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Glaubt man Bildungsministerien und Wirtschaftsverbänden, so ist Bildung eine Ressource oder ein knappes und
begrenztes Gut, mit dem man sparsam und effizient umgehen muss. Bildung aber ist Wissen, das durch gesellschaftliche Prozesse produziert, konsumiert und
reproduziert wird. Wissen kann praktisch unendlich erweitert werden. Begrenzt sind lediglich die Institutionen und Medien, um vor allem wissenschaftliches,
also überprüfbares Wissen weiter zu entwickeln und weiterzugeben. Bildung und Wissen sind demnach vor allem durch die Regulierung solcher
Institutionen und Medien gesellschaftlich steuerbar.
Natürlich ist Bildung auch im »privaten«, selbstorganisierten Bereich, z.B. in der Familie oder in Lerngruppen möglich, sofern es
das Umfeld zulässt. Bildung ist aber vorrangig eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Zugang zum Bildungssystem unterliegt bestimmten Regeln, um die
stets gesellschaftlich gerungen wird. So erkämpften sich Frauen das heute fast als selbstverständlich geltende Recht auf Hochschulbildung, das
formal und auch materiell zunächst nur Männern offen stand.
Kinder aus »bildungsfernen«, sozial schlechter gestellten Familien haben bis heute
erhebliche Mühe, die materiellen Voraussetzungen für ein Studium zu erlangen, auch wenn sie formal einen freien Hochschulzugang haben.
Migrantinnen und Migranten müssen darüber hinaus zusätzlich zu den finanziellen auch noch formale Hürden überwinden.
Ein Staat setzt die Rahmenbedingungen eines Bildungssystems, indem er die
Bildungsinstitutionen und den Zugang zur Bildung reguliert. Damit entscheidet auch der Staat bzw. die Staatsform darüber, wie Bildung umgesetzt wird
und welche Funktionen sie hat. So wird auch reguliert, inwieweit Bildung zur Emanzipation, politischen Partizipation oder kulturellen Teilhabe beiträgt.
In einem kapitalistischen System hat ein Bildungssystem vorrangig immer zwei Funktionen: die Produktion von Arbeitskräften (Ausbildung) und
speziell im Hochschulbereich die Bereitstellung von notwendigem Wissen (Forschung). Diese Grundvoraussetzungen muss ein Staat sicherstellen, damit dieses
Wirtschaftssystem funktionieren kann. Möglichst alle Menschen brauchen gewisse Basisqualifikationen, während Spezialausbildungen den
individuellen Wert der Arbeitskraft erhöhen, der sich im Preis der Arbeitskraft, also dem Lohn, widerspiegelt.
Dabei ist zu beobachten, dass soziale Verhältnisse reproduziert werden: Trotz formaler
Gleichheit neigen Kinder aus finanziell besser gestellten Familien eher zu einem Hochschulstudium, während Kinder aus ärmeren Schichten, deren
Eltern meist ebenfalls keine akademische Ausbildung genossen haben, seltener ein Studium aufnehmen. So bleiben soziale Verhältnisse stabil eine
breite Masse arbeitender und konsumierender Menschen steht einer Auswahl an Menschen mit »höherem« Ausbildungsgrad gegenüber.
Die Intensität dieser Reproduktion kann nach Bedarf gesteuert werden: Als es in den
60er Jahren zu wenige Fachkräfte in der BRD gab (die DDR wurde eingemauert, die alten Nazi-Eliten starben langsam weg, die Produktivität war
stark gestiegen), wurden die Studiengebühren abgeschafft, Hochschulen neu- bzw. ausgebaut und später das BAföG eingeführt, sodass
sich das Bildungssystem sozial öffnete.
Spätestens in den 80er Jahren nahm dieser Trend ab, der Bedarf an Fachkräften
war weitgehend gedeckt, die Ausstattung des Bildungssystems stagnierte. Wie man an den regelmäßigen Sozialerhebungen des Deutschen
Studentenwerks sehen kann, ist der Hochschulzugang zunehmend von der sozialen Herkunft abhängig, was sich durch eine Wiedereinführung der
Studiengebühren noch weiter verstärken wird.
Solche Entwicklungen haben weniger mit der aktuellen Ausstattung der öffentlichen
Kassen oder dem politischen Ziel sozialer Gerechtigkeit zu tun, vielmehr ist der Grad der sozialen Öffnung eine bewusste politische Entscheidung, mit
welcher der Staat für die Bereitstellung geeigneter Arbeitskräfte in ausreichender Anzahl sorgen will.
Vergleichbares gilt für den Forschungsbereich: Der Staat sorgt für kostenlos
verfügbares Wissen, das verwertet werden kann. Daher sind auch Befürchtungen, dass irgendwelche Konzerne Hochschulen komplett aufkaufen (die
berühmte Vision der »McDonalds-Universität«) unbegründet. Für ein Unternehmen ist es weitaus interessanter,
bestimmte Forschungsbereiche mit so genannten Drittmitteln auszustatten, damit einzelne Institute gezielt Forschungsarbeit leisten, die von den Sponsoren
genutzt werden können. Damit verschieben sich allerdings Forschungsschwerpunkte innerhalb der Universität.
Nach Auffassung der meisten Landesregierungen sowie Wirtschaftsverbänden gehen solche Prozesse momentan aber nicht weit genug: Die
Hochschulen und die Studierenden sollen ökonomischer, leistungsfähiger und effizienter arbeiten. Um der Marktwirtschaft ein wenig nachzuhelfen,
wurde im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen das Studienkontenmodell entworfen, das auch in anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und
Berlin Schule macht.
Alle Studierenden erhalten ein gebührenfreies Kontingent an Semestern bzw.
Semesterwochenstunden. Das steht erst einmal allen zur Verfügung, in einigen Fällen (Krankheit, Behinderung, Erziehung von Kindern etc.) gibt es
auch ein paar Semester extra man möchte ja schließlich kein »Humankapital« verschwenden. Man verknappt also
künstlich den Zugang zur Bildung, damit Studierende gezwungen sind, mit dieser gewollt begrenzten »Bildungsmenge« sparsam umzugehen.
Wer dies nicht kann oder will, soll zukünftig 650 Euro für jedes zusätzliche Semester zahlen.
Diese Einnahmen fließen dann an die Hochschulen, Fakultäten und Institute.
Dabei sollen nicht die Institute das meiste Geld bekommen, die die meisten »Langzeitstudierenden« haben, also die Einnahmen
»erwirtschaftet« haben. Die Verteilung soll umgekehrt proportional erfolgen: Ein schlecht ausgestattetes Institut mit langen
Durchschnittsstudienzeiten bekommt weniger Mittel als ein Institut, das gut ausgestattet ist und den Studierenden ein zügigeres Studium ermöglicht.
Damit soll ein »Anreiz« für schlecht ausgestattete Institute geboten werden, Studierende schneller zum Studienabschluss zu bringen, damit sie
wieder mehr Gelder aus den Studiengebühreneinnahmen erhalten.
Diese Marktlogik wird aber in der Regel dazu führen, dass einzelne Fachbereiche, die im
Sinne der Landesregierung nicht »effektiv« sind, entweder den finanziellen Druck auf die Studierenden übertragen müssen oder von
erheblichen Kürzungen bis hin zur Schließung bedroht werden.
Aber auch hier lässt sich die Landesregierung noch eine Hintertür offen: Damit
nicht Fachbereiche schließen, an denen ein »öffentliches Interesse« besteht, können solche Bereiche gezielt mit
»Bonusguthaben« subventioniert werden. Schließlich kann sich die »unsichtbare Hand« des Marktes ja auch mal irren…
So schafft das Studienkontenmodell mit unglaublichem bürokratischen Aufwand weitere
ökonomische Mechanismen an der Hochschule. Jeder Schritt der Studierenden wird kontrolliert, erfasst und in Finanzzuweisungen an deren Fachbereiche
umgerechnet. Zusätzlich schafft man Ausnahmetatbestände, um Studierende oder Hochschulen außerhalb dieser Regelungen doch noch mit
»Guthaben« zu versorgen. Das Ziel dieser Planwirtschaft ist, dass Hochschulen und Studierende einen ökonomischen Umgang mit Bildung
verinnerlichen und sich als Konkurrenten verstehen sollen. Je nach Marktbedarf greift das Ministerium dann ein, um den Markt wieder zu
»säubern«.
Bildung als demokratische und emanzipatorische Errungenschaft wird zunehmend nur noch ein
schwindender Nebeneffekt unseres Bildungssystems sein. Es liegt an den Studierenden und der Schülerschaft, ob sie sich in Zukunft immer mehr zum
»Humankapital« degradieren lassen wollen, oder ob sie für ein Recht auf Bildung und eine demokratische, solidarische und emanzipatorische
Hochschule kämpfen.
Markus Struben
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