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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 13

Rückeroberung des Alltags

Über fortschrittliche Kommunalpolitik am Beispiel der KPÖ Graz

Nicht erst, seit sie bei den letzten Kommunalwahlen über 20% bekommen hat, ist die Kommunistische Partei Österreichs in Graz ins Gespräch gekommen. Seit vielen Jahren wird ihre Kommunalpolitik als Beispiel einer fortschrittlichen Kommunalpolitik diskutiert. Auf einer von der SoZ mitgetragenen Konferenz in Berlin Ende September hielt der Vorsitzende der KPÖ Steiermark und Grazer Stadtrat, Franz Stephan Parteder, einen Beitrag über die Kommunalpolitik als Beitrag zur Entwicklung gesellschaftspolitischer Alternativen. Es folgt ein Auszug aus der Rede Parteders.
Die Gemeinden in Österreich werden immer mehr zu Brennpunkten gesellschaftlicher Widersprüche. Während die arbeitenden Menschen von den Gemeinden zu Recht umfassende soziale Dienstleistungen und demokratische Mitentscheidungen fordern, werden die Möglichkeiten, diese Ansprüche auch einzulösen, durch die Untergrabung der finanziellen Grundlagen der Kommunen und durch restriktive Bestimmungen der EU und des Gesetzgebers in Österreich auf kommunaler Ebene zunehmend eingeschränkt.
Die Gemeinden sind keine unabhängigen politischen Subjekte im politischen System. In den Gemeinden werden aber viele Widersprüche deutlicher und sichtbarer. Auch und gerade der Konflikt zwischen dem Anspruch auf Autonomie und der sich konträr dazu entwickelnden Finanzlage macht deutlich, dass Kommunalpolitik als Teil der Gesamtpolitik, als Feld einer allgemeinen politischen Auseinandersetzung zu sehen ist.
Durch eine kluge und fortschrittliche Kommunalpolitik können wir Ansehen bei der Bevölkerung gewinnen, können an sozialen Brennpunkten und gemeinsam mit Teilen der Arbeiterklasse arbeiten, die von den herrschenden Parteien vergessen werden.
Wir können Alternativen entwickeln und gleichzeitig aufzeigen, dass diese Alternativen an Systemgrenzen stoßen. Und wir machen Erfahrungen in und mit dem politischen System des Kapitalismus, die unsere Einsichten in die Funktionsweise des bürgerlichen Staates vertiefen.
In Graz haben wir eine wichtige Etappe auf diesem Weg zurückgelegt. Die Gemeinderatswahl in der zweitgrößten Stadt Österreichs mit knapp 250000 Einwohnerinnen und Einwohnern brachte uns fast 21% der gültigen Stimmen, 12 Mandate im Gemeinderat, 2 Stadträte und 25 Mandate in den Bezirksversammlungen. Stadtrat Ernst Kaltenegger ist für Wohnen zuständig, Stadträtin Wilfriede Monogioudis für Konsumentenschutz, Gesundheit und Wirtschaftsbetriebe. Was wir in Graz tun oder lassen, wird österreichweit beobachtet. Ernst Kaltenegger ist der bekannteste Kommunist Österreichs geworden. Und das bedeutet: Man muss sich bei uns nicht daran gewöhnen — und hier zitiere ich den österreichischen Schriftsteller Erwin Riess — »dass radikale Linke lächerlich, wirkungslos und weltfremd zu sein haben«. Ohne die mühselige Arbeit über viele Jahre hinweg, ohne die Konzentration auf Themen wie Wohnen und Privilegien, wären Ernst Kaltenegger und die KPÖ Graz nicht so weit gekommen.
Wir sind in Graz mit über 20% der gültigen Stimmen in der Stadtregierung angekommen. Wir betrachten unsere Position aber nicht als Annäherung an das, was ohnehin die meisten sagen und tun. Wir wollen die Stellung, die wir erreicht haben, ausnützen, um Angriffe auf die arbeitenden Menschen abzuwehren und um die Bedingungen für gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu verbessern.
Ein Beispiel ist die Diskussion um ein mögliches Regierungsbündnis von SPÖ, KPÖ und Grünen im Grazer Rathaus. Dieses Bündnis wäre rechnerisch möglich gewesen, hätte uns als KPÖ aber in die missliche Lage gebracht, als Juniorpartnerin die Sozialabbaumaßnahmen und Privatisierungsschritte, die der herrschenden Logik entsprechen, mitzutragen und zu begründen. Der innere Zusammenhang zwischen unserer Arbeit vor Ort und unseren Zielen wäre zerrissen, unsere Verbindung mit jenen Menschen, die hoffen, dass wir anders sind als die anderen Parteien, wäre nicht mehr gegeben gewesen.
»Unsere Kommunalpolitik«, so formuliert es unser Programm, »steht immer im Spannungsfeld zwischen einer sozialen Servicefunktion und damit verbundener pragmatischer Selbstbeschränkung einerseits und einem gesellschaftsverändernden Anspruch andererseits. Sie zielt auf solidarisches und sozial orientiertes Handeln und Ermunterung zur Selbsttätigkeit anstelle von Stellvertreterpolitik.«
Fortschrittliche Kommunalpolitik kann auf vielfältige Weise zur Entwicklung gesellschaftspolitischer Alternativen beitragen. Das reicht vom Erproben neuartiger Initiativen und Einrichtungen, die eine soziale Entwicklung in der Kommune befördern, bis zu Formen der direkten Beteiligung der Bevölkerung an der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten in der Gemeinde. Diese Erfahrungen verdienen es, untersucht und verallgemeinert zu werden. Dabei ist unser Ziel kein kommunaler Kommunismus. In unserer praktischen Arbeit stoßen wir sehr rasch an die Grenzen, die uns durch die EU und durch die österreichische Bundespolitik gezogen werden.
Es geht um die klassische Aufgabe des Heranführens einer Mehrheit der werktätigen Bevölkerung an die Frage der Gesellschaftsveränderung in Richtung Sozialismus und auch an die Frage der Macht. Hier muss jede kommunistische Partei, die wirklich die Lehren aus dem Scheitern des Realsozialismus ziehen will, von Anfang an solche Formen der inneren Organisation und des Zusammenarbeitens mit den Leuten finden, die Machtmissbrauch und Entfernung von den Massen ausschließen. Gerade hier finden sich auf kommunaler Ebene viele gute Beispiele: Wie arbeiten Menschen unterschiedlicher Weltanschauung in Bürgerinitiativen zusammen, wie gelingt es, die Konzentration auf ein gemeinsames Ziel mit innerer Demokratie und mit Debatten zu verbinden? Das Pochen auf die Avantgardefunktion einer Kommunistischen Partei und auf die Lehre von der Partei Neuen Typs helfen in diesem Zusammenhang wenig. Trotzdem gibt es sehr gute Argumente, auch bei den Klassikern, für die Verteidigung von Parteistrukturen.
Es steht uns gut an, bescheiden aufzutreten und auch von den Erfahrungen anderer Gruppen und Bewegungen zu lernen. Wir müssen herausfinden, wie wir Schritt für Schritt vorankommen. Genau hier sollten unsere Analysen der Arbeit auf kommunaler Ebene ansetzen, um zu Verallgemeinerungen zu kommen.
Und schließlich: Woran erinnern sich die Menschen, wenn sie an die Leistungen der fortschrittlichen Arbeiterbewegung in der Vergangenheit denken, am ehesten? Es sind dies das »Rote Wien« der Zwischenkriegszeit mit seinen Gemeindebauten, es ist die vorbildliche Kommunalpolitik der 50er und 60er Jahre in Italien oder Frankreich, und es sind, wenn man sich in den ehemaligen sozialistischen Ländern umschaut, am ehesten Dinge des Alltags, die positiv im Gedächtnis bleiben. Auch daran sollten wir denken, wenn wir darangehen, neue Gesellschaftsmodelle zu entwerfen. Haltbar ist letzten Endes nur das, was der Bevölkerung ganz konkret nutzt.

Franz Stephan Parteder

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