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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 7

IG-Metall-Gewerkschaftstag

Lähmender Dunst

Der zweigeteilte Gewerkschaftstag der IG Metall war so nicht geplant. Aber er hat auf diese Weise sehr deutlich gemacht, wo heute die grundsätzlichen Probleme der Gewerkschaft liegen. Die IG Metall hat wie alle DGB-Gewerkschaften ein Erfolgsproblem, ein Identitätsproblem und ein Strategieproblem. Wenn sich darin nichts Wesentliches ändert, wird die Krise von heute nur der Anfang eines beschleunigten und umfassenden Abstiegs und Bedeutungsverlusts sein.

Die im Zusammenhang mit der Zukunftsdebatte der IG Metall vor einem Jahr durchgeführte Befragungsaktion hatte ein eindeutiges Ergebnis: die Lohnabhängigen erwarten von der IG Metall vor allem, dass sie für größere Einkommen sorgt. Der Preis der Arbeitskraft, so hieß es beim alten Marx, soll möglichst hoch getrieben werden.
Ein Durchschnittsverdiener mit 2500 Euro im Monat, so rechnete der IG-Metall Info-Dienst Direkt gerade vor, müsse 333 Jahre schuften, um nur ein einziges Jahresgehalt des Daimler-Chrysler-Chefs, Jürgen Schrempp, von rund 10,8 Millionen Euro zu erarbeiten. Gar nicht zu reden von einem oder einer Beschäftigten in einem »Billiglohnland« Asiens oder Afrikas, wo leicht 15000 Jahre für einen gerechten Anteil am Mehrprodukt nötig wären.
Die IG Metall hätte also noch viel zu tun bei den Preisverhandlungen für die Arbeitskraft ihrer Mitglieder. Aber die Erfolgsbilanz der IG Metall bei dieser ersten aller Gewerkschaftsaufgaben ist seit Jahren so verheerend, dass eigentlich schon lange vor dem Streikdesaster in Ostdeutschland die »Führungsfrage« hätte gestellt werden müssen.
Nicht nur, dass die Realeinkommen stagnieren oder sogar sinken, sondern die IG Metall schluckt fast widerspruchslos die seit Monaten durch alle Medien geisternden Legenden, dass »es nichts mehr zu verteilen gäbe« oder gar, dass »die Arbeit zu teuer sei«.
Der Gewerkschaftsvertrauensmann oder die Betriebsrätin vor Ort hören es fast täglich: Gewerkschaftsmitgliedschaft? — brauch ich nicht, ich sorge allein viel effektiver für Gehaltssteigerungen, ich verkaufe mich selbst am besten. Wie zur Bestätigung dieser Illusion spekuliert auch ein beträchtlicher Teil der IG Metall, vor allem Funktionäre aus — noch — florierenden Betrieben, mit den viel beschworenen »Zwei-Stufen-Tarifabschlüssen« oder anderen Formen von ertragsabhängigen Verträgen.
Auch der Gewerkschaftstag quälte sich mit solchen Diskussionen über niedrige Rahmenverträge für alle und betrieblichen Zusatzabschlüssen für die Betriebe, die es sich leisten können. Letztlich wurde ein Beschluss dazu auf das Jahr 2005 vertagt. Aber wenn diese Vertagung von den »Linken« als Sieg empfunden wird, dann sollten sie sich nicht täuschen. Gerade die Nichtentscheidung in der Frage von ertragsabhängig differenzierten Lohnabkommen ist heute willkommen.
Außer den unzurechnungsfähigen Politkaspern vom Schlage eines Merz oder Westerwelle will von den Mächtigen des Kapitals zur Zeit niemand den »Flächentarifvertrag« abschaffen. Er verschafft auch den Unternehmern Ruhe und Kalkulationssicherheit. Aber der »Flächentarifvertrag« soll nur noch formal erhalten bleiben und falls nötig ohne viel Lärm durchlöchert werden können.
Der neue zweite IG-Metall-Vorsitzende, Huber, für Tariffragen zuständig, bestätigt die Erfolglosigkeit der IG Metall an der Lohnfront auch für die Zukunft. Er warnt vor »Tarifträumereien« und hält einen Ausgleich für die Einkommensverluste im Zuge der Agenda 2010 und sonstiger politischer Maßnahmen für nicht angebracht. Für die kommende Tarifrunde 2004 wird deshalb eine bescheidene Forderung von 4% aufgestellt. Das heißt, es wird einen Abschluss geben, der »nach verbissenem Kampf um die Zwei vor dem Komma« zustande kommt, wovon die Hälfte noch als »ERA- Strukturkomponente« versteckt wird. Und wir würden auch darauf wetten, dass zwar heute wie immer am Beginn einer Tarifrunde von einer kurzen Vertragslaufzeit die Rede ist, aber am Ende wieder eine unerträglich lange akzeptiert wird.
Für neue dynamische und zum Kampf ermunternde Lohnforderungssysteme hat sich die IG Metall leider wieder nicht entscheiden können, obwohl in den Betrieben kaum etwas so attraktiv ist wie Festgeldforderungen, schließlich ist das Argument, dass die Preise für alle gleich steigen, absolut schlagend.
Die großen Medien hatten sich wie die Geier auf den Streit zwischen Huber und Peters um die Führung in der IG Metall gestürzt. Tagelang beherrschten süffisant antigewerkschaftliche Artikel die Frontseiten. Der zweite Teil des Gewerkschaftstags, als es um Inhalte ging, hat dann keinen mehr interessiert.
Das ist bezeichnend für die politische Hilflosigkeit der Gewerkschaft. Sie ist das glatte Gegenteil eines gesellschaftlichen Meinungsführers und lässt sich von einem sauerländischen Windei wie Merz oder einem 5%-Scheiterer wie Westerwelle die Butter vom Brot nehmen.
Die politischen Entschließungen des Gewerkschaftstags formulieren die üblichen Bedenken, aber weigern sich konkrete Positionen zu beziehen und Forderungen an die Regierung zu stellen.
Weder in Sachen des Sozialabbaus und der Hartz-Gesetze noch in der Frage von Bundeswehreinsätzen im Ausland, hat die IG Metall wirklich Profil zeigen wollen. Symptomatisch ist da der Beschluss zur Novemberdemonstration in Berlin. Gut, dass sie stattfindet, aber wir rufen nicht dazu auf. Wer soll so etwas ernst nehmen?
Wie ein lähmender Dunst lag und liegt die Angst der IG Metall vor einem Bruch mit der SPD und ihrer Regierung über den Diskussionen. Wer wie Peters richtig analysiert, dass die SPD-Grüne-Regierung keine Fehler begeht, sondern der Fehler ist, der muss auch die Konsequenzen ziehen.
Eine erfreulich lange Diskussion über die Frage von »politischen Streiks« auf dem Gewerkschaftstag ging ohne Festlegungen zu Ende. Eine Debatte über neue strategische Bündnisse mit den sozialen Bewegungen und der globalisierungskritischen Bewegung wird angehaucht, um dann sofort wieder fallengelassen zu werden.
Der weitere Absturz der IG Metall in Richtung amerikanisierter Betriebsgewerkschaften und gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit könnte sehr bald spürbar sein. Ein Aufschwung in Richtung kämpferischer Vertretung der Interessen der Opfer der herrschenden Politik stände allerdings auch zur Auswahl.

Thies Gleiss

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