SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 4

Nach dem 1.11.

Unproduktive aller Länder vereinigt euch

von Willi Hajek

Im Mittelpunkt dieses 1.November stand die spontane Bereitschaft von vielen Agenda- und Hartz-Betroffenen bei den zumeist von breit getragenen Hartzbündnissen in den verschiedenen Regionen angestoßenen Protesten mitzumachen und sich von unten mit Fantasie und ihren Fähigkeiten einzumischen. Sichtbar war das an den vielfältigen handgeschriebenen Plakaten und umgehängten Losungen. Auch die Kundgebung und die Redner markierten etwas Neues, denn die Redebeiträge gaben der Stimmung der Menschen Ausdruck, sie zeigten auf, dass hier im Lande alltäglich der Krieg gegen Arbeitslose, Kranke, alte Menschen, gegen die Unrentablen und Unproduktiven mit Beleidigungen und Beschimpfungen geführt wird. Es wurde aber nicht nur aufgeklärt, sondern auch Mut gemacht.
Wir sollten nicht vergessen, dass auch bei Hartz schon nicht die Gewerkschaftsführungen aktiv waren, sondern die unterschiedlichsten Initiativen, Verbände und Gewerkschaftsgruppen. Die Gewerkschaftsvertreter saßen in der Hartzkommission und genauso sitzen sie auch den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter und Sozialversicherungen und unterstützen diese »Gegenreformen«. Es gibt in diesem Lande wie übrigens auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern Gewerkschaften und Gewerkschafter, die sich auf den Egoismus und die Entsolidarisierung in Teilen der Lohnabhängigen stützen und diese durch ihr praktisches Verhalten sogar noch verstärken. Diese Regierungs-Gewerkschafter sind Armutsverwalter mit fürstlichem Lohn und offiziell unkündbar. Ihnen kann nur von der Straße gekündigt werden.
In dem Widerstand gegen die Agenda 2010 und all den Maßnahmen, die noch kommen werden, müssen wir versuchen, bei dem zunehmenden »unrentablen und unproduktiven Pöbel«, den betroffenen und leidenden Individuen, den praktischen Widerstandsgeist zu wecken, den kämpferischen Anspruch auf ein schönes oder zumindest bescheidenes und würdevolles Leben. Denn genau das ist doch der Kern der neuen Agendazumutungen: die soziale Entrechtung und Verarmung, also die Enteignung von legitimen Ansprüchen auf Sozialleistungen und auf das Recht, angebotene unzumutbare Arbeit abzulehnen. Durch unsere Praktiken und unsere solidarische und egalitäre Kooperation muss es gelingen, viel mehr Betroffene in diesen Widerstand hereinzuholen und Räume zu schaffen wie die Sozialforen, damit sie sich auch entfalten können. Wir brauchen heute die Militanz derer, die vom Kapital und den Herrschenden zu Überflüssigen und Kostgängern der Nation erklärt werden.
Brauchen wir die Gewerkschaften? Was wir brauchen, sind aktive Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, die in ihrem alltäglichen Tun versuchen, gerade auch in den Betrieben Solidarisierungsprozesse mit den Erwerbslosen praktisch herzustellen. Warum werden nicht Vertreter gerade der Initiativen wie Harald Rein oder Rainer Roth auf die Betriebsversammlungen eingeladen, um den Kollegen die Agenda vorzustellen und sie zu gemeinsamen Aktionen aufzufordern? Das »tous ensemble«, auch am 1.November in Berlin immer wieder als Parole gerufen, bedeutet doch gerade, dass sich bspw. die privilegierten Eisenbahner 1995, beim großen Streik in Frankreich, eingesetzt haben für all die Menschen in der Gesellschaft, die viel weniger soziale Rechte haben als sie selbst. Genau das brauchen wir als unsere Zielvorstellung: Daimler- Beschäftigte aus Mettingen und Sindelfingen und Opel- Beschäftigte aus Bochum, die gemeinsam die Initiative ergreifen für einen Solidaritätsstreik mit den »Unproduktiven« in dieser Gesellschaft, den Erwerbslosen, Kranken, Alten und vielen mehr.
Das wäre ein Kultursprung auch für die Gewerkschaftsbewegung. In diese Richtung sollten wir orientieren und dann verändert sich auch das gesellschaftliche Klima und andere Verhältnisse werden denk- und vorstellbar. »Unproduktive aller Geschlechter, Nationalitäten und Länder, vereinigt euch und werdet produktiv im Widerstand!«

Willi Hajek ist aktiv bei »Gegenwehr, Gruppe kritischer GewerkschafterInnen« in Berlin.



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