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Die Notwendigkeit einer theoretischen Untermauerung der Praxis ist besonders drängend in Zeiten einer so schnellen wie
umfassenden Veränderung, wie wir sie gerade erleben. Die willkürliche Trennung der Zeit in Jahrhunderte lässt vielleicht jede
»Jahrhundertwende« als besonderen Wechsel erscheinen, es ist jedoch verblüffend, dass so viele sozialistische Denker genau dasselbe
Gefühl bereits vor hundert Jahren hatten, als der Imperialismus ebenso sehr im Zentrum des Interesses stand. Viele damalige Nichtmarxisten wie
Marxisten sahen den Kapitalismus im Fluss oder in der Krise und den Imperialismus als sein neuartiges Moment. Die Anzahl der damals involvierten Denker
und der Umfang, den ihre Arbeit annahm, sollte uns Mahnung sein, unsere 100 Jahre später vergleichbare Aufgabe nicht unüberlegt zu beginnen.
Doch erst als wir begannen, Beiträge für diesen Band zu akquirieren, haben wir realisiert, dass dies eine Aufgabe für mehrere Bände
und viele Autoren ist. Unsere Antwort war die Entscheidung, dass wir dem Thema wenigstens zwei aufeinander folgende Bände widmen werden.
Der Titel des Socialist Register 2004, »The New Imperial Challenge« (Die neue
imperiale Herausforderung), bezieht sich dabei nicht nur auf die neuen Herausforderungen, vor denen die Menschheit und die Selbstbestimmung im Angesicht
des US-Imperialismus heute steht, sondern auch auf die Herausforderung der Linken, eine bessere Imperialismustheorie und ihrer Beziehung zum globalisierten
Kapitalismus zu entwickeln. Socialist Register 2005, dessen Arbeitstitel »The New Imperial Order« (Die neue imperiale Weltordnung) lautet, wird
dagegen die Kartografie des zeitgenössischen Imperialismus seine Natur und Auswirkungen in verschiedenen Regionen der Welt mit
einem besonderen Fokus auf die Finanzen und die Kultur entfalten.
Unsere Entscheidung von Anfang 2001, den Imperialismus zu thematisieren, wurde von den
kommenden Ereignissen allzu treffend bestätigt. Bushs nach der Zerstörung des World Trade Center erfolgte Erklärung des »Kriegs
gegen den Terror«, der die Anmaßung des Rechts auf »präventive Kriege« folgte, spiegelt eine konkurrenzlose militärische
Macht der USA, die von einer rechtsgerichteten Administration mit beispiellosen globalen Ambitionen und dem Willen, diese Macht mit bemerkenswert geringer
Erwägung möglicher Konsequenzen anzuwenden, in Stellung gebracht wurde.
Dies verlangt eine drängende und realistische Lagebeurteilung, inkl. des Faktums, dass
die USA zur selben Zeit an noch zerstörerischen Waffen arbeiten, so u.a. an weltraumgestützten Waffen, von denen Noam Chomsky in seinem
kühlen Essay in diesem Band schreibt, dass sie »dem biologischen Experiment menschlicher Intelligenz ein unrühmliches Ende bringen
könnten«. Zweifellos erscheint die Kriegführung durch die USA selbst oder von Staaten, in die die US-Technologie exportiert wird
bereits eine gleichsam natürliche Erscheinung des US-amerikanischen Kapitalismus geworden zu sein.
Die Logik dieser Entwicklung ist nicht neu. In seiner Studie der alliierten
Massenbombardierungen Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs (On the Natural History of Destruction) hat W.G.Sebald beschrieben, wie die
Bombenangriffe Ergebnis einer umfassenden technischen und organisatorischen Mobilisierung waren, die ihrer eigenen immanenten Logik gehorchte und jeden
wachsenden Einwand beiseite schob, dass sie trotz der unaussprechbaren Kosten an zivilen Leben und totaler Zerstörung deutscher Städte
militärisch nicht effektiv waren. Das involvierte Personal, von den Arbeitern der Waffenfabriken bis zu den Bomberpiloten selbst, konnte nur einbezogen
werden auf der Grundlage einer Akzeptanz, so oder so, dass dieser ganze Prozess als irgendwie natürlich galt.
Sebald zitiert die Reaktion eines Offiziers der US-Luftwaffe, des von einem deutschen
Journalisten 1952 in Halberstadt interviewten Brigadiers Fredrick L. Anderson. Gefragt, ob es irgendeinen Unterschied gemacht hätte, wenn die betroffene
Stadt eine große weiße Kapitulationsflagge von der Spitze der größten Kirche gewunken hätte, antwortete Anderson, dass die
Bomben »teure Angelegenheiten« waren; »praktischerweise«, sagte er, »konnten sie nicht über Bergen oder offenem Land
abgeworfen werden, nachdem zuhause soviel Arbeit in ihre Herstellung investiert wurde«.
Niemand, der die Ansammlung der überwältigenden US-Militärmacht im
Persischen Golf bedenkt, 1991 und erneut 2003, kann bezweifeln, dass es auch heute eine vergleichbare Logik gibt. Es ist nicht leicht, Sebalds Schlussfrage zu
verneinen: Ob die von der industriellen Logik getriebenen, so regelmäßigen wie vorhersagbaren menschlichen Katastrophen nicht als
»Vorwegnahmen« jenes Punktes gelten können, »an dem wir von der so lang erkämpften Geschichte menschlicher Autonomie in
die Naturgeschichte zurückfallen«.
Wir glauben nicht, dass eine solch verheerende Perspektive unausweichlich ist. Wir lassen uns
von Eric Hobsbawms oft zitiertem Überblick über das US-amerikanische Empire (in Le Monde Diplomatique Juni 2003; in der deutschen Ausgabe
nicht enthalten) inspirieren, der mit der Überlegung endet, »dass wir einzig darüber absolute Gewissheit haben können, dass das neue
Imperium historisch betrachtet ein ebenso vorübergehendes Phänomen sein wird wie alle vorhergehenden«. Natürlich hängt
jedoch dessen Niederlage von unserer Fähigkeit ab, die ökonomischen, politischen und ökologischen Widersprüche des
Imperialismus des 21.Jahrhunderts herauszuarbeiten und erfolgreiche Gegenstrategien zu entwickeln.
Trotz seiner scheinbar überwältigen Unterdrückungskraft wird der US-
Imperialismus von ernsthaften Problemen heimgesucht. Das eine sind die selbst für die USA umfangreichen Kosten, jene militärische Kraft aufrecht
zu erhalten, die sie für ihre neuen imperialen Ambitionen brauchen. Das andere ist der Widerspruch zwischen der absoluten Unwahrscheinlichkeit jener
von der Bush-Administration vorgesehenen umfassend proamerikanischen, konsumistischen, auf dem schönen Schein der repräsentativen
Demokratie stabil ruhenden Weltordnung und jenem kontraproduktiven Wesen, das auf dem brutalen Zwang beruht, diese politische Zielsetzung zu erreichen.
Noch wichtiger ist vielleicht die Delegitimierung, die zunehmend gerade jene Regierungen befällt, auf die die USA bei ihrer politischen Beherrschung des
globalen Empire setzen müssen. Mögliche Wege zu finden, in diese Widersprüche zu intervenieren und die dafür notwendigen
Fähigkeiten zu entwickeln, das ist die wahre Herausforderung, die das Imperium der Menschheit stellt.
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