SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 15

Südafrika

Risse in der Regenbogennation

Der südafrikanische Literaturwissenschaftler Neville Alexander, der 1961 in Tübingen über das Werk von Gerhard Hauptmann promovierte, reist auch heute noch häufig nach Deutschland. Wenn dann ehemalige Mitstreiter gegen die Apartheid die Situation des heutigen Südafrika in allzu rosigen Farben malen, widerspricht er höflich. »Aus der Ferne betrachtet sieht vieles besser aus, als es tatsächlich ist«, sagt Neville Alexander über die »Regenbogennation« Südafrika.
Der Kampf gegen das Apartheidregime hat die Biografie des Mittsechzigers geprägt. Elf Jahre lang, bis 1974, saß er zusammen mit Nelson Mandela auf Robben Island, der berüchtigten Sträflingsinsel. Schon damals war er im Unterschied zu vielen Vertretern des ANC der Ansicht, dass eine Befreiung Südafrikas nur möglich sei, wenn auch der Kapitalismus überwunden würde. Die Fakten und Perspektiven, die er in seinem neuen Buch Südafrika. Der Weg von der Apartheid zur Demokratie ausführt, scheinen seine These von damals zu bestätigen.
Akribisch analysiert er das heutige Südafrika — und räumt auf mit den Mythen, die hierzulande über die Befreiungsbewegung in Südafrika existieren. Der ANC war weder »kommunistisch«, noch hat ein Umsturz das Apartheidsystem hinweggefegt. Eigenmächtig — hier beruft sich Neville Alexander auf die Autobiografie Nelson Mandelas — habe dieser eine Politik der Versöhnung mit dem Apartheidregime eingeleitet, die später vom gesamten ANC mitgetragen wurde. Die wirtschaftlichen Besitzverhältnisse, so die Vereinbarung mit dem damaligen Regierungschef Frederic De Klerk, sollten nicht angetastet werden. Das war ein Preis dafür, dass das Apartheidregime abdankte und das erste Mal freie Wahlen ausrief, an der sich auch die nichtweiße Bevölkerungsmehrheit beteiligen konnte. Andererseits sieht der Buchautor Nelson Mandela und den ANC in einer historischen Zwangssituation, denn die Alternative wäre voraussichtlich eine Militärregierung und ein lang andauernder Bürgerkrieg gewesen.
Doch fast zehn Jahre später sind die Folgen für das heutige Südafrika kaum zu übersehen. Neville Alexander zählt die Fakten auf: Noch immer gehört der größte Teil des fruchtbaren Landes der weißen Minderheit, ebenso die Industrie, Bankhäuser, Bergwerke und der Löwenanteil des privaten Mediensektors. Das Versprechen, allen Südafrikanern Arbeit und ein menschenwürdiges Auskommen zu ermöglichen, konnte der ANC bis jetzt nicht einlösen und wird es auch in Zukunft nicht können. Mehr als 40% Arbeitslose stehen einer kleinen schwarzen Mittelschicht gegenüber.
»Heute haben die schwarze und die weiße Mittelklasse und bourgeoise Gruppen eine offene Allianz gegen die verarmte Arbeiterschaft gebildet«, meint Neville Alexander. Streiks und Proteste haben sich in den vergangenen Jahren gehäuft. Die sich zuspitzenden Klassenkämpfe könnten dazu führen, dass die Bevölkerung erneut entlang von ethnischen Grenzen mobilisiert wird, befürchtet Neville Alexander.
Anzeichen dafür sieht der Sprachwissenschaftler schon. Die Regenbogennation bekomme nicht einmal ihr Sprachproblem in den Griff. Zwar sind de jure elf offizielle Sprachen gleichberechtigt anerkannt. De facto aber stehen diejenigen am Rande der Gesellschaft, die kein Englisch sprechen — und das ist die absolute Mehrheit der Südafrikaner. Sie könnten leicht zur politischen Manövriermasse aufstrebender Eliten werden. Nämlich dann, wenn diese versuchen, die jeweiligen Identitätszeichen wie Sprache, Hautfarbe, Religion oder Herkunft für ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Vorteile zu mobilisieren. Afrikaaner, Farbiger und Zulu — das ist weitaus mehr als nur ein Spiel um Worte. Das Ergebnis dieser Identitätsbildung ist nach Ansicht von Neville Alexander todernst und wird für die nächsten Jahrzehnte über Krieg oder Frieden in Südafrika entscheiden.
Doch dies allein wird nicht ausreichen. Sollte es innerhalb einer Generation in Südafrika nicht zu einer radikalen Umverteilung der materiellen Ressourcen kommen, wird sich die, so Neville Alexander, »wohlklingende Rhetorik« der Regenbogennation gegen ihre Protagonisten wenden. Hoffnungsträger einer Umverteilung sind für ihn die Bündnisse gegen Privatisierungspolitik und die gut organisierten Gewerkschaften, in denen der Unmut über die ANC-Regierung und ihr neoliberales Wirtschaftsprogramm immer lauter wird. 2004 wird in Südafrika gewählt. Wer wissen will, wohin die Reise geht, kommt an Neville Alexanders Buch nicht vorbei.

Gerhard Klas

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