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Ist die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung eine neue Internationale? Diese Frage diskutierten 60 Wissenschaftler,
Aktivisten und Gewerkschafter, die auf Einladung der Loccumer Initiative Kritischer WissenschaftlerInnen vom 17. bis 19.Oktober in die evangelische
Akademie nach Loccum gekommen waren. Es zeigte sich dabei, dass die Beantwortung dieser Frage ohne eine Analyse der gegenwärtigen
gesellschaftlichen Umbrüche eigentlich nicht möglich ist.
Zwar war man sich einig, dass die Behauptung vom Ende der Politik und der zunehmenden
Ohnmacht der Nationalstaaten reine Rhetorik ist, wie der Ökonom und Politologe Michael Krätke und der WTO-Experte von Greenpeace,
Jürgen Knirsch, darlegten eine schlüssige Deutung der gegenwärtigen Entwicklungen und eine (Selbst-)Interpretation der Bewegung
gelang jedoch nur ansatzweise. So wies Nico Verhagen von der Via Campesina darauf hin, dass sich auf dem Agrarsektor zwei unterschiedliche
Produktionslogiken antagonistisch gegenüberstünden: einerseits die vorwiegend kleinbäuerliche, traditionell auf Nachhaltigkeit und lokale
Märkte orientierte Landwirtschaft, andererseits das export- und profitorientierte Agrobusiness, das versuche, mit der Liberalisierung des Agrarhandels oder
der Forcierung des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen die regionale Landwirtschaft zu zerstören und die lokalen Märkte unter
seine Kontrolle zu bringen. Die Bauern- und Landarbeiterbewegung habe daher erheblichen Druck auf die nationalen Regierungen ausgeübt, die WTO-
Verhandlungen und Cancun scheitern zu lassen und verbuche das als Erfolg. Die Frage nach der Reform oder der Abschaffung der WTO, wie sie innerhalb der
Gobalisierungskritiker diskutiert wird, stelle sich daher nicht.
Das historische Novum, dass eine Organisation der Landbevölkerung die
immerhin noch etwa die Hälfte der Menschheit ausmacht zum international mit am besten organisierten Teil des antikapitalistischen Flügels
der Antiglobalisierungsbewegung gehört, unterstrich der Beitrag von Jeannine Geißler über die neuen gewerkschaftlichen Strömungen.
Zwar gebe es weltweit keinen Mangel an Arbeitskämpfen und ein Teil der Gewerkschaftsbewegungen erprobe intensiv neue Formen des Widerstands. Zu
einer internationalen Organisierung des kollektiven Gesamtarbeiters, der dem Profitsystem eine eigene Produktions- und Reproduktionslogik entgegenstelle, ist
es aber noch ein weiter Weg. Hier könnten Genossenschaften eine Rolle spielen das deutete Wilhelm Kaltenborn an, der implizit die
Verwerfungen des Frühkapitalismus mit heutigen Prekarisierungsprozessen verglich. Die Idee der Genossenschaft sei nicht nur mit unmittelbar materiellen
Interessen, sondern eng mit der Würde der Mitglieder und der Idee der kooperativen Tätigkeit verbunden. Die Selbstverwaltung der Produktion als
Ausdruck einer nichtkapitalistischen Produktionslogik, wie sie am Beispiel des jugoslawischen Modells in die Diskussion gebracht wurde, wurde jedoch nicht
weiter verfolgt.
Ein ähnliche Problematik tauchte bei der Diskussion der organisatorischen Ziele und
Methoden von Attac auf, die Felix Kolb vorstellte: Die Aktivisten von Attac kämen vorwiegend aus gebildeten, aber ebenfalls von
Prekarisierungsprozessen bedrohten oder betroffenen Mittelschichten. Die Selbstorganisierung in netzwerkartigen, horizontalen Strukturen und das
Selbstverständnis als »Volksbildungsbewegung« verweisen möglicherweise auf einen Aspekt, der näher zu untersuchen
wäre: Wenn produktionssteuernde und wissenschaftliche Tätigkeiten gegenüber den manuellen Tätigkeiten weltweit an Bedeutung
gewinnen und infolgedessen auch die Aneignung und Produktion von Wissen müssten sich die Tendenzen für eine neue, nichtkapitalistische
industrielle Produktionslogik dann nicht im Bildungssektor zeigen? Die nächste Tagung soll sich zumindest mit genau diesem Bereich befassen.
Gregor Kritidis
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