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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 13

Die Wahrheit ans Licht

Schuld und Sühne in Südafrika

Südafrika ist ein Paradebeispiel für die Verflechtung von Schuld, Schulden und Wiedergutmachung. Die Wahrheitskommission brachte nur sehr bedingt Erleichterung für die Apartheidopfer. Die Nutznießer der Apartheid weigern sich, Entschädigungen zu zahlen. Auch die Forderung nach Streichung der Apartheidschulden verhallt bislang wirkungslos. Doch durch Klagen und internationale Kampagnen geraten Konzerne und Gläubiger immer mehr unter Druck.

Als die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) 1995 ihre Arbeit aufnahm, sollten Opfer und Täter vor ihr die ganze Wahrheit über die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Das erlittene und begangene Unrecht sollte ausgesprochen werden und dadurch seine zerstörerische Kraft verlieren. Die 17 Mitglieder der TRC sind zunächst durchs Land gezogen, um die Geschichten der Apartheidopfer über Mord, Folter und Verfolgung zu hören. Die Schergen der unteren Ebenen des Repressionsapparats bezeugten ihrerseits die systematische Verrohung der Täter und ihrer Auftraggeber. 7700 Täter hatten Amnestie beantragt. Ihnen wurde Straffreiheit zugesichert, wenn sie ihre Taten vollständig schilderten und wenn es sich um politisch motivierte und nicht bloß kriminelle Akte handelte. Die Amnestie aber versperrt den Opfern den Weg, die Täter vor Gericht zu stellen.
1995 trafen sich erstmals Apartheidopfer, um sich das Grauen von der Seele zu reden. Die meisten der inzwischen 32000 Mitglieder von Khulumani sind Frauen aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung: Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Schwägerinnen von jungen Männern, die umgebracht worden waren, oder Frauen, die Opfer weißer Männergewalt waren. Zunächst unterstützte Khulumani Menschen, die vor der TRC aussagen wollten. Die Gruppen leistete psychologische Betreuung und juristischen Beistand, um Entschädigungen bei der TRC einzufordern. Mittlerweile sind die Selbsthilfegruppen von Khulumani zu einer wichtigen Instanz in Südafrika geworden.

Warten auf Wiedergutmachung

1998 übergab die Wahrheitskommission ihren vorläufigen Abschlussbericht an Präsident Mandela. Darin empfahl sie, ein Gremium einzurichten, das die Reparationen regeln sollte. 22000 Opfer sollten sechs Jahre lang bis zu 23000 Rand jährlich (bis zu etwa 3000 Euro) erhalten. Zwei Jahre lang fand die Regierung immer neue Ausflüchte, angeblich fehlten die Mittel für individuelle Entschädigungszahlungen. Aber Khulumani machte mit Unterstützung der TRC Druck auf die Regierung. Im März 2003 übergab der TRC-Vorsitzende Erzbischof Tutu die noch fehlenden Bände des Abschlussberichtes der TRC an den jetzigen Präsidenten Mbeki; sie enthalten konkrete Empfehlungen für Entschädigung und Rehabilitation der Apartheidopfer.
Mbeki versprach, die Empfehlungen der TRC so schnell wie möglich umzusetzen. Mitte April 2003 schließlich verkündete er, dass die von der TRC benannten Opfer eine einmalige Zahlung von 30000 Rand (rd. 3900 Euro) als »Anerkennung für die leidvollen Erfahrungen« erhalten sollen, zusätzlich zu sozialen Programmen für Townships und anderen sozialen Hilfen. Er betonte aber auch, dass Millionen Südafrikaner die Mühe des Befreiungskampfs nicht nur »um monetärer Vorteile willen« auf sich genommen hätten und dass diese Menschen nicht als »Opfer« vor der Wahrheitskommission hätten erscheinen wollen. Die meisten politischen Aktivisten, Guerillakämpfer, politischen Gefangenen und Politiker der Befreiungsbewegungen hätten ihre Erfahrungen von Menschenrechtsverletzungen nicht zu Protokoll gegeben.

Stille bei Konzernen

Der Mercedes-Benz-Gewerkschafter Mthutzeli Tom gehört zu diesen Südafrikanern, die »für die Freiheit und nicht für Entschädigung« gekämpft haben. Wie viele Gewerkschafter stand er der Versöhnungskommission skeptisch gegenüber. Trotz der damaligen Kollaboration der Wirtschaft mit dem Apartheidregime findet er es schwierig, von den Kapitalisten Entschädigungen einzufordern. Da befindet er sich im Einklang mit seinem Dachverband COSATU. Bis heute haben sich die Gewerkschaften nicht entschließen können, der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung beizutreten. Und Präsident Mbeki will die Wirtschaft nicht für Reparationen heranziehen — etwa durch eine Vermögensteuer oder durch eine einmalige Abgabe auf Unternehmensgewinne und private Einkommen oder durch einen rückwirkenden Steuerzuschlag auf Unternehmensgewinne, die die TRC zur Finanzierung der Entschädigungen vorgeschlagen hatte. Mbekis Position lautet: »Alle Südafrikaner«, auch die Konzerne, sollen freiwillig in einen Entschädigungsfonds einzahlen.
Die Geschäftsleute kamen den Politikern zuvor. Der südafrikanische Daimler- Chef Christoph Köpke weist auf den Business Trust hin, den hundert Unternehmen freiwillig aufgelegt hätten. Neville Gabriel von der Entschuldungskampagne Jubilee South Africa hat dafür nur ein müdes Lächeln übrig: »Dieser Fonds der Unternehmen umfasst gerade mal 800 Millionen Rand (100 Millionen Euro). Und außerdem hat er nichts mit Reparationen zu tun. Mit diesem Geld würden Maßnahmen finanziert, die das Geschäftsklima verbesserten, zum Beispiel größere Sicherheit in Geschäftsbezirken. Das ist ein Fonds von der Wirtschaft für die Wirtschaft.«
Die TRC hat festgestellt, dass sich die multinationalen Unternehmen in Bezug auf Löhne und Gehälter, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Sicherheit und Anerkennung der Gewerkschaften »von ihren südafrikanischen Pendants kaum unterschieden«. Die konstitutive Rolle der Wirtschaft für das Apartheidregime bezeugte Abdul Minty, einer der führenden Köpfe der britischen Antiapartheidbewegung. Heute ist er Direktor im südafrikanischen Außenministerium. »Von 1960 bis zum demokratischen Übergang in Südafrika hat die Wirtschaft mit dem Apartheidregime kollaboriert. Sie war direkt daran beteiligt, seine Kriegsmaschinerie zu entwickeln und auszubauen. So war Apartheid-Südafrika in der Lage, seine Gesellschaft zu militarisieren und sich systematisch vom Polizeistaat der 60er Jahre zum Militärstaat der 70er und 80er Jahre zu entwickeln. In dieser ganzen Zeit spielte die Wirtschaft eine zentrale Rolle in der militärischen und nuklearen Aufrüstung. Als die Welt wirksame humanitäre Aktionen forderte, gab es in der Wirtschaft immer eine tödliche Stille.«
Khulumani fordert, dass die Banken und Konzerne sich zu dem von ihnen begangenen Unrecht bekennen. Außerdem verlangt die Gruppe Entschädigungen für alle Khulumani-Mitglieder sowie kollektive Reparationen für besonders betroffene Dörfer und Stadtteile und für spezielle gesellschaftliche Gruppen. Seit 2002 berücksichtigt die Selbstorganisation auch die internationale Dimension und fordert die Streichung der Apartheidschulden. Eine Forderung, die bis dato allein die Kampagne für Entschuldung vertreten hatte.

Schuldendienst geht vor

In mehr als vier Jahren harter Arbeit ist es Jubilee South Africa gelungen, verschiedene gesellschaftliche Kräfte zu gewinnen: Die Protestanten, die 70% der gläubigen Südafrikaner ausmachen, den Dachverband der NGOs, Gewerkschafter und Einzelpersonen. Und seit 2002 auch Khulumani. Denn, so ihre gemeinsame Argumentation, wenn die südafrikanische Regierung die Entschädigungen für die Apartheidopfer aus dem normalen Haushalt finanziert, fehlen diese Mittel für soziale Aufgaben. »Das bedeutet, dass die Opfer ein zweites Mal für ihre Unterdrückung zahlen würden«, erklärt der Kampagnensprecher Neville Gabriel, »darum fordern wir nicht nur, Südafrika die jetzt noch bestehenden Auslandsschulden zu erlassen. Da die Regierung seit 1994 einen großen Teil der Schulden zurückgezahlt hat, fordern wir, dass die Gläubiger auch die bereits beglichenen Schulden erstatten. Außerdem verlangen wir eine Wiedergutmachung für die Profite aus Geschäften mit der Apartheid.«
»Die Menschen in den Townships warten auf neue und bessere Häuser, auf Wasser- und Stromleitungen, auf Schulen, Gesundheitsstationen und Medikamente gegen AIDS. Aber der Schuldendienst geht immer vor.« Gabriel glaubt, dass auch der Wandel in der südafrikanischen Wirtschaftspolitik vom Umverteilungs- und Wiederaufbauprogramm zum neoliberalen Wachstumsprogramm GEAR dem Einfluss der Gläubigerländer zuzuschreiben ist. »GEAR ist nichts anderes als ein Strukturanpassungsprogramm für Südafrika. Wir in Afrika wissen, dass diese Programme vor allem dazu dienen, Schulden abzuzahlen. Das bedeutet konkret, dass die Regierung öffentliche Mittel nicht in arbeitsintensive Bereiche investiert, sondern die Privatwirtschaft fördert.«
Drei Jahre lang haben Gabriels Unterstützer im deutschen Koordinierungskreis der Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika den Dialog mit den deutschen Apartheidfinanziers gesucht. Aber sie stießen auf taube Ohren. Die Commerzbank betonte, sie habe sich lediglich in der Export- und Importfinanzierung engagiert. Die Deutsche Bank vertrat den Standpunkt, sie habe sich an deutsches Recht gehalten. Die Dresdner Bank stellte im April 2002 eine interne Überprüfung ihrer Geschäftspolitik in Aussicht.
Öffentliche Debatten und die Öffnung ihrer Firmenarchive aber scheuen die Helfer der Apartheid. Die Archive der Privatbanken bleiben der Öffentlichkeit verschlossen. Regierung und Parlament in Deutschland erklären, sie hätten mit dem Vorwurf der Kollaboration nichts zu tun, das müssten die Opfer schon direkt mit den Unternehmen klären. Die wiederum betonten, sie hätten sich an die von der Politik gemachten Gesetze gehalten. Also blieb der Kampagne nur noch der Weg über das Strafrecht.

Klage gegen Global Players

In Deutschland und der Schweiz sind Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen multinationale Konzerne nicht möglich. In den USA aber erlaubt der Alien Tort Claims Act Ausländern, US-amerikanische oder internationale Konzerne zu verklagen, wenn sie eine Niederlassung in den USA haben und internationales Recht verletzt haben. Im Juli 2001 reichte als erster der New Yorker Staranwalt Ed Fagan eine Sammelklage bei einem New Yorker Gericht ein. Fagan nahm aber keinen Kontakt mit Khulumani oder Jubilee South Africa auf. Er suchte Apartheidopfer per Zeitungsanzeige. Seine Klage gilt als schlecht recherchiert.
Anders der Washingtoner Anwalt Michael Hausfeld, der Sammelklagen von NS- Zwangsarbeitern vor amerikanischen Gerichten erfolgreich vertreten und eine Rassismusklage gegen Texaco gewonnen hat. Hausfeld arbeitet mit den südafrikanischen Organisationen zusammen, forschte umfassend nach und reichte im November 2002 bei einem Gericht des Eastern District von New York City eine Klage gegen 22 Konzerne ein, darunter fünf deutsche: DaimlerChrysler, Rheinmetall, die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank. Der Anwalt beruft sich darauf, dass Apartheid — wie Sklaverei und Völkermord — eine Verletzung des Völkerrechts darstellt. Der im Jahr 2002 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof hat Apartheid als Verbrechen gegen die Menschheit in sein Statut aufgenommen und um die Verbrechen der Zwangsumsiedlung, Versklavung und der sexuellen Gewalt ergänzt.
Hausfeld will die Unternehmen nach dem Rechtsprinzip der Secondary Liability haftbar machen, das schon während der Nürnberger Prozesse angewandt wurde. Hausfeld argumentiert, dass die ausländischen Unternehmen mit ihrer Unterstützung von wirtschaftlichen Schlüsselsektoren wie Bergbau, Transport, Rüstung, Technologie, Öl und Finanzen dem Regime nicht nur »behilflich«, sondern Teil des Systems waren. Unter den Beschuldigten sind acht Banken, darunter fünf deutsche. IBM- Computer halfen bei der Herstellung der verhassten Passbücher, mit denen Schwarze jahrelang schikaniert wurden. Die Ölkonzerne Shell, Fina, Caltex und Exxon verstießen gegen das Ölembargo. Die halbstaatliche Atlantic Diesel Engines — ADE (seinerzeit war Mercedes zu 12% an ADE beteiligt) — lieferte Dieselmotoren für Militärfahrzeuge. DaimlerChrysler wird die Lieferung von Unimogs vorgeworfen. Außerdem seien seinerzeit in großem Maßstab Militärlastwagen in den Johannesburger Benz-Werkstätten repariert worden.
US-Emissäre haben die ANC-Regierung gewarnt, die Klagen zu unterstützen — bei Strafe ausbleibender Investitionen. Hausfelds südafrikanischer Partner Charles Abrahams berichtet, dass US-amerikanische Verbände bei einer Konferenz beschlossen hätten, auf Kongressabgeordnete einzuwirken, den Alien Tort Claims Act zu streichen. Die Täter in Nadelstreifen haben Grund zur Beunruhigung. Denn nach US-amerikanischem Recht wird es im Verlauf des Prozesses gegen die Helfershelfer des Apartheidregimes möglich sein, die Firmenarchive einzusehen. Für die US-Anwälte sind die Klagen völkerrechtliche Testfälle; für die internationale Kampagne sind sie ein Präzedenzfall zur Durchsetzung menschenrechtlicher Standards. Khulumani verlangt nicht weniger, als dass »Staaten und Unternehmen öffentlich anerkennen, dass sie Nutzen aus der Plünderung natürlicher und menschlicher Ressourcen ziehen und diesen Prozess der Ausbeutung, der zu Ungleichheiten und Ungleichgewichten in verschiedenen Regionen der Welt geführt hat, wiedergutmachen.«

Birgit Morgenrath/Gottfried Wellmer

Birgit Morgenrath arbeitet im Rheinischen JournalistInnenbüro, Gottfried Wellmer beschäftigt sich als freier Publizist vor allem mit dem südlichen Afrika. Der Artikel ist die stark gekürzte Fassung eines Kapitels aus dem Buch Deutsches Kapital am Kap. Kollaboration mit dem Apartheidregime, Hamburg: Edition Nautilus, 2003, 160 Seiten, 12,90 EUR.



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