehr Wettbewerbselementen in den Sozialstaat ausarbeiten sollte. Diese Vorschläge finden sich nun — zum Entsetzen der Sozialpolitiker der Kohl-Ära, besonders Blüm und Seehofer — im Wesentlichen im Leitantrag der CDU für den kommenden Parteitag im November wieder.
Die Autoren beschäftigten sich kaum mit dem Problem der kapitalistischen Krise und der langjährigen Massenarbeitslosigkeit — nur von »stark verkürzten, unstetigen Beschäftigungsbiografien« ist die Rede —, sondern flüchteten in die Demografie: Mit treffsicherem Blick in die Zukunft konstatieren sie, »Deutschland werde im Jahre 2050 nur noch 68 Millionen Einwohner haben, und auf 100 Beschäftigte würden dann 60 Rentner kommen.« Durch Zuwanderung sei das Problem nicht zu lösen, denn es gäbe eben »Grenzen der Aufnahmefähigkeit«; nur eine »aktive Familienpolitik« könnte die Lage etwas entschärfen. Vor allem aber brauche es ein »starkes Wirtschaftswachstum«, von dem natürlich nicht gesagt wird, woher es kommen soll, das die CDU jedoch sicherlich mit göttlichem Beistand herbeiführen wird.
Da angesichts der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung »das Umlageverfahren nicht demografiefest« sei, müsse (teilweise?) auf das Kapitaldeckungsverfahren übergegangen werden. Denn ohne grundlegende Reformen drohe ab 2030 ein Beitragssatz allein in der Krankenversicherung (KV) von 20%. Die Reformen müssten »die Eigenbeteiligung und Selbstverantwortung der Versicherten stärken«; sie dürften allerdings »die Wachstumsdynamik des Gesundheitswesens nicht behindern«, denn (das wird natürlich nicht gesagt), die interessierten Kreise sollen natürlich auch fürderhin ihren Reibach machen können. Außerdem geht man davon aus, dass im Gesundheitswesen ein Wachstumsmarkt liege, wenn nur Deutschland seinen Standortvorteil auf diesem Gebiet ausbaue und die Reichen der ganzen Welt sich hier kurieren ließen.
Zur Finanzierung der KV sollen alle Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze herangezogen werden. Für Ehefrauen soll eine Art Ehegattensplitting eingeführt werden. Um die Kosten der KV von den »Arbeitskosten zu entkoppeln«, wird der Arbeitgeberbeitrag bei 6,5% festgeschrieben, wobei (im Unterschied zum gerade erreichten Kompromiss zwischen SPD/Grüne und CDU/CSU) die mit 1,1% angesetzte Lohnfortzahlung von den Unternehmen zu leisten wäre, sodass als Zuschuss eigentlich nur 5,4% übrig bleiben.
Die seit 1992 um die besten Risiken (und nicht die beste Versorgung!) buhlenden Kassen sollen noch stärker »wettbewerbsorientiert« arbeiten und »unterschiedliche Tarife« anbieten. Neben der Standard-KV soll es (bislang den Privaten vorbehaltene) Zusatztarife sowie die Möglichkeit höherer Selbstbehalte und der Beitragsrückerstattung geben. Es fragt sich, wie unter solchen Bedingungen noch von einer Gesetzlichen KV gesprochen werden kann; im Grunde würde die Durchführung der CDU- Vorschläge zu einer schrittweisen Privatisierung der Kassen führen.

Kopfpauschale

Diese Logik zeigt sich auch in der Prämienberechnung, die (zunächst) einheitlich ist (»Kopfpauschale«) und für Menschen mit geringen Einkommen aus Steuermitteln bezuschusst werden soll. Die Kommission geht von einer Prämie von 264 Euro »für einen Zwanzigjährigen« aus. Zur Kostensenkung müssten laut Kommission vom Staat etwa 27,3 Milliarden Euro bereitgestellt werden; es sei die Frage gestattet, woher dieses Geld angesichts klammer öffentlicher Kassen kommen soll. Später ist offenbar an eine Prämienberechnung nach dem Modell der Privaten KV nach Alter und Geschlecht (und besonderen Risiken?) gedacht, denn der binnen zehn Jahren anzusparende Kapitalstock soll dann auf die Einzelversicherungen aufgeteilt werden. Allerdings lässt der Text mehrere Interpretationen zu, denn an einer Stelle ist davon die Rede, dass der Kapitalstock als »Fonds bei der Bundesbank« aufgebaut werden soll.
Die Vorzüge des Modells sieht die Kommission — außer in der stärkeren »Demografiefestigkeit« — vor allem in der »deutlichen Entlastung der Bezieher höherer Einkommen«. Und in der Tat liegt hier der entscheidende Unterschied zwischen dem Modell der »Bürgerversicherung« und dem »Kopfpauschalenmodell«: Bei einem Ehepaar (beide berufstätig) würde die Belastung im Vergleich zu heute im ersten Fall etwa ab einem Bruttoeinkommen von 45000 Euro ansteigen, wohingegen sie im Herzog-Modell ziemlich genau ab diesem Wert massiv fallen würde.
Die Hauptlast läge bei Einkommen zwischen 20000 und 40000 Euro — immer vorausgesetzt, die Zuschüsse aus Steuermitteln für kleine Einkommen würden überhaupt fließen. Es kann somit nicht sonderlich verwundern, dass sogar im eigenen Lager der Leitantrag des CDU-Parteivorstands nicht nur auf Zustimmung stößt: Immerhin ließ Horst Seehofer, Sozialexperte der CSU, verlauten: »Selten hat mich etwas so schockiert wie diese Vorschläge. Von sozialer Balance kann ich da nicht mehr viel erkennen.«
Sein Gegenspieler, Fraktions-Vize Friedrich Merz, behauptete hingegen: »Ein Pförtner hat das gleiche Krankheitsrisiko wie ein Firmenchef«, deshalb sei die gleiche Prämie nur gerecht. Sachlich liegt Merz voll daneben: Arme haben ein erheblich größeres Krankheitsrisiko. Seine Gerechtigkeitsvorstellung ist sozialdarwinistisch: Im »Kampf ums Dasein« gehen die Kleinen eben unter. Realiter würde es zu einer »Amerikanisierung« der Verhältnisse kommen: Zwischen 10 und 20% der Bevölkerung könnten sich dann die Kasse nicht mehr leisten und müssten im Krankheitsfall sehen, wo sie bleiben.
Im Sinne einer solidarischen Gesellschaft gerecht wäre eine Versicherung, in die alle hier Lebenden entsprechend der Gesamtheit ihrer Einkünfte einzuzahlen hätten. Außerdem müsste die Parität der Einzahlung zwischen »Arbeitgebern« und »Arbeitnehmern«, die durch die Eigenbeteiligungen längst aufgelöst ist, wieder hergestellt werden.
Der Pferdefuß bei der von SPD-Grüne favorisierten »Bürgerversicherung« liegt genau darin, dass sie zu einer Entlastung der Unternehmer und somit einer Belastung der Beschäftigten und Rentner führen soll. Aber bei der Union würden neben den Unternehmern zusätzlich alle Reichen gleich noch mitentlastet.

Paul Kleiser

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