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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 19


Edward Said 1935—2003

Nachruf

Mit dem Tod von Edward Said hat die palästinensische Nation ihre am deutlichsten vernehmbare Stimme gerade in jener nördlichen Hemisphäre verloren, in dem das andauernde Leiden des palästinensischen Volkes im Großen und Ganzen ignoriert wird. Said lebte und arbeitete in dieser Hemisphäre — genau gesagt im Herzen der amerikanischen akademischen Welt in New York. Und dort gewann er für seine kontroversen Thesen über Kultur und Politik und über die Instrumentalisierung westlicher akademischer Wissenschaft für Herrschaftsinteressen die Bewunderung einiger weniger und den neidischen Hass vieler.
Bald nachdem er mir von seiner Krankheit erzählt hatte, schlug ich ihm vor, ein langes Fernsehinterview für Channel Four in Großbritannien aufzunehmen. Als wir dort gefilmt wurden, während wir über den Campus der Columbia-Universität spazierten, auf dem sein großes Büro als »West Bank« bezeichnet wurde, begegneten wir einer Reihe seiner Kollegen. Lächeln und Höflichkeiten wurden ausgetauscht. In dem Moment, wo sie außer Sicht waren, lieferte Said mir ein gehässiges Porträt der meisten von ihnen. Ein bildfixierter Regisseur hatte jedoch den Ton abgestellt und so wurden die Verbalinjurien nicht für die Nachwelt aufbewahrt. Hass muss rein sein, um wirkungsvoll zu sein, und Said gab sein Bestes.
Nach diesem Interview, in dem er offen über seine Eltern sprach, drängte ich ihn, seine Memoiren zu schreiben. Er sagte, dass er durch die Leukämie mental darauf eingestellt worden sei und dass er bereits begonnen habe, Notizen für dieses Projekt zu machen, das später unter dem Titel Out of Place (deutsch: Am falschen Ort, Berlin 2002) erschienen ist.
Es war der Sechstagekrieg 1967, der die Politik zu einem Bestandteil seines Lebens machte und der ihn veranlasste, seine Identität als palästinensischer Araber zu betonen. Sein Vater, ein palästinensischer Christ, wanderte in die USA aus, wurde US-Bürger und kämpfte im Ersten Weltkrieg. Anschließend kehrte er nach Jerusalem zurück, wo Edward 1935 geboren wurde.
Im Gegensatz zu seinen Verleumdern täuschte er nie vor, ein verarmter palästinensischer Flüchtling zu sein. Die Familie zog nach Kairo, wo sein Vater ein gut gehendes Schreibwarengeschäft eröffnete. Said besuchte eine englischsprachige Eliteschule. Er erhielt den Namen Edward nach dem Prinzen von Wales.
Trotz seines Monarchismus schickte der Vater ihn nicht nach Großbritannien, sondern in die USA. Es waren Harvard und Princeton, die seine Liebe zur Literatur nährten und seine intellektuelle Entwicklung voranbrachten. Frühe Einflüsse kamen von Vico und Auerbach, später kam Gramsci hinzu. Sein erstes Buch Beginnings bleibt in vieler Hinsicht sein intellektuell stärkstes Werk, aber es war Orientalism (deutsch: Orientalismus, 1986 und 1994), das seinen Namen weltweit bekannt machte.
Er schrieb es 1978, als er Mitglied des palästinensischen Nationalrats war: Das Buch spiegelt die polemische Vitalität des Aktivisten und den Eifer des Kulturkritikers wider. Es begründete eine ganze akademische Disziplin, und während Said ohne Zweifel durch seinen Erfolg bewegt und geschmeichelt war, wies er oft die Verantwortung für seine Nachkommen zurück. »Wie kann mich jemand anklagen, ›tote weiße Männer‹ zu kritisieren«, rief er aus, »jeder weiß, dass ich Conrad liebe«. Und er ging dann eine Liste mit postmodernen Akademikern mit ihrer Betonung von Identität und einer heftigen Feindschaft gegen Erzählungen durch und nahm jeden einzelnen von ihnen einen nach dem anderen auseinander. »Schreib das alles auf«, sagte ich ihm einmal. Seine Antwort war: »Warum machst du das nicht?«
Als Culture and Imperialism (deutsch: Kultur und Imperialismus, 1994) erschien, wesentlich selbstbewusster und entkrampfter als Orientalismus, wurden seine Kritiker noch ärgerlicher. Es gab eine ausgiebige Kontroverse mit Ernest Gellner in der Times Literary Supplement. Später suchte Gellner eine Versöhnung, aber Said war unversöhnlich.
Die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens wurden von Palästina dominiert. Als ich ihn einmal fragte, ob das Jahr 1917 irgendetwas für ihn bedeuten würde, antwortete er ohne zu zögern: »Ja, die Balfour-Deklaration.« Er war im palästinensischen Nationalrat aktiv, überwarf sich mit Arafat und denunzierte das Abkommen von Oslo als totale Kapitulation. Die Geschichte hat seine Analyse bestätigt.
Als einer von Arafats Stellvertretern, Nabil Shaath, gebeten wurde, Saids Kritik des Osloer Abkommens zu kommentieren, antwortete er: »Er sollte bei Literaturkritik bleiben. Arafat würde sich auch nicht herablassen, über Shakespeare zu diskutieren.« In Wirklichkeit hatte die Kritik jedoch getroffen und, nachdem sich die Abkommen in Richtung des Mülleimers der Geschichte bewegten, erzählten die Palästinenser einander, dass Said Recht hatte.
Seine andere Liebe war die Musik. Ich erinnere mich, ihn zum Klavierspiel genötigt zu haben, als wir ihn vor langer Zeit in seinem Haus filmten. Zunächst lehnte er ab: Die Berufsmusiker würden seine Darbietung verspotten. Dann stimmte er doch zu. Es war wundervoll, ihm zuzusehen und zuzuhören. Er spielte hervorragend. Er schrieb häufig über Musik für The Nation und er war eine hochangesehene Autorität in der von Neid und Missgunst dominierten Musikwelt. Er liebte die Musik von Wagner. Vor einigen Monaten sprach ich mit ihm darüber, ob er eine Einleitung zu Adornos Studie über Wagner schreiben wolle, die Verso wieder auflegen wollte. Er wurde sehr aufgeregt und versprach, sie zu schreiben, »wenn ich noch am Leben bin«. Er schrieb sie nie.

Tariq Ali

Tariq Ali, international bekannter politischer Publizist und Romanautor. Soeben im Münchner Diederichs-Verlag erschienen, ist sein neuestes Werk: Bush in Babylon. Die Rekolonialisierung des Irak.



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