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Der Tagungsort für die 5.Ministerkonferenz der WTO hätte nicht besser gewählt sein können.
Cancún war vor 25 Jahren ein unbedeutendes Fischernest. Heute säumen Bettenburgen ausländischer Hotelketten den Traumstrand, zwischen
5-Sterne-Luxus, Disneyland und Ballermann. Diejenigen, die die überwiegend US-amerikanischen und deutschen Pauschaltouristen auf der Lagune mit
der Hotelphalanx bedienen, wohnen auf dem Festland in Slums, wo Wasser und Strom täglich bestenfalls zwei bis fünf Stunden verfügbar
sind.
Cancún zeigt die krasse Widersprüchlichkeit der Globalisierung. Für wen
hat der Ferntourismus Entwicklung gebracht? Für die Fischer und Bauern an der »Riviera der Mayas« nicht, denn sie wurden von ihrem Land
vertrieben. Für die Hotelangestellten und Reinemachefrauen auch nicht, deren Tageslohn höchstens 4 Euro beträgt. Die Umwelt wird zu
Markte getragen und verbraucht. Das Grundwasser ist verpestet, Trinkwasser fließt in einer Pipeline aus dem Landesinnern an die Küste, die
Versorgung ist privatisiert. Die sattgrünen Rasen vor den Hotels werden täglich gewässert, ein Viertel der Stadtbevölkerung auf dem
Festland hat keine Wasserversorgung. Der touristische Müll wird landeinwärts zum einzigen Berg in der flachen Landschaft aufgehäuft.
Die Bevölkerung der Halbinsel Yucatán konzentriert sich in den Städten
und in der Zuliefer- und Infrastruktur des Tourismus. Die Einfallsschneisen zu den präkolumbianischen Sehenswürdigkeiten sind von stickenden
Maya-Frauen, schnitzenden Maya-Männern und einem Überangebot handwerklicher Produkte gesäumt. Landwirtschaftlich wird die Halbinsel
immer weniger genutzt.
Im Sierra-Hotel führen Mannequins die neueste Strandkollektion am Swimmingpool
vor, während drinnen die NGOs diskutieren, ob die Abkommen der WTO das einlösen, was sie versprechen: Entwicklung. Der Lackmustest
für die Bereitschaft der OECD-Länder zu einer »Entwicklungsrunde« ist die Landwirtschaft. Die zu einer neuen Allianz
zusammengeschlossenen Länder des Südens verlangen von der EU, Japan und den USA einen Abbau der Subventionen, weil sie dazu führen,
dass Billiggetreide, -fleisch und Milchpulver in den Süden gedumpt werden und die Produkte einheimischer Bauern auskonkurrieren. Die USA haben ihre
Agrarsubventionen kürzlich gar um 80% erhöht.
Seit Inkrafttreten von NAFTA, dem Freihandelsabkommen zwischen USA und Mexiko, 1994
mussten 2 Millionen mexikanische Bäuerinnen und Bauern ihr Land verlassen, vor allem weil US-amerikanischer Billigmais die Märkte
überflutet. Gleichzeitig bauen ausländische Investoren des Agrobusiness auf mexikanischen Böden die Plantagenindustrie für den
Export aus. Junge Frauen aus kleinbäuerlichen Zusammenhängen sind begehrte Saisonarbeiterinnen auf den riesigen Gemüsefeldern.
Eine Studie über die Produktions- und Handelsketten von Tomaten von den
mexikanischen Plantagen bis zu den Supermärkten in New York und Kanada stellte fest, dass die Mehrzahl der Beschäftigten am einen wie am
anderen Ende niedrig entlohnte Stoßzeitarbeiterinnen sind. In den Lagerhallen wie an den Regalen und Kassen in den Supermarktketten Nordamerikas sind
die meisten Billigjobbeschäftigten Migrantinnen aus Mittelamerika.
Entgegen den Wachstums- und Jobversprechen, mit denen NAFTA in Mexiko verknüpft
wurde, ist die Zahl derjenigen, die die Grenze zu den USA legal oder illegal überschreiten, in den letzten Jahren stetig gestiegen. Für viele
mexikanische Familien ist die Drehtürmigration eine kollektive Überlebensstrategie: Einzelne oder mehrere Familienmitglieder gehen für ein
paar Monate oder auch Jahre zum Jobben in das gelobte Land, kehren zurück und migrieren nach einiger Zeit erneut als Land- oder Lagerarbeiter oder als
Hausangestellte. Zunehmend sind auch Frauen ganz selbstverständlich in diese Rotation einbezogen.
Die Einführung von NAFTA 1994 und die Abwertung des Peso kurbelten die Exportorientierung der mexikanischen Wirtschaft heftig an. Im
Unterschied zu den Enklaven von Maquiladoras, den Exportfabriken entlang der texanischen Grenze seit den 70er Jahren, durchdringt die Exportproduktion nun
mehr Teile des Landes. Nicht nur, dass immer mehr Exportproduktionszonen für die Bekleidungs-, Elektronik- und Autozubehörindustrie
geschaffen wurden, die Fertigung von Exportgütern wird auch zunehmend dezentralisiert, einzelne Herstellungsschritte in Heimarbeit oder kleine
Zulieferbetriebe ausgelagert.
Diese neue Generation von Exportindustrien ist diversifizierter und technologisch stärker
aufgerüstet. Das führt zu einem wachsenden Männeranteil unter den Lohnarbeitenden in den Fabriken, während Frauen die Mehrzahl
der Beschäftigten in den ausgelagerten und am schlechtesten bezahlten Jobs stellen. Die voll auf neoliberalem Kurs befindliche Regierung Mexikos lehnte
es im Jahr 2000 ab, den OECD-Verhaltenskodex für multinationale Konzerne einzuführen und zeigt keine Bereitschaft, Menschen-, Frauen-,
Arbeits- und Umweltschutzrechte durchzusetzen, um Investoren nicht zu verschrecken. In vielen Fabriken ist es üblich, dass Frauen Schwangerschaftstests
machen müssen: Schwangere werden nicht eingestellt oder sofort entlassen.
In den 400 ausländischen Firmen der Freihandelszone von Ciudad Juarez können
Arbeiterinnen Spitzenlöhne von 45 Euro in der Woche verdienen. Doch die Zwei-Millionen-Stadt Juárez macht nicht nur Schlagzeilen als
Jobmaschine für junge Frauen vom Land, sondern auch als Ort der Gewalt. Mehr als 350 Arbeiterinnen wurden in den letzten Jahren vergewaltigt, brutal
ermordet und in der Wüste am Stadtrand verscharrt. 700 weitere sind verschwunden.
Polizei und Behörden kümmern sich merkwürdigerweise wenig um die
mysteriösen Morde und behaupten, die Ermordeten seien Prostituierte gewesen, die von einem geisteskranken Serienmörder verfolgt worden
wären. Frauenorganisationen haben eine andere Erklärung: »Die Gewalt ist ein Gegenschlag von Männern gegen die neue Frauenrolle,
die die Arbeiterinnen hier leben.« Die Morde werden als grausame Methode interpretiert, Frauen für ihre neu gewonnene Mobilität und
Selbständigkeit abzustrafen.
Ungeachtet all dieser Schattenseiten der neoliberalen Globalisierung präsentieren
Ökonomen NAFTA als Erfolgsprojekt: der Handel zwischen Mexiko und den USA habe sich dadurch verdreifacht. Die nackten Wachstumszahlen
schweigen über die immensen sozialen Kosten, die die Mehrzahl der Bevölkerung trägt. Die USA drängen massiv auf eine Ausweitung
des neoliberalen Projekts: ALCA ein Freihandelsabkommen zwischen den nordamerikanischen und allen südamerikanischen Staaten ist in der
Mache.
Christa Wichterich
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