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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 22

Nicht so harmlos wie beabsichtigt

Kommunismuskongress in Frankfurt

»Indeterminate! Kommunismus«: Unter diesem Titel fand in Frankfurt am Main vom 7. bis 9.November ein internationaler »Kulturkongress« statt, organisiert von den Gruppen DemoPunK in Frankfurt und Düsseldorf und KP (Kritik und Praxis) in Berlin mit Unterstützung von allerhand Institutionen und Organisationen wie dem Suhrkamp-Verlag über das Rosa-Luxemburg-Forum Hessen bis zur DGB-Jugend. Obgleich die teilweise eher abschreckenden, für Menschen ohne Philosophiestudium unlesbaren Ankündigungstexte eine Veranstaltung für hippe subkulturell-intellektuelle Distinktionseliten erwarten ließen, kamen über 1000 Interessierte, sicher mehr als die Hälfte davon unter 30.
Im Vorfeld hatte es Auseinandersetzungen zwischen den vorbereitenden Gruppen gegeben — DemoPunK wollte im Glauben, nur die »Unbestimmtheit« des Begriffs Kommunismus mache diesen heute diskutabel, keine »orthodoxen Marxisten« auf den Podien haben. Selbst die Teilnahme der gewiss nicht des Dogmatismus verdächtigen Haugs vom Argument- Verlag konnte von der Berliner »KP« nur mit Mühe durchgesetzt werden. Dennoch fielen die Diskussionen interessanter aus, als es einem Teil der Organisatoren wohl vorschwebte — nicht ganz so harmlos wie beabsichtigt, zumal die zufällig parallel stattfindenden Aktionen gegen die Bildungspolitik des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch wenigstens für ein bisschen Praxisbezug sorgten. Die Einsicht bricht sich Bahn, dass Opposition mehr sein muss als postmoderne Lifestylepolitik.
So erntete den stärksten Applaus bei der Auftaktveranstaltung der als post- poststrukturalistischer Neoleninist verschriene slowenische Philosoph Slavoj Zizek, der mit der These provozierte, dass die auf die Themen der dekonstruktiven Identitäts- und Differenzpolitik konzentrierte Orientierung der Alternativbewegungen der 80er und 90er Jahre trotz ihrer Verdienste das Terrain des Liberalismus nicht überschreite, sondern heute eher einen eurozentrischen Neoliberalismus verstärke. Dass Zizek mit der ihm eigenen sinistren Ironie zur Unterstreichung seines Aufrufs zum Ausbruch aus dem bürgerlichen Katastrophensystem dann gleich Stalin und den Sendero Luminoso bemühte, mag degoutant erscheinen und wäre auch nicht nötig gewesen, da er auch ohne solchen Sarkasmus seinem Kontrahenten Micha Brumlik überlegen war. Dieser glaubte, die »Blutspur« des historischen Kommunismus (von Lenin bis Pol Pot!) mit moralphilosophisch begründeten Demokratieidealen konfrontieren zu müssen, und bekannte sich zu Eduard Bernstein. Alles, was über ein Streben nach mehr Verteilungsgerechtigkeit hinausgeht, verfällt bei Brumlik dem Totalitarismus-Verdikt.
Zizeks Mahnung, zu analysieren, was Demokratie heute in Wirklichkeit ist, statt sich Ideen einer besseren Demokratie auszudenken, wurden allerdings von anderen links-demokratischen Rednerinnen und Rednern, die am Samstagvormittag die Monopolstellung auf dem Forum »Ökonomie der politischen Kritik — Kommunismus und radikale Demokratie« innehatten, in den Wind geschlagen. Die von jedem Bezug auf Produktionsverhältnisse freien Botschaften von Chantal Mouffe und Axel Honneth rissen jedoch niemanden vom Stuhl.
Bei der zweiten, dem originär marxschen Thema »Kritik der politischen Ökonomie: Quantität und Qualität des gegenwärtigen Kapitalismus« gewidmeten Abendveranstaltung war der stärkste Publikumszustrom zu verzeichnen, und die »orthodoxen« Beiträge zogen weitaus mehr Aufmerksamkeit auf sich als die »postmodern« oder »kulturalistisch« getönten. Die Kulturproduzentin Marion von Osten erläuterte an einem Dokumentarfilm aus dem Jahr 1979 über das »Selbstmanagement« einer aktiven Feministin zwischen ökonomisch wenig einträglicher beruflicher Selbstständigkeit als Fotografin, dem Streben nach Akkumulation kulturellen Kapitals, politischem Engagement und Familie die Tendenzen, die ihrer mit Theoremen von Negri und Hardt unterfütterten Meinung nach heute von zentraler Bedeutung seien. Das wurde aber nicht diskutiert, denn der Star des Abends war Joachim Hirsch, der die Veränderungen, die der Kapitalismus heute durchmacht, und die Bruchlinien, an denen seine Überwindung ansetzen muss, in marxistischen Termini fasste. Einen Schritt weiter ging Nadja Rakowitz, die einerseits im Rekurs auf Grundbegriffe der marxschen Kritik der politischen Ökonomie, andererseits mit empirischen Argumenten diverse in der Antiglobalisierungsbewegung verbreitete Mythen souverän kritisierte. So verdienstvoll ihre Hinweise zum einen auf diverse Missverständnisse der marxschen Theorie, zum anderen auf die Verkennung einer viel komplexeren Realität in falsch oder zu einfach gestrickten neuen Theorieparadigmen waren, so wenig war allerdings ihre oberlehrerhafte, von wenig Kenntnis der allzu pauschal der »Produktionsvergessenheit« bezichtigten Bewegungen getragene Darstellungsweise geeignet, diejenigen zu erreichen, die es eigentlich anginge.
Konstruktiver fiel in einer Arbeitsgruppe über Globalisierungskritik und kommunistische Praxis die Konfrontation des »bewegungsorientiert« ansetzenden, trotz seiner arg subjektivistischen Schlagseite die Kräfteverhältnisse und Entwicklungen kompetent einschätzenden und zu kritischem Eingreifen in ihnen statt gegen sie aufrufenden Thomas Seibert mit dem im Ansatz als profunder Marx-Kenner ähnlich wie Nadja Rakowitz mit fetischismuskritischer Strenge argumentierenden, aber erheblich flexibleren und umsichtigeren Michael Heinrich aus.
Hier deutete sich an, was Wolfgang Fritz Haug in der Schlussrunde als »Denken in mehreren Instanzen« einforderte. Dessen Notwendigkeit machte der Kongress ansonsten nur ex negativo deutlich. Das Verdienst der Veranstaltung war, entgegen den Intentionen eines Teils der Initiatoren gezeigt zu haben, dass ein Publikum existiert, das an etwas anderem interessiert ist als einem zusammenhanglosen Potpourri akademischer Eitelkeiten, das die Konzeption des Kongresses dominierte. Ein anderer, politischer Kongress über den Kommunismus wäre nötig, einer, auf dem Kommunistinnen und Kommunisten der von der argentinischen Marxistin und Feministin Dora de la Vega vorgebrachten Aufforderung folgen, sich nicht der Hegemonie postmoderner Halblinker zu unterwerfen. Der würde aber garantiert nicht von der Bundeskulturstiftung finanziert.

Henning Böke

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