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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 18

Zur PDS-Programmkritik in SoZ 11/03

Die wichtigste Kritik fehlt

Die Kritik von Angela Klein am PDS-Programmentwurf finde ich von zwei Gesichtspunkten aus inakzeptabel: Erstens vermisst sie darin Dinge, die durchaus enthalten sind, und zweitens kritisiert sie solche, die zu Recht dort stehen.

1 Unter dem Abschnitt des Programmentwurfs »Die gegenwärtige Welt« werden im Gegensatz zu Angelas Behauptung die neoliberale Offensive, ihre Ursachen und Folgen ausführlich behandelt. Unter »Die Europäische Union« wird nicht die momentan bestehende EU befürwortet, sondern »die europäische Integration und die Erweiterung der EU auf einer demokratischen, sozialen, ökologischen und zivilen Grundlage«; zugleich werden »alle Tendenzen, die EU in eine Militärmacht zu verwandeln, den Sozialstaat zu zerstören und die Demokratie abzubauen« abgelehnt. Vom Stabilitätspakt ist nicht die Rede, vielmehr von »einer eigenständigen Rolle in der internationalen Politik, indem sie sich dem Hegemonialstreben der USA widersetzt«.
Der Satz »Das Gewinninteresse ist eine wichtige Bedingung für Innovation und betriebswirtschaftliche Effizienz« steht nicht in der Präambel, sondern in Teil »Sozialismus — Ziel, Weg und Werte«. Der Satz heißt außerdem richtig: »Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Bedingungen für Innovation und betriebswirtschaftliche Effizienz«, und ihm folgt eine wesentliche Erläuterung, die Angela auslässt: »Sie lassen sich mit sozial- ökologischem Wirtschaften verknüpfen. Ohne entsprechende gesellschaftliche Rahmenbedingungen, ohne Kontrolle und starke sozialstaatliche Gegengewichte führen private Unternehmerinteressen jedoch zu volkswirtschaftlich verlustreichen, zu sozialen und umweltzerstörerischen Fehlentwicklungen. Die gesellschaftliche Dominanz von Profit ist daher mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit Sozialpflichtigkeit unvereinbar.«
Unter der Überschrift »Etwas Keynes« kommentiert Angela den Satz: »20% der Weltbevölkerung im Norden produzieren und konsumieren 70% der Güter und Dienstleistungen weltweit« wie folgt: »Kommt niemand auf die Idee, dass dies keine Basis für eine ausgewogene Entwicklung der Weltwirtschaft sein kann?«, als ob nicht alle weiteren Absätze des Abschnitts »Die globalen sozialen Probleme« ausführlich eben diese Feststellung treffen. Nirgends wird das kapitalistische Wachstumsmodell befürwortet, wie sie behauptet. Vielmehr heißt es: »Wirtschaftliches Wachstum ist aus Sicht einer alternativen Wirtschaftspolitik notwendig, um beschäftigungspolitische und soziale Probleme zu lösen und Armut zu überwinden. Es ist auf den Ausbau der Infrastruktur für eine selbstbestimmte Lebensweise, auf anspruchsvolle Dienstleistungen und den sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft auszurichten.« Also auf Investition in Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnungswesen, Städteplanung für die Menschen usw. Meines Erachtens ist das eine eindeutig antikapitalistische Position.

2 Ich möchte am Beispiel einer ihrer kritischen Bemerkungen zeigen, dass Angela m.E. leider das Wesentliche am selbstverschuldeten Untergang der DDR und des »Realsozialismus« nicht verstanden hast. Sie rügt, die PDS habe »die bürgerliche Sichtweise übernommen … dass die DDR deswegen untergegangen sei, weil ihr die Demokratie (die bürgerlich-repräsentative, versteht sich) fehlte«. Sie stellt mit Erschrecken fest, dass die Kritik am Stalinismus für einige geradewegs in das Lob auf die »Eigenverantwortung, in Sozialstaatskritik als Kritik an staatlicher Bevormundung‚ und in eine individualistische Kritik am Bürokratismus mündet«.
Ja, die DDR, in die auch Leute wie ich 1946 aus der wesentlich gemütlicheren Emigration in England zogen, weil sie helfen wollten, dort »eine andere Welt« aufzubauen, ist in der Tat nicht einfach an der angeblich so maroden Wirtschaft, auch nicht am Mangel an Bananen und Apfelsinen zugrunde gegangen, sondern, weil — trotz der Sicherheit, der billigen Mieten, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der konsequenten Friedenspolitik, der Abwesenheit von Armut und Prostitution, der weitgehenden Chancengleichheit der Bürger u.v.a.m., was uns verloren ging — ihr die Demokratie fehlte, weil die Parteiapparatschiks gleicher waren als alle anderen, weil es zwar eine kleinere Bürokratie als jetzt gab, diese aber dennoch als unerträglich empfunden wurde, weil es staatliche Bevormundung bis in kleinste und privateste Bereiche gab, die die Menschen antagonisierten und lähmten, weil die herrschenden Parteispitzen nicht nur kein Vertrauen in das Volk hatten, sondern auch unbereit waren, dies Vertrauen jemals entstehen zu lassen. Wie es im Programmentwurf richtig heißt, war die SED »weder fähig noch bereit, Sozialismus mit Demokratie und Freiheit zu verknüpfen«. Erstens geht es hier nicht nur um bürgerlich-repräsentative Demokratie. Zweitens muss unter Linken endlich klar werden, dass es keine alternative Gesellschaft geben wird und kann, die hinter die bürgerliche Demokratie zurückfällt. In Zeiten wie heute, wo diese durch den Neoliberalismus ausgehebelt wird, ist sie ein unverzichtbares Gut.
Im Übrigen fehlt bei Angela die wichtigste Kritik, die an dem Programmentwurf zu leisten gewesen ist. Sie schreibt: »Es würde zu kurz greifen, konzentrierte man die Auseinandersetzung mit der PDS nur auf die Frage der Regierungsbeteiligung.« Diese Partei kommt nicht wegen ihres Programms wieder in den Bundestag oder andere Parlamente, sondern wegen ihrer praktischen Politik vor Ort. Daher ist die Frage, wie sie im Eventualfall mitregiert, von erstrangiger Bedeutung. Eine Partei kann ein noch so wunderbares Programm haben, gemessen wird sie daran, welchen praktischen Kurs sie auf den verschiedenen Ebenen hält, einen im Interesse der Bevölkerungsmehrheit oder einen im Sinne der Herrschenden.
Was der Entwurf unter »Veränderung mit der PDS — Selbstveränderung der PDS« erklärt, mündet in den unverzeihlichen Satz, dass die Partei »unter schwierigen Bedingungen Politikfähigkeit« bewiesen habe. Eben das aber macht die schönen programmatischen Beteuerungen unglaubwürdig. Wären diese wirklich Motiv und Ziel der Führung, müsste die Partei damit zu einem Motor des Kampfes gegen den Neoliberalismus werden. Wer aber wie die Berliner PDS-Senatoren in vorauseilendem Gehorsam die SPD noch überholt, die durch ihr eigenes Mitmachen die in der Bankenskandalaffäre usw. mitverursachten »Sachzwänge« als Begründung für neoliberale Politik verkauft (Liebich: »Am Sparkurs halten wir fest!«), wer unter keinen Umständen seinen Stuhl räumt, gleich ob diese Politik die eigene Klientel zugrunde richtet und entfremdet, der ist für die Mehrzahl dieser Menschen nicht mehr wählbar. Leider war das Angela nicht so wichtig — dabei ist es das Entscheidende.

In freundschaftlicher Verbundenheit.

Hanna Behrend

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