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Südafrika ist ein Paradebeispiel für die Verflechtung von Schuld, Schulden und Wiedergutmachung. Die
Wahrheitskommission brachte nur sehr bedingt Erleichterung für die Apartheidopfer. Die Nutznießer der Apartheid weigern sich,
Entschädigungen zu zahlen. Auch die Forderung nach Streichung der Apartheidschulden verhallt bislang wirkungslos. Doch durch Klagen und
internationale Kampagnen geraten Konzerne und Gläubiger immer mehr unter Druck.
Als die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) 1995 ihre Arbeit aufnahm, sollten Opfer und Täter vor ihr die ganze Wahrheit
über die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Das erlittene und begangene Unrecht sollte ausgesprochen werden und dadurch seine
zerstörerische Kraft verlieren. Die 17 Mitglieder der TRC sind zunächst durchs Land gezogen, um die Geschichten der Apartheidopfer über
Mord, Folter und Verfolgung zu hören. Die Schergen der unteren Ebenen des Repressionsapparats bezeugten ihrerseits die systematische Verrohung der
Täter und ihrer Auftraggeber. 7700 Täter hatten Amnestie beantragt. Ihnen wurde Straffreiheit zugesichert, wenn sie ihre Taten vollständig
schilderten und wenn es sich um politisch motivierte und nicht bloß kriminelle Akte handelte. Die Amnestie aber versperrt den Opfern den Weg, die
Täter vor Gericht zu stellen.
1995 trafen sich erstmals Apartheidopfer, um sich das Grauen von der Seele zu reden. Die
meisten der inzwischen 32000 Mitglieder von Khulumani sind Frauen aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung: Mütter, Ehefrauen,
Schwestern und Schwägerinnen von jungen Männern, die umgebracht worden waren, oder Frauen, die Opfer weißer Männergewalt
waren. Zunächst unterstützte Khulumani Menschen, die vor der TRC aussagen wollten. Die Gruppen leistete psychologische Betreuung und
juristischen Beistand, um Entschädigungen bei der TRC einzufordern. Mittlerweile sind die Selbsthilfegruppen von Khulumani zu einer wichtigen Instanz
in Südafrika geworden.
1998 übergab die Wahrheitskommission ihren vorläufigen Abschlussbericht an Präsident Mandela. Darin empfahl sie, ein Gremium
einzurichten, das die Reparationen regeln sollte. 22000 Opfer sollten sechs Jahre lang bis zu 23000 Rand jährlich (bis zu etwa 3000 Euro) erhalten. Zwei
Jahre lang fand die Regierung immer neue Ausflüchte, angeblich fehlten die Mittel für individuelle Entschädigungszahlungen. Aber
Khulumani machte mit Unterstützung der TRC Druck auf die Regierung. Im März 2003 übergab der TRC-Vorsitzende Erzbischof Tutu die
noch fehlenden Bände des Abschlussberichtes der TRC an den jetzigen Präsidenten Mbeki; sie enthalten konkrete Empfehlungen für
Entschädigung und Rehabilitation der Apartheidopfer.
Mbeki versprach, die Empfehlungen der TRC so schnell wie möglich umzusetzen. Mitte
April 2003 schließlich verkündete er, dass die von der TRC benannten Opfer eine einmalige Zahlung von 30000 Rand (rd. 3900 Euro) als
»Anerkennung für die leidvollen Erfahrungen« erhalten sollen, zusätzlich zu sozialen Programmen für Townships und anderen
sozialen Hilfen. Er betonte aber auch, dass Millionen Südafrikaner die Mühe des Befreiungskampfs nicht nur »um monetärer Vorteile
willen« auf sich genommen hätten und dass diese Menschen nicht als »Opfer« vor der Wahrheitskommission hätten erscheinen
wollen. Die meisten politischen Aktivisten, Guerillakämpfer, politischen Gefangenen und Politiker der Befreiungsbewegungen hätten ihre
Erfahrungen von Menschenrechtsverletzungen nicht zu Protokoll gegeben.
Der Mercedes-Benz-Gewerkschafter Mthutzeli Tom gehört zu diesen Südafrikanern, die »für die Freiheit und nicht für
Entschädigung« gekämpft haben. Wie viele Gewerkschafter stand er der Versöhnungskommission skeptisch gegenüber. Trotz
der damaligen Kollaboration der Wirtschaft mit dem Apartheidregime findet er es schwierig, von den Kapitalisten Entschädigungen einzufordern. Da
befindet er sich im Einklang mit seinem Dachverband COSATU. Bis heute haben sich die Gewerkschaften nicht entschließen können, der
Kampagne für Entschuldung und Entschädigung beizutreten. Und Präsident Mbeki will die Wirtschaft nicht für Reparationen
heranziehen etwa durch eine Vermögensteuer oder durch eine einmalige Abgabe auf Unternehmensgewinne und private Einkommen oder durch
einen rückwirkenden Steuerzuschlag auf Unternehmensgewinne, die die TRC zur Finanzierung der Entschädigungen vorgeschlagen hatte. Mbekis
Position lautet: »Alle Südafrikaner«, auch die Konzerne, sollen freiwillig in einen Entschädigungsfonds einzahlen.
Die Geschäftsleute kamen den Politikern zuvor. Der südafrikanische Daimler-
Chef Christoph Köpke weist auf den Business Trust hin, den hundert Unternehmen freiwillig aufgelegt hätten. Neville Gabriel von der
Entschuldungskampagne Jubilee South Africa hat dafür nur ein müdes Lächeln übrig: »Dieser Fonds der Unternehmen umfasst
gerade mal 800 Millionen Rand (100 Millionen Euro). Und außerdem hat er nichts mit Reparationen zu tun. Mit diesem Geld würden
Maßnahmen finanziert, die das Geschäftsklima verbesserten, zum Beispiel größere Sicherheit in Geschäftsbezirken. Das ist ein
Fonds von der Wirtschaft für die Wirtschaft.«
Die TRC hat festgestellt, dass sich die multinationalen Unternehmen in Bezug auf Löhne
und Gehälter, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Sicherheit und Anerkennung der Gewerkschaften »von ihren südafrikanischen Pendants
kaum unterschieden«. Die konstitutive Rolle der Wirtschaft für das Apartheidregime bezeugte Abdul Minty, einer der führenden Köpfe
der britischen Antiapartheidbewegung. Heute ist er Direktor im südafrikanischen Außenministerium. »Von 1960 bis zum demokratischen
Übergang in Südafrika hat die Wirtschaft mit dem Apartheidregime kollaboriert. Sie war direkt daran beteiligt, seine Kriegsmaschinerie zu
entwickeln und auszubauen. So war Apartheid-Südafrika in der Lage, seine Gesellschaft zu militarisieren und sich systematisch vom Polizeistaat der 60er
Jahre zum Militärstaat der 70er und 80er Jahre zu entwickeln. In dieser ganzen Zeit spielte die Wirtschaft eine zentrale Rolle in der militärischen
und nuklearen Aufrüstung. Als die Welt wirksame humanitäre Aktionen forderte, gab es in der Wirtschaft immer eine tödliche Stille.«
Khulumani fordert, dass die Banken und Konzerne sich zu dem von ihnen begangenen Unrecht
bekennen. Außerdem verlangt die Gruppe Entschädigungen für alle Khulumani-Mitglieder sowie kollektive Reparationen für besonders
betroffene Dörfer und Stadtteile und für spezielle gesellschaftliche Gruppen. Seit 2002 berücksichtigt die Selbstorganisation auch die
internationale Dimension und fordert die Streichung der Apartheidschulden. Eine Forderung, die bis dato allein die Kampagne für Entschuldung vertreten
hatte.
In mehr als vier Jahren harter Arbeit ist es Jubilee South Africa gelungen, verschiedene gesellschaftliche Kräfte zu gewinnen: Die Protestanten, die
70% der gläubigen Südafrikaner ausmachen, den Dachverband der NGOs, Gewerkschafter und Einzelpersonen. Und seit 2002 auch Khulumani.
Denn, so ihre gemeinsame Argumentation, wenn die südafrikanische Regierung die Entschädigungen für die Apartheidopfer aus dem
normalen Haushalt finanziert, fehlen diese Mittel für soziale Aufgaben. »Das bedeutet, dass die Opfer ein zweites Mal für ihre
Unterdrückung zahlen würden«, erklärt der Kampagnensprecher Neville Gabriel, »darum fordern wir nicht nur, Südafrika
die jetzt noch bestehenden Auslandsschulden zu erlassen. Da die Regierung seit 1994 einen großen Teil der Schulden zurückgezahlt hat, fordern wir,
dass die Gläubiger auch die bereits beglichenen Schulden erstatten. Außerdem verlangen wir eine Wiedergutmachung für die Profite aus
Geschäften mit der Apartheid.«
»Die Menschen in den Townships warten auf neue und bessere Häuser, auf
Wasser- und Stromleitungen, auf Schulen, Gesundheitsstationen und Medikamente gegen AIDS. Aber der Schuldendienst geht immer vor.« Gabriel
glaubt, dass auch der Wandel in der südafrikanischen Wirtschaftspolitik vom Umverteilungs- und Wiederaufbauprogramm zum neoliberalen
Wachstumsprogramm GEAR dem Einfluss der Gläubigerländer zuzuschreiben ist. »GEAR ist nichts anderes als ein
Strukturanpassungsprogramm für Südafrika. Wir in Afrika wissen, dass diese Programme vor allem dazu dienen, Schulden abzuzahlen. Das bedeutet
konkret, dass die Regierung öffentliche Mittel nicht in arbeitsintensive Bereiche investiert, sondern die Privatwirtschaft fördert.«
Drei Jahre lang haben Gabriels Unterstützer im deutschen Koordinierungskreis der
Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika den Dialog mit den deutschen Apartheidfinanziers
gesucht. Aber sie stießen auf taube Ohren. Die Commerzbank betonte, sie habe sich lediglich in der Export- und Importfinanzierung engagiert. Die
Deutsche Bank vertrat den Standpunkt, sie habe sich an deutsches Recht gehalten. Die Dresdner Bank stellte im April 2002 eine interne Überprüfung
ihrer Geschäftspolitik in Aussicht.
Öffentliche Debatten und die Öffnung ihrer Firmenarchive aber scheuen die Helfer
der Apartheid. Die Archive der Privatbanken bleiben der Öffentlichkeit verschlossen. Regierung und Parlament in Deutschland erklären, sie
hätten mit dem Vorwurf der Kollaboration nichts zu tun, das müssten die Opfer schon direkt mit den Unternehmen klären. Die wiederum
betonten, sie hätten sich an die von der Politik gemachten Gesetze gehalten. Also blieb der Kampagne nur noch der Weg über das Strafrecht.
In Deutschland und der Schweiz sind Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen multinationale Konzerne nicht möglich. In den USA aber
erlaubt der Alien Tort Claims Act Ausländern, US-amerikanische oder internationale Konzerne zu verklagen, wenn sie eine Niederlassung in den USA
haben und internationales Recht verletzt haben. Im Juli 2001 reichte als erster der New Yorker Staranwalt Ed Fagan eine Sammelklage bei einem New Yorker
Gericht ein. Fagan nahm aber keinen Kontakt mit Khulumani oder Jubilee South Africa auf. Er suchte Apartheidopfer per Zeitungsanzeige. Seine Klage gilt als
schlecht recherchiert.
Anders der Washingtoner Anwalt Michael Hausfeld, der Sammelklagen von NS-
Zwangsarbeitern vor amerikanischen Gerichten erfolgreich vertreten und eine Rassismusklage gegen Texaco gewonnen hat. Hausfeld arbeitet mit den
südafrikanischen Organisationen zusammen, forschte umfassend nach und reichte im November 2002 bei einem Gericht des Eastern District von New
York City eine Klage gegen 22 Konzerne ein, darunter fünf deutsche: DaimlerChrysler, Rheinmetall, die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank.
Der Anwalt beruft sich darauf, dass Apartheid wie Sklaverei und Völkermord eine Verletzung des Völkerrechts darstellt. Der im
Jahr 2002 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof hat Apartheid als Verbrechen gegen die Menschheit in sein Statut aufgenommen und um die Verbrechen
der Zwangsumsiedlung, Versklavung und der sexuellen Gewalt ergänzt.
Hausfeld will die Unternehmen nach dem Rechtsprinzip der Secondary Liability haftbar
machen, das schon während der Nürnberger Prozesse angewandt wurde. Hausfeld argumentiert, dass die ausländischen Unternehmen mit
ihrer Unterstützung von wirtschaftlichen Schlüsselsektoren wie Bergbau, Transport, Rüstung, Technologie, Öl und Finanzen dem
Regime nicht nur »behilflich«, sondern Teil des Systems waren. Unter den Beschuldigten sind acht Banken, darunter fünf deutsche. IBM-
Computer halfen bei der Herstellung der verhassten Passbücher, mit denen Schwarze jahrelang schikaniert wurden. Die Ölkonzerne Shell, Fina,
Caltex und Exxon verstießen gegen das Ölembargo. Die halbstaatliche Atlantic Diesel Engines ADE (seinerzeit war Mercedes zu 12% an
ADE beteiligt) lieferte Dieselmotoren für Militärfahrzeuge. DaimlerChrysler wird die Lieferung von Unimogs vorgeworfen.
Außerdem seien seinerzeit in großem Maßstab Militärlastwagen in den Johannesburger Benz-Werkstätten repariert worden.
US-Emissäre haben die ANC-Regierung gewarnt, die Klagen zu unterstützen
bei Strafe ausbleibender Investitionen. Hausfelds südafrikanischer Partner Charles Abrahams berichtet, dass US-amerikanische Verbände
bei einer Konferenz beschlossen hätten, auf Kongressabgeordnete einzuwirken, den Alien Tort Claims Act zu streichen. Die Täter in Nadelstreifen
haben Grund zur Beunruhigung. Denn nach US-amerikanischem Recht wird es im Verlauf des Prozesses gegen die Helfershelfer des Apartheidregimes
möglich sein, die Firmenarchive einzusehen. Für die US-Anwälte sind die Klagen völkerrechtliche Testfälle; für die
internationale Kampagne sind sie ein Präzedenzfall zur Durchsetzung menschenrechtlicher Standards. Khulumani verlangt nicht weniger, als dass
»Staaten und Unternehmen öffentlich anerkennen, dass sie Nutzen aus der Plünderung natürlicher und menschlicher Ressourcen ziehen
und diesen Prozess der Ausbeutung, der zu Ungleichheiten und Ungleichgewichten in verschiedenen Regionen der Welt geführt hat,
wiedergutmachen.«
Birgit Morgenrath/Gottfried Wellmer
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