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Die Kritik von Angela Klein am PDS-Programmentwurf finde ich von zwei Gesichtspunkten aus inakzeptabel: Erstens vermisst
sie darin Dinge, die durchaus enthalten sind, und zweitens kritisiert sie solche, die zu Recht dort stehen.
1 Unter dem Abschnitt des Programmentwurfs »Die gegenwärtige Welt« werden im Gegensatz zu Angelas Behauptung die
neoliberale Offensive, ihre Ursachen und Folgen ausführlich behandelt. Unter »Die Europäische Union« wird nicht die momentan
bestehende EU befürwortet, sondern »die europäische Integration und die Erweiterung der EU auf einer demokratischen, sozialen,
ökologischen und zivilen Grundlage«; zugleich werden »alle Tendenzen, die EU in eine Militärmacht zu verwandeln, den Sozialstaat zu
zerstören und die Demokratie abzubauen« abgelehnt. Vom Stabilitätspakt ist nicht die Rede, vielmehr von »einer eigenständigen
Rolle in der internationalen Politik, indem sie sich dem Hegemonialstreben der USA widersetzt«.
Der Satz »Das Gewinninteresse ist eine wichtige Bedingung für Innovation und
betriebswirtschaftliche Effizienz« steht nicht in der Präambel, sondern in Teil »Sozialismus Ziel, Weg und Werte«. Der Satz
heißt außerdem richtig: »Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Bedingungen für Innovation und
betriebswirtschaftliche Effizienz«, und ihm folgt eine wesentliche Erläuterung, die Angela auslässt: »Sie lassen sich mit sozial-
ökologischem Wirtschaften verknüpfen. Ohne entsprechende gesellschaftliche Rahmenbedingungen, ohne Kontrolle und starke sozialstaatliche
Gegengewichte führen private Unternehmerinteressen jedoch zu volkswirtschaftlich verlustreichen, zu sozialen und umweltzerstörerischen
Fehlentwicklungen. Die gesellschaftliche Dominanz von Profit ist daher mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit Sozialpflichtigkeit
unvereinbar.«
Unter der Überschrift »Etwas Keynes« kommentiert Angela den Satz:
»20% der Weltbevölkerung im Norden produzieren und konsumieren 70% der Güter und Dienstleistungen weltweit« wie folgt:
»Kommt niemand auf die Idee, dass dies keine Basis für eine ausgewogene Entwicklung der Weltwirtschaft sein kann?«, als ob nicht alle
weiteren Absätze des Abschnitts »Die globalen sozialen Probleme« ausführlich eben diese Feststellung treffen. Nirgends wird das
kapitalistische Wachstumsmodell befürwortet, wie sie behauptet. Vielmehr heißt es: »Wirtschaftliches Wachstum ist aus Sicht einer
alternativen Wirtschaftspolitik notwendig, um beschäftigungspolitische und soziale Probleme zu lösen und Armut zu überwinden. Es ist auf
den Ausbau der Infrastruktur für eine selbstbestimmte Lebensweise, auf anspruchsvolle Dienstleistungen und den sozialen und ökologischen Umbau
der Gesellschaft auszurichten.« Also auf Investition in Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnungswesen, Städteplanung für die Menschen usw.
Meines Erachtens ist das eine eindeutig antikapitalistische Position.
2 Ich möchte am Beispiel einer ihrer kritischen Bemerkungen zeigen, dass Angela m.E. leider das Wesentliche am selbstverschuldeten
Untergang der DDR und des »Realsozialismus« nicht verstanden hast. Sie rügt, die PDS habe »die bürgerliche Sichtweise
übernommen … dass die DDR deswegen untergegangen sei, weil ihr die Demokratie (die bürgerlich-repräsentative, versteht sich)
fehlte«. Sie stellt mit Erschrecken fest, dass die Kritik am Stalinismus für einige geradewegs in das Lob auf die »Eigenverantwortung, in
Sozialstaatskritik als Kritik an staatlicher Bevormundung‚ und in eine individualistische Kritik am Bürokratismus mündet«.
Ja, die DDR, in die auch Leute wie ich 1946 aus der wesentlich gemütlicheren
Emigration in England zogen, weil sie helfen wollten, dort »eine andere Welt« aufzubauen, ist in der Tat nicht einfach an der angeblich so maroden
Wirtschaft, auch nicht am Mangel an Bananen und Apfelsinen zugrunde gegangen, sondern, weil trotz der Sicherheit, der billigen Mieten, der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der konsequenten Friedenspolitik, der Abwesenheit von Armut und Prostitution, der weitgehenden Chancengleichheit der
Bürger u.v.a.m., was uns verloren ging ihr die Demokratie fehlte, weil die Parteiapparatschiks gleicher waren als alle anderen, weil es zwar eine
kleinere Bürokratie als jetzt gab, diese aber dennoch als unerträglich empfunden wurde, weil es staatliche Bevormundung bis in kleinste und
privateste Bereiche gab, die die Menschen antagonisierten und lähmten, weil die herrschenden Parteispitzen nicht nur kein Vertrauen in das Volk hatten,
sondern auch unbereit waren, dies Vertrauen jemals entstehen zu lassen. Wie es im Programmentwurf richtig heißt, war die SED »weder fähig
noch bereit, Sozialismus mit Demokratie und Freiheit zu verknüpfen«. Erstens geht es hier nicht nur um bürgerlich-repräsentative
Demokratie. Zweitens muss unter Linken endlich klar werden, dass es keine alternative Gesellschaft geben wird und kann, die hinter die bürgerliche
Demokratie zurückfällt. In Zeiten wie heute, wo diese durch den Neoliberalismus ausgehebelt wird, ist sie ein unverzichtbares Gut.
Im Übrigen fehlt bei Angela die wichtigste Kritik, die an dem Programmentwurf zu
leisten gewesen ist. Sie schreibt: »Es würde zu kurz greifen, konzentrierte man die Auseinandersetzung mit der PDS nur auf die Frage der
Regierungsbeteiligung.« Diese Partei kommt nicht wegen ihres Programms wieder in den Bundestag oder andere Parlamente, sondern wegen ihrer
praktischen Politik vor Ort. Daher ist die Frage, wie sie im Eventualfall mitregiert, von erstrangiger Bedeutung. Eine Partei kann ein noch so wunderbares
Programm haben, gemessen wird sie daran, welchen praktischen Kurs sie auf den verschiedenen Ebenen hält, einen im Interesse der
Bevölkerungsmehrheit oder einen im Sinne der Herrschenden.
Was der Entwurf unter »Veränderung mit der PDS
Selbstveränderung der PDS« erklärt, mündet in den unverzeihlichen Satz, dass die Partei »unter schwierigen Bedingungen
Politikfähigkeit« bewiesen habe. Eben das aber macht die schönen programmatischen Beteuerungen unglaubwürdig. Wären diese
wirklich Motiv und Ziel der Führung, müsste die Partei damit zu einem Motor des Kampfes gegen den Neoliberalismus werden. Wer aber wie die
Berliner PDS-Senatoren in vorauseilendem Gehorsam die SPD noch überholt, die durch ihr eigenes Mitmachen die in der Bankenskandalaffäre usw.
mitverursachten »Sachzwänge« als Begründung für neoliberale Politik verkauft (Liebich: »Am Sparkurs halten wir
fest!«), wer unter keinen Umständen seinen Stuhl räumt, gleich ob diese Politik die eigene Klientel zugrunde richtet und entfremdet, der ist
für die Mehrzahl dieser Menschen nicht mehr wählbar. Leider war das Angela nicht so wichtig dabei ist es das Entscheidende.
In freundschaftlicher Verbundenheit.
Hanna Behrend
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