SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 11

Im Fadenkreuz: Iran

Der Iran im Räderwerk des »Krieges gegen den Terror«

Die Räder des weltweiten »Krieges gegen den Terror« drehen sich trotz aller Misserfolge der US- Hegemonialmacht in Afghanistan und im Irak weiter. Nordkorea und der Iran sind ins Zentrum der öffentlichen Kampagne gerückt. In seinem soeben im Neuen ISP Verlag erschienenen jüngsten Buch Irakistan. Der Krieg gegen den Irak und der »Kreuzzug« der USA zieht Karl Grobe-Hagel nicht nur die Bilanz des Irakkriegs, er zeigt auch auf, wie Nordkorea und der Iran zu den nächsten Zielen der internationalen Kriegsallianz gemacht werden. Im Folgenden veröffentlichen wir eine von der Redaktion stark gekürzte Fassung jenes Kapitels, das den ideologischen Aufmarsch gegen den Iran beschreibt.
Eine Übersicht über die Luftwaffenstützpunkte in Vorderasien, deren sich die USA seit 2001 versichert haben, lässt drei Lücken erkennen: Aserbaidschan, Turkmenistan und Iran. Die Wünsche der aserbaidschanischen Regierung unter dem schwer kranken Haidar Alijew, einem als Nationalisten wiedererstandenen ehemaligen KGB-Regionalchef und zeitweiligem Mitglied des Moskauer KP-Politbüros unter Breshnew, sind ziemlich eindeutig auf »Europa« gerichtet.
Gemeint ist allerdings etwas mehr: Zutritt zur NATO und zum Welterdölmarkt. Die dynastische Sicherung der Macht durch die Erhebung des Präsidentensohns Ilham ist gewiss nicht nach dem demokratischen Geschmack Europas; sie wird aber kaum die US-Politik, die den Anschluss ebenso sehr will wie das Establishment in Baku, von längst beschlossenen Entscheidungen abbringen.
Turkmenistan mit seinen unermesslich reichen Erdgasvorkommen ist dann in einer günstigeren Position, wenn es seinen Energierohstoff über ein anderes Rohrleitungsnetz als das des russischen Monopolisten Transneft vermarkten kann. Die Regierung in Aschgabat wäre unabhängig von Preislisten, die in Moskau geschrieben werden, und brauchte nicht mehr zu befürchten, dass durch eine Drehung am Gashahn politischer Druck auf die Diktatur ausgeübt würde, könnte zum Beispiel die russisch-turkmenischen Doppelstaatsbürger ungestraft vertreiben, wie im Frühsommer 2003 geplant.
Das Binnenland Turkmenistan braucht also entweder eine Pipeline durch Afghanistan und Pakistan zum Indischen Ozean oder einen Anschluss an das Rohr Baku—Tiflis—Ceyhan, das aber für Öl und nicht für Gas bestimmt ist, oder einen Durchgang durch den Iran. Und genau dieser Staat mit seinen 67 Millionen Einwohnern, den drittgrößten Erdöl- und Erdgasvorräten der Erde, einer theokratischen Diktatur und einem starken nationalen Identitätsbewusstsein steht auf der Abschussliste der Bush-Regierung weit oben. Fraglich ist nur, ob vor oder hinter Nordkorea.

Aufmarsch der Truppen und der Argumente


Die US-Fernsehgesellschaft ABC hat am 1.Juni 2003 einiges veröffentlicht, das dem vorsichtigen Misstrauen gegenüber der Iran-Politik der USA Nahrung zuführt. Da heißt es, das Pentagon plane ein »massives verdecktes Programm« zum Sturz der Herrschaft der Ayatollahs. Iranischer Dissidenten werde man sich bedienen und auf die Volksmudjaheddin zurückgreifen; schließlich hätte diese Vereinigung in den vergangenen dreißig Jahren den USA ja nichts zu Leide getan.
Dass sie von den Präsidenten bis einschließlich Bill Clinton und vom Außenministerium bis wenigstens Anfang 2003 als fester Bestandteil der Weltterroristenliga angesehen worden seien, stört da nicht. Falls ihnen die Rolle einer »Westallianz« zugedacht werden sollte, wäre das recht praktisch. Der Aufmarsch ringsum passt für den Luftkrieg; nun wäre auch eine Bodentruppe da, die Rumsfeld ohne Rücksicht auf eigene Verluste marschieren lassen könnte.
Die Volksmudjaheddin, die seit Mitte der 60er Jahre als linksislamische Opposition gegen das Pahlewi-Regime größeren Einfluss vor allem an den Universitäten hatten, wurden nach 1979 durch die Khomeini-Islamisten von der Mitwirkung in der Politik nach dem Schah-Sturz verdrängt und organisierten von Paris aus den Nationalen Widerstandsrat (NWR) mit anderen neuoppositionellen Kräften, unter anderem dem ersten Nachrevolutionspremier Abolhassan Bani-Sadr. Diese verließen zum großen Teil den NWR bald wieder.
1987 wurden die Volksmudjaheddin auch aus Paris vertrieben und ließen sich im Irak nieder. In der Nähe der iranischen Grenze — unweit Amara — unterhielten sie mehrere Lager mit schätzungsweise 5000 Bewaffneten. Durch ihre Kriegsteilnahme gegen den Iran verloren sie viele Sympathien unter der iranischen Bevölkerung, verfügen aber nach wie vor über gute Kontakte und Kenntnisse über politische und militärische Interna. Ihre Lager wurden von den USA in den ersten Kriegstagen mehrfach bombardiert, nach der Machtübernahme durch die Besatzungsarmeen aber ziemlich unbehelligt gelassen. Auf Betreiben des Pentagon konnten die Volksmudjaheddin den größten Teil ihrer leichten Waffen behalten. Die Teheraner Regierung bot durch inoffizielle Kontakte an, die in iranischen Städten inhaftierten Al- Qaeda-Führer an die USA auszuliefern — im Austausch gegen eine Auslieferung der Volksmudjaheddin. Das lehnte das Pentagon ab.
Der Aufmarsch, ob als »Drohkulisse« oder endgültige Kriegsvorbereitung, ist auf den Regionalkarten abzulesen. Die Militär- und Luftwaffenstützpunkte in der Umgebung kreisen den Iran vollständig ein; im Persischen Golf hat die US Navy das absolute Übergewicht über die Summe aller anderen Seestreitkräfte.
Es fehlt nur noch eine in der amerikanischen Öffentlichkeit überzeugend wirkende Begründung. Dass sie aus kalkulierten Lügen ebenso wie aus sorgfältig ausgewählten Fakten bestehen kann, ist im irakischen Fall schon durchgeprobt worden. Wie immer werden unter verschiedenen Hütchen viele rasch wechselnde Argumente und Behauptungen hervorgezaubert und wieder versteckt, bis sie nochmals gebraucht werden. Etwa diese: Der Iran (oder die Hardliner) finanziert die Hizbollah-Milizen im Libanon; der Iran unterstützt die Hamas und den Islamischen Jihad in Palästina; der Iran versteckt Al-Qaeda-Terroristen; der Iran destabilisiert die Verhältnisse im Irak (ein neues Argument, das erst aufkam, nachdem die USA die Verhältnisse im Irak zerschlagen hatten); der Iran will ein Atomwaffenprogramm einleiten; und selbst wenn der Iran den Konventionen gegen B- und C-Waffen beitritt, kann man diesem Regime nicht glauben; der Iran will regionale Vormacht werden; der Iran lässt keine Beobachter ins Land, die nach verbotenen Waffen oder nach Terroristenlagern forschen wollen.
Gelegentlich wird zur Erinnerung auf die staatsterroristischen Aktivitäten des iranischen Geheimdienstes hingewiesen, wie sie im Mykonos-Prozess in Berlin aufgedeckt wurden. Selbst die Kritik an der scharfen Repression, die Studenten und Intellektuelle, Journalisten und Filmemacher um ihre Freiheit und gelegentlich ums Leben bringt, muss als angeblicher Beweis für die Notwendigkeit der Intervention — so oder so — herhalten.
Dass der Iran ein Verbündeter gegen die Taliban hätte sein können, weil er die Last von 1,5 bis 2 Millionen Flüchtlingen und die Durchseuchung einiger Landesteile mit afghanischem Rauschgift am ehesten von einer rationalen, ruhigen, im Volk akzeptierten Kabuler Regierung hätte erwarten können, ist wohl auch eine allzu komplizierte Überlegung. So argumentieren die »Falken« ganz simpel, der Iran könne möglicherweise ein sanctuary für Bin Laden und seine Organisation sein. Wenigstens seien wahrscheinlich Al-Qaeda-Anhänger aus Afghanistan über den Iran geflohen, wohl in die Emirate an der gegenüber liegenden Küste des Persisch-Arabischen Golfs. Die Teheraner Regierung räumte das auch ein; aber nicht mit dem von Washington erwarteten kniefälligen Ergebnis.

Bushs Worte vereinigen den Iran

Vielleicht verschwindet dieser Vorwurf ebenso rasch. Es gibt andere Handhaben und Kriegsausreden. Das Gesetz, das US-Investitionen im Iran (und in Libyen) untersagt und Strafmaßnahmen für zuwiderhandelnde ausländische Firmen vorsieht (Iran—Libya Sanctions Act), ist 2001 auf Betreiben der Regierung Bush um fünf Jahre verlängert worden. Zudem teilen die USA die Besorgnis Israels, der Iran könne irgendwann Massenvernichtungswaffen entwickeln; einer der vielen Fälle, in denen die Staatsmänner Bush II und Sharon sich vorzüglich ergänzen. Aus der Besorgnis könnten interessierte Kreise in beiden Regierungen die Scheinrechtfertigung für präventive Militärschläge ableiten, die dann des Verdachts auf Begünstigung des Terrorismus gar nicht mehr bedürfen.
Wie im Fall des Irak lassen sich die Beweisgründe in einem Satz von elf Worten zusammenfassen: Das Land will sich einfach nicht dem Willen der US-Regierung unterwerfen. Deshalb blieben beide als Bestandteile der »Achse des Bösen« auf der Liste der gefährlichen Staaten stehen, zusammen mit Nordkorea.
Dass der Iran eine theokratische Diktatur mit nur geringen — sich in Wahlen allerdings deutlich artikulierenden — Tendenzen zur Modernisierung ist; dass er Andersgläubige blutig verfolgt; dass die politische Polizei missliebige Journalisten und andere Intellektuelle nicht nur mundtot macht, sondern gelegentlich ganz tot — es sind alles Anlässe genug für den Aufruf, das Regime zu verändern. Es sind keine Gründe für eine militärische Intervention.
Im Januar 2002 fand George W. Bush freundliche Worte für die Demonstranten, die im Iran einen internen Regimewechsel forderten. Damit redete der US-Präsident einen Klimawechsel in Teheran herbei. Vorsichtige Kontakte rissen ab. Sogar die streng konservative Londoner Times bewertete die entsprechende Passage in der Rede zur Lage der Union als »fundamentalistisch«. Die auf zentimeterweise Öffnung des theokratischen Systems sinnenden und vielleicht sogar dafür arbeitenden Kräfte — mit gelinder Übertreibung nennt man sie Reformer — empfanden die Rede des US-Präsidenten als Tritt in die Weichteile.
Die Parteinahme Bushs trieb gerade die Kräfte in hohen Ämtern (wie Präsident Khatami und seine Vertrauten), die ein wenig Reform und einen besseren Kontakt zu Washington auch aus wirtschaftlichen Gründen suchen, mit Verve ins Lager der Gegner zurück. Die Bush-Rhetorik, verbundenen mit dem Aufmarsch gegen den Irak, trieb die »staatstragenden Reformer« in eine gemeinsame Front mit den Orthodoxen.

Das Atomprogramm des Iran

Es bleibt die Geschichte und Gegenwart des iranischen Atomprogramms. Es begann mit zwei Reaktoren in Bushehr an der Golfküste. 1976 hatte die Regierung in Teheran einen Vertrag mit einem deutschen Konsortium über den Bau von zwei Atomkraftwerksblöcken vom Biblis-Typ in Bushehr abgeschlossen. Nach dem Ausstieg der deutschen Firmen 1987 stieg die russische Regierung ein. 1995 unterzeichneten die zuständigen Minister ein Abkommen über den Bau eines 1000-MW-Reaktors für 800 Millionen Dollar an der Stelle, wo Kraftwerksunion (KWU) und Hochtief einmal angefangen hatten. Die Fertigstellung war für März 2004 geplant, die Anlage war aber schneller betriebsbereit. Ein zweiter Reaktor soll folgen, insgesamt denkt der Iran an den Bau von 15 Atomkraftwerken.
1970, im gleichen Jahr der Ratifizierung des Nichtweiterverbreitungsvertrags für Atomwaffen (Non-Proliferation Treaty — NPT) trat der Iran diesem bei. Die Nuklearanlagen im Lande unterliegen seit 1974 der Kontrolle durch die Vor-Ort-Inspektionen der Internationalen Atomenergiekommission (IAEO). Über Bushehr hinaus besteht der iranische Nuklearindustriekomplex aus einer großen Zahl weiterer Anlagen. Der Washingtoner auf moderne Kriegstechniken spezialisierte Internetdienst Global Security zählt 22 Standorte auf, von denen einige allerdings nur kleine Laboreinrichtungen unterhalten.
In Natanz, 100 Kilometer nördlich von Isfahan und 90 Kilometer von Kashan entfernt, arbeitet eine Urananreicherungsanlage. Ihre Existenz wurde im August 2002 durch die Volksmudjaheddin auf einer Washingtoner Pressekonferenz bekannt gemacht. Mohammed El Baradei, der Generaldirektor der IAEO, besichtigte die Anlage im Februar 2003. Die dort eingesetzten Gaszentrifugen stammen möglicherweise aus Pakistan; die Anlage mit beim Endausbau (im Jahre 2005?) insgesamt 5000 Gaszentrifugen ist zu groß für ein Pilotprojekt. Sie könnte genügend Sprengmaterial für vier bis sieben Bomben jährlich erzeugen. Die Lokalisierung einer Anreicherungsfabrik, die aus dem Uran-Rohstoff »Yellow cake« Uran-Hexafluorid (UO6) herstellt, ist umstritten.
Das US-Außenministerium erklärte im Dezember 2002, es besitze Beweise dafür, dass sich nahe der Anlage in Natanz eine Urananreicherungsfabrik befinde. Dies ist durch IAEO-Inspektoren nicht bestätigt worden. Die Existenz einer weiteren behaupteten die Volksmudjaheddin im Juni 2003. Diese Anlage befinde sich in einem Militärkomplex in Kolahdouz, 14 Kilometer westlich von Teheran. Militärtechnische Anlagen in Lavizan bei Teheran sind 1999 durch einen Bericht der Jerusalem Post ins Gerede gekommen, in dem behauptet wurde, der Iran verfüge bereits über vier Atombomben und habe sie dort gelagert.

Amerikanische Einwände, iranische Reaktionen
Die US-Regierung hält das AKW Bushehr für gefährlich, weil dort waffenfähiges Plutonium erzeugt und durch die fachliche Ausbildung das Wissen der iranischen Militärs über Atomwaffen erhöht werden könnte; außerdem erklärt sie, die russische Beteiligung könne ein Deckmantel für eine ganz anders geartete, nämlich militärische Atomzusammenarbeit sein. Seit 1992 können IAEO-Inspekteure die iranischen Nukleareinrichtungen besichtigen und dem NPT-Vertrag gemäß kontrollieren. Vertragsverstöße haben sie bis 2003 nicht registriert. Das überzeugt aber die Iran-Gegner in den USA nicht. Nach ihrer Ansicht verfolgt der Iran eine Nuklearpolitik, die derzeit auf die Ansammlung von Wissen abzielt, das im Falle einer politischen Entscheidung sofort für die Atomwaffenentwicklung eingesetzt werden könne. Die technischen Anlagen seien ohnehin in beiden Richtungen verwendbar.
Dass der Iran aber Atomwaffen besitze, hat bis Mitte 2003 keine seriöse US-Institution behauptet, die verschiedenen Regierungsinstitutionen eingeschlossen. Die Los Angeles Times veröffentlichte in den ersten Augusttagen 2003 die bisher ausführlichste journalistische Untersuchung über das Thema und kam zu dem Ergebnis, dass der Iran »anscheinend im letzten Stadium der Entwicklung von Kapazitäten zum Bau von Nuklearwaffen« angelangt sei, was immer das konkret bedeutet; dass keiner sagen könne, wann der Iran seine erste A-Bombe herstellen könne; dass es sich um zwei oder drei Jahre handeln könne.
Eine fast gleiche Frist bis zur ersten Bombe meinte der Bundesnachrichtendienst auch erkannt zu haben: »Binnen zwei Jahren«. Das war allerdings im April 1984 und erwies sich als leicht übertrieben. Acht Jahre später, 1992, hielten die Geheimdienste Israels und der USA es für möglich, dass der Iran innerhalb von acht bis zehn Jahren (2000—2002) Nuklearmachtstatus erreichen könne. Mitte der 90er Jahre rechneten die US-Dienststellen mit einer Fünfjahresfrist (bis 2000), das regional zuständige Militärkommando der USA Centcom in Tampa (Florida, jetzt an den Golf verlegt) rechnete 1998 mit dem Jahre 2005.
Im Januar 2000 — interessanterweise zum Auftakt eines Wahljahrs, in dem sehr viel von Sicherheit und Strategie die Rede sein sollte — beschleunigte die CIA die Terminplanung. Nicht weil eine Flut neuer Erkenntnisse vorlag, sondern weil nichts Neues bekannt war und das Wenige nicht klar und deutlich genug. Weil man nicht wissen kann, wo der Feind die Waffen versteckt hat, weiß man umso sicherer, dass er sie versteckt hat: Die rhetorische Figur beherrschte die Diskussion vor dem Irakkrieg, bevor sie in der Kiste »Verbrauchte nützliche Lügen« verschwand. Übrigens haben alle anderen Geheimdienste der USA das ganze Jahr 2000 hindurch den Schluss ihrer CIA-Kollegen nicht nachvollziehen können. Es blieb auch 2003 beim »Könnte möglicherweise«.
Das ist genau die Ungenauigkeit, die nach Bedarf herangezogen werden kann, um einen Präemptiv- oder Präventivkrieg zu führen. Der Bush-Doktrin zufolge reicht die Absicht schon aus. Wahrscheinlich gibt es ein Nuklearwaffenprogramm des Iran. Die Bush-Doktrin kann sogar zu seiner Beschleunigung beigetragen haben; denn so wehr- und waffenlos wie der kleinere Nachbar Irak wird die iranische Despotie nicht abtreten. Der koreanische Parallelfall ermuntert geradezu, sich so zu verhalten, wie die USA schon immer behaupten: Wenn man mit einer eigenen Nuklearwaffe Schaden anrichten kann, dann werden die USA zögern, ihre Nuklearwaffen einzusetzen.
Das ist die Rückkehr zur Abschreckungstheorie, nur dass die Abschreckungspotenziale kleinerer (und neuer) Atommächte asymmetrische, kleinere Bedrohungen der USA darstellen. Dabei geben sie wiederum die Rechtfertigungstheorie für die Verfechter der Raketenabwehr (MD) ab, die nach bisherigem Kenntnisstand keinerlei Schutz gegen einen Angreifer mit den Kapazitäten Russlands oder Chinas (vielleicht noch nicht im Jahre 2003, aber demnächst) bietet und höchst unzuverlässig gegen den Angriff mit auch nur einer Rakete erscheint.
Das MD-Programm bringt der einschlägigen Industrie einen gigantischen Auftrags- und Kapitalzufluss. Militärisch nützt es nichts. Doch die iranischen Konfrontationsfreunde können zu dem Ergebnis kommen, dass eben deshalb ihre eigene Atom- und Raketenrüstung beschleunigt werden muss als eine wenigstens geringe Sicherheit gegen einen US-Krieg. Was der Rumsfeld-Flügel der US-Politik als Verringerung der nuklearen Kriegsgefahren zu verkaufen versucht, kann — im Gegenteil — das Wettrüsten anheizen.
Die Teheraner Hardliner haben diese Botschaft offenbar verstanden. Sie lancieren Nachrichten, der Iran beherrsche jetzt den gesamten nuklearen Kreislauf. Den Beitritt zu einem Zusatzprotokoll des NPT-Vertrags lehnen sie ab; er würde der IAEO, die den entsprechenden Vorschlag im Juni 2003 unterbreitete, ausgedehntere Inspektionsmöglichkeiten in den Anreicherungsbetrieben wie Natanz einräumen und der internationalen Behörde erleichtern, zuverlässige Feststellungen über das »Nichtvorhandensein von Nuklearwaffen« zu machen. Die Drohung, aus dem NPT-Regime ganz auszuscheiden, wie es Nordkorea vorgemacht hat, war im Sommer auch im Irak zu hören.
Eine Menge von 1,8 Tonnen Natururan, das 1991 aus China bezogen wurde, meldete der Iran erst im Februar 2003 dem IAEO-Chef El Baradei. Die Extraktion hätte nicht einmal 300 Gramm schwach angereicherten Urans erbracht; für eine Uranbombe sind rund 20 Kilogramm erforderlich.
Auf Russland versuchen die USA Druck auszuüben, dass es aus der Zusammenarbeit mit dem Iran in Bushehr aussteigt. Das hat Russlands Atomminister Rumjanzew ebenso abgelehnt wie Präsident Putin; auch die Waffenverkäufe (T-72-Panzer, U- Boote der Kiloklasse, ballistische Raketen) gingen weiter. Einen Umfang wie die US-Verkäufe zu Schahzeiten erreichen sie auch dann nicht, wenn die chinesischen Lieferungen (»Seidenraupen«-Raketen) und der Erwerb nordkoreanischer Kurzstreckenraketen mitgerechnet wird. Das Interesse des Iran an Küstenschutz und an einer gewissen Kontrolle über die Meerenge von Hormuz, in der Schah Mohammed Reza die Inseln Abu Musa, Große und Kleine Tunb in den 70er Jahren annektierte, ist nicht illegitim; doch die USA haben ihre alte Lehre von der lebenswichtigen Herrschaft über die Öltransporte aus dem Golf, und die müssen die besagte Meerenge passieren.

Ein Kronzeuge für Washington
Eine ganz überraschende verbale Waffe brachten die Freunde der Intervention in den ersten Augusttagen 2003 in Stellung. Sie heißt Sayid Hussein Khomeini und ist der 45 Jahre alte Enkel des revolutionären Ayatollahs. In Bagdad, und zwar in der von den US-Besatzungstruppen für einen irakischen Geistlichen requirierten Residenz des hochrangigen Baath-Funktionärs und Vizevorsitzenden des bisherigen Revolutionären Kommandorats, Izzat Ibrahim, verkündete Hussein Khomeini britischen Journalisten, »die amerikanische Freiheit ist die beste Freiheit der Welt«, die persönlichen Freiheitsrechte der US-Verfassung seien »in dieser Konzentration in keiner anderen Verfassung der Welt zu erkennen, die Amerikaner sind hier im Irak, also ist auch die Freiheit hier«. Die logische Folge: »Die Iraner brauchen jetzt Freiheit, und wenn sie sie nur durch amerikanische Einmischung bekommen können, werden sie auch das, glaube ich, begrüßen. Als Iraner würde ich das begrüßen.«
Einen solchen Appell, der ein wenig wie der Prager Hilferuf um brüderliche sozialistische Hilfe gegen die Frühlingswinde der Reformer von 1968 klingt, hat noch keine erkennbare politische Kraft im Lande selbst inszeniert. Vielleicht ist der Khomeini-Enkel der beste Freund, den die USA sich kaufen konnten.
Dies ist ein Teilchen der psychologischen Vorbereitung auf die Intervention, deren Details im Pentagon erarbeitet werden und nicht an Orten, an denen man Persisch spricht. Die Puzzleteilchen und die in stetem Wechsel gestreuten Meldungen über die von Teheran ausgehende Gefahr, auch wenn sie statt an Fakten eher an die Tradition der Märchen anknüpfen, die Scheherazade tausendundeine Nacht lang dem Kalifen erzählte, lassen ein Muster erkennen. Im 19.Jahrhundert hätte man es »Vorbereitung zur Mobilmachung« genannt.

Karl Grobe-Hagel

Auszug aus Karl Grobe-Hagel, Irakistan. Der Krieg gegen den Irak und der »Kreuzzug« der USA, Köln: Neuer ISP Verlag, 2003, 240 Seiten, 17,80 Euro.



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