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Im September trafen sich in Berlin Wissenschaftsminister aus über 40 Ländern Europas. Thema war die Schaffung
eines europäischen Hochschulraums. Die Stimmung bei den Studierenden ist angesichts umwälzender Veränderungen geteilt. Teils wird das
Projekt mitgetragen, teils radikal kritisiert.
Während die Wissenschaftsminister am 18. und 19.September im Berliner Hilton tagten, trafen
sich in der Humboldtuniversität etwas mehr als 500 Studierende, SchülerInnen und LehrerInnen zum »European Education Forum« (EEF),
einem Treffen von Aktiven im Bildungsbereich, das sich an das Europäische Sozialforum anlehnt. Auf der Podiumsdiskussion, aber auch bei zahlreichen
Flurgesprächen kam immer wieder die Frage auf: Sollen Studierende, die an der Ministerkonferenz teilnehmen, auch auf dem Forum ein Podium bekommen?
Zugespitzt: Sind sie Verräter oder Vertreter?
Die Ministerkonferenz im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses tagt alle zwei Jahre. 1999
beschlossen in Bologna 29 Ländern mittlerweile sind es 40 , bis 2010 einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen. Die zentralen
Maßnahmen hierfür sind zunächst rein technokratischer Natur: europaweiter Aufbau vergleichbarer, zweistufiger Studienabschlüsse
(Bachelor und Master); Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung im Hochschulbereich; europaweite Einführung eines Transfersystems für
Studienleistungen, um die Anerkennung von Auslandsstudien zu erleichtern.
Der Streit unter den Studierenden hätten vielleicht vermieden werden können,
hätte man die Minister machen lassen. Eine studentische Beteiligung war zunächst weder vorhanden noch vorgesehen. In Bologna waren die Minister
unter sich. Doch der anhaltende Kampf um demokratische Beteiligungsrechte der Betroffenen angeführt von Studierenden aus Skandinavien, für
die studentische Mitbestimmung seit jeher eine Selbstverständlichkeit ist hatte nach zwei Jahren Erfolg und führte dazu, dass der
europäische Dachverband der Studierenden (ESIB) neben Hochschulverbänden, Europarat und seit kurzem auch der UNESCO beratend mit am Tisch
sitzt auch bei der Ministerkonferenz.
Kern der studentischen Intervention waren drei Forderungen: demokratische Beteiligungsrechte,
ausreichende Berücksichtigung der sozialen Aspekte und Erhaltung von Hochschulbildung als öffentlichem Gut. Schaut man auf die beschlossenen
Dokumente, war die studentische Beteiligung deutlich von Erfolg gekrönt.
So heißt es im Berliner Kommuniqué: »Die Ministerinnen und Minister
bekräftigen erneut die Bedeutung der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses. Die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss mit
dem Ziel, der sozialen Dimension des Europäischen Hochschulraums größere Bedeutung zu geben, in Einklang gebracht werden; dabei geht es um
die Stärkung des sozialen Zusammenhalts sowie um den Abbau sozialer Ungleichheit und der Benachteiligung von Frauen auf nationaler und
europäischer Ebene. In diesem Zusammenhang bekräftigen die Ministerinnen und Minister ihre Auffassung, dass Hochschulbildung ein
öffentliches Gut und eine vom Staat wahrzunehmende Verpflichtung ist.« Und ferner: »Studierende sind gleichberechtigte Partner bei
Hochschulsteuerungsprozessen« eine Einsicht, die von der Realität in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten liegt.
Damit wird ein zentrales Problem des Bologna-Prozesses offenbar: Hehre Erklärungen auf europäischer Ebene und ihre Umsetzung der sog.
»Bologna-Reformen« auf nationaler Ebene haben oft wenig gemeinsam. Während auf europäischer Ebene unverbindlich weitgehend
technische Ziele vereinbart werden, bleibt die Umsetzung vollständig den Mitgliedstaaten überlassen. Unter meist neoliberaler Ägide, New Public
Management und Regierungen, die weitgehend von Finanzministern gesteuert werden, kann kaum etwas Gutes heraus kommen.
In Deutschland ist die Umsetzung des Bologna-Prozesses gekennzeichnet von der Verknappung des
Zugangs zu weitergehenden wissenschaftlichen Studien, Studienzeitverkürzung um jeden Preis und einer chaotischen Umsetzung systemverändernder
Reformen mangels finanzieller und personeller Ressourcen der Hochschulen; an Studienreformprojekte wird in aller Regel rein technokratisch herangegangen. Die
fällige Erhöhung der Bundesausbildungsförderung (Bafög) wurde mit Verweis auf die finanzielle Lage von Bund und Ländern
ausgesetzt den schwächsten unter den Studierenden geht es nicht besser als anderen marginalisierten Gruppen.
Die Beschlüsse von Berlin werden deshalb voraussichtlich politisch wenig Wirkung zeigen.
Beschlossen wurden für nächsten zwei Jahre folgende Schwerpunkte: Stärkung der überwiegend technisch betrachteten
Qualitätssicherung, Konzentration auf die Einführung zweistufiger Studiengänge, Erleichterung der Anerkennung von Studienleistungen. Weder
soziale Themen noch Fragen der Demokratisierung der Hochschulen stehen im Vordergrund.
Dennoch stellt sich die Frage, wie Studierende mit dem Bologna-Prozess umgehen sollen: Sollen sie
sich, in Kenntnis der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse, an der Ausgestaltung des Europäischen Hochschulraums beteiligen oder nicht?
Ausgestaltbar ist der Umsetzungsprozess, und dies ist politisch auch notwendig, denn die Interessen
der beteiligten Ministerien und Verbände sind alles andere homogen, die Zielformulierungen entsprechend abstrakt gehalten. Finnland und Österreich
bspw. können sich derzeit unmöglich auf eine gemeinsame inhaltliche Plattform einigen. Die Richtungen, die die Unterzeichnerstaaten bei der
Hochschulreform einschlagen, sind höchst unterschiedlich.
Auch der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi) betont, dass die Deutungsrichtung der
Bologna-Dokumente keineswegs festgelegt ist. Auf Grundlage der jüngsten Beschlüsse ließe sich, sieht man von wenigen Formulierungen ab, auch
eine sozialistische Bildungspolitik gestalten. Selbst wenn die politischen Kräfteverhältnisse eine solche Richtung derzeit nicht erlauben, stellt sich die
Frage, ob grundsätzlich wünschenswerte Reformen deswegen boykottiert werden sollen. Der Raum zur Gestaltung jedenfalls ist, wenn die eigenen
Kräfte mobilisiert werden, vorhanden.
Heiner Fechner
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