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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 18

Die EAL in Deutschland und die Europawahlen

Zwei Diskussionsbeiträge zur Debatte in SoZ 10/03


I. Pro und Contra

Bevor ich einige Anmerkungen zu der Frage mache, ob die Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) in Deutschland sich mit einer eigenen Liste an den Europawahlen im Sommer 2004 beteiligen sollen, muss ich in aller Kürze erklären, weshalb ich mich zu einer Diskussion äußere zwischen Gruppen, denen ich nicht angehöre. Ich bin weder Mitglied der PDS noch des Geraer Dialogs, noch der DKP, noch einer der beteiligten kleinen »trotzkistischen« Gruppen. Außerdem habe ich die Traditionen des sog. »revolutionären« Sozialismus oder Kommunismus immer sehr kritisch betrachtet. Ich habe zumindest in den Gesellschaften des voll entwickelten liberal und demokratisch verfassten Kapitalismus niemals einen anderen politischen Weg als den friedlicher demokratischer Reformen für sinnvoll gehalten. (Außerhalb des sog. »Nordens«, etwa in Mexiko oder Brasilien könnten sich u.U. meiner Meinung nach sehr wohl »revolutionäre« Situationen im traditionellen Sinne ergeben, die demgemäß auch eine »revolutionäre« Strategie erfordern würden.) Nichtsdestoweniger bin ich Antikapitalist, und zwar auf der ideellen Grundlage der marxschen Kritik der Politischen Ökonomie. Ich vertrete also einen Standpunkt, der den meisten Anhängern der EAL vermutlich als ein hölzernes Eisen erscheinen wird, nämlich einen reformistischen Antikapitalismus.
Ich verfolge also die Bestrebungen der EAL einerseits mit großer Sympathie für ihre grundsätzliche Haltung, aber doch in erheblicher Distanz zu ihren diversen mir häufig widersprüchlich und oftmals unrealistisch erscheinenden politischen Strategien. Insofern kann ich also die Auffassungen von Christoph Jünke (C.J.) ihrer Zielsetzung wegen gut verstehen und würdigen, sie aber auch gewissermaßen aus Distanz sehen und kritisieren.
Sehr vieles von dem, was C.J. in seinem Kommentar anführt erscheint mir daher — wenn ich eine antikapitalistischen Standpunkt zugrunde lege — als konsequent und zumindest diskussionswürdig.
Die PDS ist in ihrer Mehrheit auf dem Wege — wie vor ihr schon die SPD — ihren programmatisch verkündeten »Sozialismus« allmählich umzuinterpretieren und fallen zu lassen.
Die durchaus in Deutschland vorhandene radikale Linke ist »zersplittert, marginalisiert und weitgehend konzeptionslos«.
Die von ihr betriebenen jeweiligen »eigenen Zeitungs- und/oder Organisationsprojekte« reichen nicht aus, um an dieser Situation etwas zu ändern.
Ein »neuer programmatisch ausgewiesener Antikapitalismus« wäre erforderlich, »um die Hegemonie des neoliberalen Einheitsdenkens, des Glaubens an die scheinbare Alternativlosigkeit des Kapitalismus aufzubrechen«.
Dieser neue Antikapitalismus entsteht jedoch nur zum Teil am Schreibtisch. Ohne »praktische politische Teilnahme an dieser Gesellschaft«, an Klassenkämpfen, sozialen Bewegungen oder auch Wahlen kann er weder entstehen noch sich durchsetzen.
Aus diesen Feststellungen folgert C.J.: Die Beteiligung der EAL in Deutschland an den Europawahlen könnte ein erster Schritt auf dem Wege zu einer eigenen gemeinsamen politisch-gesellschaftlichen Praxis der antikapitalistischen Linken sein und wäre überdies ein Signal von symbolischer Bedeutung.
C.J.s Gedankengang enthält jedoch zwei fundamentale Mängel: Er verkennt die Schwäche der real existierenden antikapitalistischen Linken in Deutschland. Und er diskutiert nicht die möglichen Auswirkungen einer EAL- Wahlbeteiligung auf die Situation der PDS.
C.J.s illusionäre Überschätzung der antikapitalistischen Kräfte wird in einer kleinen Randbemerkung sichtbar: »Bereits ein kleiner symbolischer Erfolg auch unter der 5%-Hürde hätte vermutlich große Wirkungen.« Die PDS hat 2002 bei den Bundestagswahlen im Westen (und nur um den geht es hier) durchschnittlich 1% erreicht, mehr nicht. Wie kommt C.J. auf die Idee, eine selbstständige antikapitalistische Europa-Liste könnte sich derzeit auch nur von ferne der 5%-Grenze annähern?
Und was die Wahlchancen der PDS anbetrifft: Diese müsste im ganzen deutschen Wahlgebiet um 1,5% gegenüber 2002 zulegen, um nicht auch aus dem Europaparlament heraus zu fliegen. Eine eigene EAL-Kandidatur (wie minimal ihr Ergebnis auch immer sein würde) ginge jedenfalls zulasten der aktuellen und potenziellen PDS-Wählerschaft. Wie unter diesen Umständen die PDS wieder — nach 4% bei den Bundestagswahlen — die 5%-Hürde nehmen sollte, ist unerfindlich.
Und was ein solches Ergebnis für die Bundestagswahlchancen der PDS 2006 bedeuten würde, mag sich jeder selbst ausmalen. Ich frage: Ist es wirklich die Meinung von C.J., die PDS müsse so bald wie möglich zerstört werden? Wenn ja, dann müsste er dieses Ziel sorgfältig begründen und es vor allem offen benennen und diskutieren.
Diese Einwendungen müssen jedoch keineswegs darauf hinauslaufen, dass die EAL in Deutschland in diesem Wahlkampf politisch überhaupt nicht in Erscheinung tritt oder sich lediglich für die Wahl der PDS-Listen als »geringeres Übel« ausspricht. Viele globalisierungskritische, gesellschaftskritische, z.T. sogar kapitalismuskritische Organisationen, Bewegungen, Tendenzen könnten in der nächsten Zeit erkennen, dass mit einer einzigen (hoffentlich »machtvollen«) Protestdemonstration am 1.November der Kampf noch nicht ausgestanden ist, dass er vielmehr dann erst wirklich anfängt, und dass der Europawahlkampf eine gute Gelegenheit bietet, eine länger andauernde Kampagne der Aufklärung über die Folgen neoliberaler Politik zu beginnen. Im Bündnis mit Attac, linken Gewerkschaftlern, der Sozialforumsbewegung und vielen anderen könnten die Freunde der EAL ihre eigene antikapitalistische Kritik in das gemeinsame Aktionsprogramm einer solchen Kampagne einbringen, und damit in einem wesentlich größeren Umfang Gehör finden, als in einem selbstständigen — und mit Sicherheit weitgehend als sektiererisch empfundenen — Wahlkampf für eine eigene Europa-Wahlliste.

Peter von Oertzen, Hannover

II. Pro

Ich finde Jünkes Argumentation überzeugend, und ich unterstütze die Idee einer Kandidatur der EAL-D. Jedoch er macht zwei Fehler, die eventuell gegen sein Anliegen wirken könnten.
Genau wie der Sprecherrat des Geraer Dialogs argumentiert er leider auch (obwohl nicht ausschließlich) wahlarithmetisch. Er schreibt: »Bereits ein kleiner symbolischer Erfolg auch unterhalb der 5%-Hürde…« Diese ewige Wahlarithmetik! Sollte eine Umfrage Anfang des nächsten Jahres zeigen, dass eine EAL-Liste bei der Wahl 0,1% der Stimmen bekommen würde, was sicherlich nicht als ein kleiner Erfolg zu bewerten wäre, sollte dann das Unterfangen abgeblasen werden? Ich meine, nein. Der Maßstab für den Erfolg dieses Unterfangens sollte nicht die Zahl der für die EAL-Liste abgegebenen Stimmen sein, sondern die Zahl der Wahlveranstaltungen und Infotische und die Zahl der Menschen, die zu diesen kommen. Und selbst wenn dabei das Ergebnis schlecht ausfiele, gäbe es keinen Grund, demoralisiert zu sein. Bei so vielen unwichtigen Sachen spielen wir mit, obwohl wir von Anfang an wissen, dass wir verlieren würden. Warum sollen wir also nicht bei dieser wichtigen Sache mitspielen? Das ist Pflicht.
Jünke schreibt, dass es notwendig ist, den Antikapitalismus der EAL »programmatisch auszuweisen«. Richtig, aber das ist nur mittelfristig oder gar nur langfristig notwendig, nicht für die Kandidatur zur Europawahl. Jeder Versuch, heute irgendeine Art gemeinsames Programm zu verfassen, sei es auch nur ein Katalog von konkreten Forderungen, würde wegen der zahlreichen Differenzen unter den Linken das Scheitern des Unterfangens verursachen. Die Leser-Zuschrift der KOVI (SoZ 10/03) liefert genug Begründung für diese Befürchtung. Der erste, wenn nicht der alleinige Zweck dieser ersten Übung sollte die Verbreitung der Überzeugung sein, dass unter dem Kapitalismus keine gerechte und solidarische Lösung der großen Probleme möglich ist. Ein gutes Nebenprodukt davon wird sein, dass die (potenziellen) Nichtwähler eine Möglichkeit bekommen, ihren Protest gegen die Politik der herrschenden Parteien auszudrücken. Ob sie davon Gebrauch machen würden, ist für die Entscheidung für eine EAL-Wahlliste unwichtig.
Bleibt nur ein Argument gegen die Idee: Die EAL-D-Liste würde der PDS schaden. Richtig. Aber die PDS ist doch keine antikapitalistische Partei! Die Genossen des Geraer Dialogs leiden unter einer Illusion.
Mein letzter Punkt: die europäische Linke ist zu groß und noch zu vielfältig. Die Gründung einer EAL wäre also eine zu sperrige Sache. Für den Anfang sollte man also eine DAL anstreben.

Saral Sarkar, Köln

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