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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 5

Lange Reise der Erneuerung

Walter Baier über das Treuhandurteil zu Novum und den Flügelkampf innerhalb der KPÖ

Ende September hat das Berliner Oberverwaltungsgericht nach einem elfjährigen Gerichtsstreit mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) entschieden, dass die Industrieconsultingfirma Novum eine von der SED geführte Firma war und nun der BRD zugeschlagen wird. Die Firma Novum existiert seit 1951, organisierte große Teile des Ost-West-Handels im Kalten Krieg, war vor allem eine Drehscheibe zwischen der sozialdemokratisch verstaatlichten Industrie Österreichs und den Ländern des »Realsozialismus«. Sie war Teil eines Unternehmensgeflechts der KPÖ, dessen Gesamtvermögen von 100 Mio. Dollar nun von den deutschen Behörden beansprucht wird. Novum erlaubte der KPÖ — europaweit einmalig —, dass sich eine an sich kleine Partei den Hauptamtlichenapparat einer großen Partei leisten konnte. »Und das nicht immer und ausschließlich zum Vorteil der Partei«, wie der KPÖ-Vorsitzende Walter Baier gegenüber der SoZ sagt. Unmittelbar nach Bekanntwerden des politischen Enteignungsurteils musste die KPÖ ihren noch verbliebenen Stab von 45 Hauptamtlichen kündigen und die Wochenzeitung Volksstimme einstellen. Für die SoZ sprach Christoph Jünke Anfang November in Wien mit Walter Baier.

Was bedeutet die Kündigung des Großteils der hauptamtlichen Mitarbeiter der Partei sowohl für die Struktur und das Organisationsleben der KPÖ?
Zunächst muss betont werden, dass bereits zwischen der KPÖ der 80er Jahre und dem, was die KPÖ bis vor wenigen Wochen war, ein großer Abstand besteht. Die KPÖ hatte in den 80er Jahren eine eigene Tageszeitung, eine große Druckerei und über 300 Angestellte. Heute reden wir von 45 Personen, aber noch immer von einer Parteistruktur, die im Angesicht des realen politischen Einflusses der Partei komfortabel ausgelegt war. Nun sind wir finanztechnisch gezwungen, die Parteiausgaben auf ein Niveau zu reduzieren, die unseren jährlichen Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen, Spenden und der Verwertung von Immobilien entspricht. Das ist bitter, weil es Umstellungen, auch mentalitätsmäßige, erfordert. Die KPÖ muss eine Partei der Aktivisten und Bewegungen werden. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen mir jedoch, dass dies zu bewältigen sein wird. So soll bspw. auch die nach dem Urteil unmittelbar eingestellte Wochenzeitung Volksstimme demnächst wieder auferstehen, wahrscheinlich als zweiwöchige Zeitung ab nächsten Januar auf einer selbstfinanzierten und stärker selbstorganisierten Grundlage. Das könnte ein spannendes und zumindest für österreichische Verhältnisse attraktives Projekt werden.

Das Novum-Urteil gegen die KPÖ fällt in eine Zeit, in der auch in der KPÖ heftig gestritten wird über die Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer linken und kommunistischen Neuformierung sowohl in Österreich, aber auch europaweit. In deiner Bilanz des letzten KPÖ-Parteitages hast du davon gesprochen, dass die KPÖ »in gegensätzliche Blöcke gespalten« sei. Welche Blöcke, welche Strömungen siehst du in der KPÖ und wofür stehen diese?
Im Grunde sehe ich zwei große Fragestellungen. Einerseits ist die KPÖ eine Partei, die aus der durch stalinistisches Denken geprägten Komintern-Tradition kommt, die sich in den 80er Jahren vom Stalinismus spät — historisch zu spät — emanzipiert hat. Es ist eben das eine, einen historischen Bruch programmatisch zu erklären und ihn dann in allen Einzelheiten, in der politischen Methodik, in der Organisationskultur und auch im Verhalten der Individuen auch durchzuführen.
Zunehmend dramatischer wird jedoch die Fragestellung, die sich aus dem Absterben des fordistischen Kapitalismus ergibt und den daraus entstehenden neuen politischen Möglichkeiten und Widersprüchen. Diese beiden Prozesse verschränken sich miteinander. Der spezifisch österreichische organisationspolitische Stalinismus ist auch ein Überbleibsel des Fordismus und trifft nun auf den Neoliberalismus mit seinen sozialen Verwerfungen und seiner ideologischen Hegemonie. Hier erweisen sich die alten Strukturen als hilf- und wehrlos, weil sie die neuen Fragestellungen von sozialer Sicherheit und sozialer Transformation nicht aufzugreifen vermögen. Genau dies machen aber die neuen sozialen Bewegungen zum Thema. Sie stellen das dar, was ich unter neuer Arbeiterbewegung verstehe, und finden sich weder in den gewerkschaftlichen noch in den politischen Strukturen der traditionellen Arbeiterbewegung wieder. Dies ist in eine neue politische Strategie, in ein neues ideologisches Selbstverständnis, in eine neue organisatorische Philosophie umzuwandeln — das ist der tiefste innere Grund des Streits in der KPÖ.

Welche Strömungen und Tendenzen siehst du bei der Beantwortung dieser Fragen innerhalb der KPÖ?
Ich würde die KPÖ, grob gesprochen, in vier Identitäten gliedern wollen. Die eine Identität ist eine aggressive, in ihrer politischen Ausdrucksform bösartige, stalinistische Tendenz eliminatorischen Charakters. Das ist eine Philosophie, die sagt, dass man in der Tradition der Generallinie entweder unserer Meinung ist — von der Bewertung Stalins bis zur Entscheidung, dass die Bezirksleitung Ottakring [Stadteil von Wien] genau in diesem oder jenem Lokal Politik machen müsse oder gar nicht — oder dass man ein Verräter, ein Sozialdemokrat oder Revisionist ist, der politisch eliminiert gehört. Das ist eine reaktionäre und menschenverachtende Tendenz, die auf dem autoritären Boden unserer Gesellschaft gut gedeiht und selbst mit antiintellektualistischen, gar antisemitischen Ressentiments einhergeht.
Das zweite Segment würde ich den traditionalistischen Kommunismus innerhalb der Partei nennen. Das sind v.a. ältere Menschen, die ihre politische Biografie seit Jahrzehnten mit der Partei verbunden haben, die einem traditionellen Kommunismusverständnis anhängen, sich aber durchaus aufgeschlossen erweisen für neuere Entwicklungen, weil sich ihr Kommunismus letztlich an humanistischen Kriterien, an Solidarität orientiert. Manche mögen sich den neuen Fragestellungen nicht mehr richtig öffnen können und einem Bewusstsein anhängen, das unsere jüngere Generation als konservativ bezeichnet. Doch für mich steht außer Zweifel, dass sie zu jenem demokratischen und progressiven Potenzial der österreichischen Gesellschaft gehören, um deren Vertrauen ich ringe, ohne mich an ideologische Haltungen, die nicht die meinen sind, anzupassen.
Eine dritte Strömung hat ihre Wurzeln in der österreichischen Arbeiterbewegung und ist eine interessenspolitisch und regionalistisch um kommunalpolitische und gewerkschaftspolitische Fragestellungen zentrierte Position, die in vielerlei ideologischer Hinsicht politisch neutral ist. Das ist auch ihre Schwäche. Über Jahrzehnte, kann man sagen, wurde die politische Methodik der KPÖ definiert durch ein Bündnis von Ökonomismus in der Praxis und Stalinismus in programmatischen Fragen. Diese Strömung ordnet sich den ideologischen Positionen durchaus verschieden zu, das ist in Bewegung und hat m.E. auch seine historische Berechtigung. Trotzdem kann man dieser Strömung auch die Fragen nach den neuen Problemen bspw. im Felde der Migrationspolitik nicht ersparen. Wenn wir gerade hier zu keiner radikalen migrationspolitischen Position finden, kann man wohl hier und da Stimmen halten und maximieren, aber nicht zur notwendigen Formierung einer revolutionären und linken Tendenz beitragen.
Dann gibt es noch die vierte Strömung, die »Guten«, das ist der Versuch, den Kommunismus gerade in der historischen Dimension seiner jugendlichen Radikalität zu erneuern — Kommunismus als Emanzipationsideal und als radikale Infragestellung des Bestehenden — und andererseits dieses Emanzipationsideal zu messen und zu binden mit den Fragestellungen, die aus der Realität des heutigen Kapitalismus entspringen — Internationalismus, Migration, Ökologie, Feminismus, neues Verständnis von sozialer Gerechtigkeit als Herausforderung eines neuen marxistischen Denkens.
Zu dem, was neu gedacht werden muss, gehören m.E. zwei Dinge. Einerseits eine kritische Sicht auf die Vergangenheit — und ich meine hier nicht nur die stalinistischen Deformationen, sondern auch die aus dem 20.Jahrhundert ererbten Spaltungen innerhalb der radikalen linken Bewegungen. Zum zweiten ergibt sich aus einer solchen Neubestimmung linker Identitäten und Traditionen zueinander eine Pluralität auf marxistischer, kommunistischer Grundlage.

Wer sind diese »Guten«, die eine für die KPÖ-Tradition eher unübliche Herangehensweise an den Tag legen? Sind das die jüngeren, zur KPÖ gestoßenen Menschen oder sind dies alte KPÖler, die einen bestimmten Prozess durchgemacht haben?
Es sind verschiedene Generationen. Eine besondere Rolle spielen die Mittdreißiger bis Endvierziger, die Generation, die die Prozesse von 1989—1991 als Kommunisten in der KPÖ bewusst mitgemacht haben.
Manche haben damals gesagt: Das Scheitern des Gorbatschow-Experiments beweist, dass selbst der Versuch, Demokratie, Pluralität und Kommunismus zusammen zu denken, zu Verrat und Zusammenbruch führt.
Andere haben gesagt, dass sich herausgestellt habe, dass der Liberalismus dem Kommunismus überlegen sei. Die Idee einer radikalen Veränderung der Gesellschaft sei gescheitert und das, worum es nun gehe, sei ein bisschen mehr Humanität und Liberalität innerhalb des Kapitalismus.
Die dritten schließlich waren die, die sich auf eine lange Reise der Erneuerung kommunistischer Ideen, marxistischer Wissenschaft und sozialistischer Politik gemacht haben. Das sind die, die heute versuchen, den Zusammenhang zum neuen Kapitalismus zu denken.

Welche Rolle spielt für diese Debatte das Novum-Urteil?

Es mag paradox klingen, aber ich denke, dass sich das Urteil positiv auf diese Diskussion auswirken wird, weil die KPÖ stärker und schneller mit den entsprechenden Fragestellungen umgehen muss. Wenn die KPÖ eine Partei der Aktivisten und Bewegungen sein will, wird sie zwei Dinge realisieren müssen. Erstens, dass die sich in Aktivität befindlichen Menschen unterschiedliche Auffassungen haben und daher nur plural zusammengehalten werden können. Und wenn man dies akzeptiert, erfordert dies auch einen minimalen Konsens innerhalb einer solidarischen Struktur. Wenn sich Politik durch Politik finanzieren muss, muss man genau hinschauen, bspw. bei Wahlen, durch was man was politisch erreichen kann. Das impliziert die Gefahr des Opportunismus, heißt aber v.a. Allianzpolitik und realistische Wahrnehmung jenes von Sozialdemokraten und Grünen unabhängigen Raumes. Bei euch heißt dies, glaub ich, revolutionäre Realpolitik.

Wird die Tatsache, dass die KPÖ stärker als bisher auf ihre Mitgliederbasis zurückgeworfen ist, nicht eher dazu führen, dass sich die von dir beschriebenen konservativen bis reaktionären Tendenzen stärker durchsetzen werden?
Nein, weil sich deren aggressive und zerstörerische Tendenz jetzt noch viel deutlicher als früher zeigt. Was jedoch viele Kommunisten, unabhängig vom Standpunkt zu dieser oder jener Frage, vor allem anderen verlangen, sind Kooperation und Solidarität. Das funktioniert aber nur auf dem Boden des Pluralismus. Ich beobachte daher, wie sich neue Allianzen in der Partei bilden und auch Brückenschläge nach außen stattfinden.

In der europaweiten Neuformierungsdebatte unter Kommunisten existiert eine gewisse Spannbreite von der deutschen PDS oder der französischen KP, die stark auf Bündnisse mit der reformerischen Linken orientieren und auch geneigt sind, Regierungsbündnisse mit der neoliberalen Sozialdemokratie einzugehen, bis hin zu Rifondazione, die den Bruch mit solcher Regierungspolitik vollzogen hat und sich eher den sozialen Bewegungen und der radikalen Linken öffnen. Wo verortet sich die KPÖ in diesem Spektrum?
Maßgeblich für die KPÖ in den 90er Jahren war, dass sie sich öffnen wollte, und heute ist klarer, dass diese Öffnung nach links zielt. Die Zukunft unserer Parteien besteht darin, dass sie sich mit sozialen Bewegungen, die den Kapitalismus herausfordern, auf Grundlage neuer wie alter Werte der traditionellen Arbeiterbewegung verbinden und eine politische Artikulation jener anzielen, die mit der reformerischen, innerkapitalistischen Logik brechen wollen.

Einerseits gibt es die Öffnung auf jenes Milieu, das sich in der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) sammelt, andererseits gibt es jene, die auf eine europäische Linkspartei orientieren. Sind dies nicht zwei unterschiedliche Orientierungen? Warum engagiert sich die KPÖ v.a. bei der Gründung einer europäischen Linkspartei, bei der bspw. die PDS stark vertreten ist, die sich nicht gerade auf einen entsprechenden Antikapitalismus stützt?
Ich sage immer wieder, dass wir die Gespenster des 20.Jahrhundert in demselben lassen müssen. Wir stehen vor der faszinierenden Möglichkeit, in einer europaweiten Krise des Reformismus eine revolutionäre Tendenz zu reetablieren. Deswegen brauchen wir die Großzügigkeit, die verschiedenen linken Ansätze in ein gemeinsames Konzept einzubinden. Ich halte die Initiativen, die französische LCR, die dänischen Rot-Grünen und die deutsche DKP im Rahmen einer EAL zu bündeln für gut. Für genauso gut und historisch gerechtfertigt halte ich das Projekt einer europäischen linken Partei. Die Frage ist, warum es hier keinen Dialog auf ausgewiesenen programmatischen Grundlagen gibt.

Gerade die Positionen zu Europa und zur neuen europäischen Verfassung sind doch im Kontext der die Linkspartei tragenden nationalen Parteien sehr heterogen — von der weitgehenden Ablehnung bis zur moderaten Zustimmung. Ist da genug programmatische Basis für eine gemeinsame Linkspartei vorhanden?

Nicht ganz, am Vorabend des Europäischen Sozialforums in Paris haben 19 kommunistische und linke Parteien — darunter alle, die in den Prozess um die Entwicklung einer europäischen linken Partei eingebunden sind, ein klares Nein aus linker Perspektive zum Verfassungsprojekt des EU- Konvents ausgesprochen. Nebenbei: Der Abstand zwischen meinen Positionen und manchen, die in der PDS vertreten werden, ist sicher nicht kleiner als bspw. der Abstand zwischen realpolitisch orientierten Menschen in der LCR und in Lutte Ouvrière.

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