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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 9

»Zentrum gegen Vertreibung«

Eine gespenstische Kampagne

Dem »Bund der Vertriebenen« (BdV) ist es gelungen, mit seiner Kampagne für die Errichtung eines »Zentrums gegen Vertreibungen« eine gespenstische Debatte loszutreten. Im September 2000 war der Bund mit seinem Plan an die Öffentlichkeit getreten. Als Kontrapunkt gegen das Holocaust-Mahnmal sollte in Berlin ein Zentrum errichtet werden, das »einen Gesamtüberblick über die Vertreibung der mehr als 15 Millionen Deutschen geben und der Aufarbeitung dieses einschneidenden Teils deutscher und europäischer Geschichte dienen« solle. 80 Millionen Euro will der BdV für sein Projekt aus öffentlichen Mitteln bekommen. Grundlage des Zentrums soll die Charta des BdV sein.
»Die ›Charta der Vertriebenen‹, auf deren Grundlage die Verbände jahrzehntelang die Revision der Nachkriegsgrenzen gefordert haben, verklärt die Vertriebenen zu den eigentlichen Leidtragenden und Opfern des Weltkriegs. Dieses Geschichtsbild ist eine Provokation und Verhöhnung der Menschen in Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern, an deren Unterdrückung und Ausplünderung sich viele Angehörige der deutschen Minderheiten aktiv beteiligt haben«, kritisierten die Berliner PDS-Abgeordneten Wolfgang Brauer, Marian Krüger und Klaus Lederer kürzlich völlig richtig. Sie fuhren fort:
»Die Umsiedlung der Deutschen aus den Ostgebieten ist eine historisch gerechtfertigte Konsequenz der NS-Herrschaft. Sie ist nicht Unrecht, sondern Völkerrecht. Das Potsdamer Abkommen trifft dazu in Artikel XIII klare Aussagen. Wir verkennen nicht, dass die Umsiedlung für den Einzelnen schrecklich und für viele Deutsche, die sich nicht schuldig gemacht hatten, ungerecht gewesen ist. Die leidvollen individuellen Schicksale der Betroffenen dürfen aber nicht den Blick auf den historischen Kontext verstellen. Die Ursache von Flucht, Vertreibung und Umsiedlung liegt im deutschen Faschismus.«
Diesen Kontext ignoriert und leugnet der BdV bis heute. Trotzdem ist es ihm in den letzten Monaten gelungen, einen illustren Unterstützerkreis für sein revanchistisches Vorhaben zu sammeln (siehe die Homepage www.z-g-v.de). Angefangen vom früheren SPD-Generalsekretär Peter Glotz gehören dem Beirat des Projekts inzwischen an: Joachim Gauck, Ex-Leiter der nach ihm benannten Behörde; Otto von Habsburg; Prof. Guido Knopp, Redaktionsleiter ZDF-Zeitgeschichte; der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff; Freya Klier; der Journalist Peter Scholl-Latour; Prof. Michael Wolffsohn von der Universität der Bundeswehr in München; Tilman Zülch, Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker; und der Völkerrechtler Prof. Tomuschat von der Berliner Humboldt- Universität, der erst kürzlich auf Bitten der Bundesregierung in einem Gutachten zynisch konstatierte, italienische Mili-tärinternierte seien in den letzten Kriegsjahren zwar zu Zwangsarbeit unter furchtbaren Bedingungen gezwungen gewesen, hätten aber keinen Anspruch auf Entschädigung.
Bei der Verleihung des neugestifteten »Franz-Werfel-Menschenrechtspreises« im Juli dieses Jahres gelang es dem BdV sogar, den Kölner Schriftsteller Ralph Giordano und den Grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit für seine Jury zu gewinnen.

Unruhestifter

Als der SPD-Abgeordnete Markus Meckel kurz danach mit polnischen, tschechischen und deutschen Schriftstellern öffentlich mit der Forderung auftrat, kein deutsches »Zentrum gegen Vertreibungen« in Berlin zu errichten, sondern ein europäisches Zentrum in Tschechien oder im polnischen Wróclaw (früher: Breslau), fielen der BdV und seine Freunde massiv über Meckel und seine Unterstützer her. Meckel habe »mutwillig Unfrieden« gestiftet, kritisierten der Historiker Arnulf Baring und der frühere Berliner CDU-Vorsitzende und amtierende Direktor des Deutschen Museums, Christoph Stölz. Das Zentrum werde »zerredet« und am Ende nie realisiert werden. Meckel dagegen fand Unterstützung bei der regierungsnahen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Selbst die Bundesregierung ist seitdem gespalten. Innenminister Schily unterstützt den BdV, die Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss, dagegen Meckel. Ein Zentrum in Berlin würde »germanozentrisch«, werde über kurz oder lang Holocaust und Vertreibung als gleichartige Verbrechen darstellen und damit jede kritische Sicht auf die Geschichte und jede Unterscheidung von Tätern und Opfern der NS-Zeit zu unterbinden suchen, berichtete die Welt am Sonntag am 27.Juli über Positionen der Kritiker des BdV-Projekts. Peter Glotz schlug am folgenden Tag im Morgenecho von WDR 5 vor, zwei Zentren zu errichten — eines in Berlin und eines in Breslau. Das Zentrum sei keineswegs »eine Art Gegenveranstaltung zum Holocaust-Mahnmal«.
Am 13.August schaltete sich Kanzler Schröder ein. Mit einem Zentrum in Berlin laufe man »Gefahr, das Unrecht, das Deutschen widerfahren sei, in den Vordergrund der Debatte zu stellen«. Eine europäische Debatte sei »angemessener«. Außenminister Fischer schloss sich wenige Tage später an. Auch der tschechische Premier Vladimir Spidla lehnte das Zentrum in Berlin ab. »Die Wahl von Berlin würde die Zeitfolge von Ursache und Wirkung verdrehen.« BdV-Chefin Steinbach, unterstützt von CSU-Chef Stoiber und CDU-Chefin Merkel, warf Schröder daraufhin »Angst vor unseren Nachbarn« vor — ein entlarvender Vorwurf.
Ausgerechnet im Berliner Stadtteil Kreuzberg hat der BdV eine Immobilie für sein Projekt ins Auge gefasst — ein Gasometer, 1941 zum Luftschutzbunker umgebaut und danach zeitweilig als Flüchtlingslager und Lebensmittellager genutzt. Eine erste Anfrage des BdV beim zuständigen Steuerungsausschuss des Bezirks wurde ignoriert. Vor einer Entscheidung der Bundesregierung gebe es keinen Beratungsbedarf, beschied das Gremium. Danach müsse der Senat von Berlin seine Position als Eigner festlegen, und erst dann gebe es Beratungsbedarf im Ausschuss.
Welches gespenstische Geschichtsbild die Verfechter des Berliner »Zentrums« noch heute umtreibt, ist ihrer Erklärung vom 13.8.2003 (nachzulesen unter www.z-g-v.de) zu entnehmen. Obwohl allein die Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten 127 Milliarden Mark »Lastenausgleich« an deutsche »Kriegsgeschädigte« gezahlt haben — hinzu kommen Aufwendungen der Länder und Kommunen —, wird dort allen Ernstes behauptet, es gehe den Initiatoren mit der Errichtung des Berliner Zentrums vor allem »darum, den deutschen Vertriebenen jenes Maß an Mitgefühl zu signalisieren, das ihnen in den letzten Jahrzehnten weitgehend verweigert wurde«.
Der Vorwurf angeblich fehlenden Mitgefühls dient den Vertriebenenfunktionären in Wirklichkeit seit Jahrzehnten dazu, von ihrer Kumpanei mit den Verfechtern deutscher Großmachtpolitik gen Osten abzulenken, ihre Schönfärberei der NS-Zeit fortzusetzen, die Mitwirkung vieler Deutscher an den NS-Verbrechen in Osteuropa zu vertuschen und ihre Ansprüche auf Rückgabe verlorener Vermögen und Gebiete in Osteuropa weiter aufrecht zu erhalten.
Der letzte noch lebende Führer des Aufstands im Warschauer Ghetto von 1943, Marek Edelmann, hat sich scharf gegen das geplante Berliner Zentrum verwahrt. »Die Deutschen haben mit der Vertreibung für Hitler bezahlt«, sagte der 82-Jährige der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza. Die Debatte jetzt, ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg, sei »eine rein politische Sache« (Berliner Zeitung, 19.8.2003).
Am 1.September wandten sich 116 polnische, tschechische, deutsche, österreichische und US-amerikanische Intellektuelle in einer öffentlichen Erklärung gegen das geplante Zentrum. Unterzeichnet von Marek Edelmann, Prof. Micha Brumlik, Prof. Butterwegge, Peter Härtling, Tomás Jelínek, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Prags, Adam Michnik und anderen warnen sie vor der »großen Gefahr, die dieses Ansinnen in sich birgt«, nämlich einer »staatlich sanktionierten Umdeutung der Vergangenheit, ja einer Revision der Geschichte und der Torpedierung eines europäischen Dialogs«. »Historisch betrachtet droht eine Entkontextualisierung der Vergangenheit, die Negation des ursächlichen Zusammenhangs von NS-Volkstums- und Vernichtungspolitik auf der einen, Flucht und Vertreibung der Deutschen auf der anderen Seite. Die politische Gefahr besteht insbesondere in der Ethnisierung von Konflikten, also der Umdeutung von politischen und sozialen Kontroversen in ethnische — und damit der Zementierung eines völkischen Verständnisses von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.« (www. vertreibungszentrum.de).
Insbesondere in Polen und in der Tschechischen Republik hat die Kampagne des »Vertriebenenverbands« inzwischen zu einer breiten öffentlichen Debatte und zu Unruhe geführt. Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski, Bronislaw Geremek, führender Mann von Solidarnosc und früherer Außenminister, und andere Persönlichkeiten haben sich unmissverständlich ablehnend zum Vorhaben des BdV geäußert. Kolakowski erinnerte in der Zeit (Nr.39) daran, dass er selbst in seiner Jugend nur knapp der Ermordung durch die einmarschierende deutsche Wehrmacht entkommen ist: »Die Deutschen verurteilten uns nicht zum Tode, sie ermordeten uns einfach.« Die Polen sollten »nach der Ausrottung der gebildeten Schichten zu Schweinehirten der Deutschen« werden. Das Zentrum solle »die Gräuel des Zweiten Weltkriegs relativieren« und untergegangene deutsche »Gebietsansprüche untermauern«. Eine polnische Zeitschrift karikierte die Vertriebenenchefin Erika Steinbach in SS-Uniform auf Kanzler Schröder reitend.
Im Ergebnis dieser Auseinandersetzung — und der CSU-Kampagne gegen die Benes- Dekrete — sind die deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Beziehungen heute so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Kaum jemand — auch nicht auf der politischen Linken — hätte vor kurzem geglaubt, dass die Vertriebenenverbände noch solchen Schaden anrichten können. Aber der Geist der Revanche ist anscheinend nicht totzukriegen. Auch die finanzielle Förderung dieser hasserfüllten Verbände mit Millionenbeträgen aus den Bundes- und Länderhaushalten dauert bis heute an.

Rüdiger Lötzer

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