SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 7

Bildung ist keine Dienstleistung

Die Hochschulproteste wachsen und vernetzen sich

In Rumänien, Frankreich und Großbritannien gingen Studierende bereits im Sommer 2003 auf die Straße und erklärten ihre Unzufriedenheit mit der herrschenden Bildungspolitik. Die Kritikpunkte im Einzelnen unterscheiden sich von Land zu Land: Hier ist es die geplante Einführung von Studiengebühren, dort die fehlende Wohnraumversorgung oder Probleme bei der Studienfinanzierung etc. Die Bereitschaft zum Widerstand ist aber überall vorhanden.

Ab Oktober breiteten sich die Proteste auch in Deutschland aus. In Niedersachsen wurde bereits am 24.Oktober eine Großdemonstration in Emden organisiert. In Hessen begannen die Hochschulen in Marburg, Frankfurt und Gießen Anfang November mit einem Streik. Kurz darauf schlossen sich Berliner Hochschulen an. Die größten Demonstrationen gab es am 12.November in Hannover und am 18.November in Wiesbaden. Zwischenzeitlich war die Protestwelle auch auf andere Bundesländer übergeschwappt. Vor allen in Sachsen-Anhalt und Bayern mehrte sich der Protest. Am 20.November demonstrierten 40000 Menschen in München.
Zwischen den einzelnen Bundesländern lassen sich zahlreiche Parallelen ziehen. Überall stehen unter solch zynischen Bezeichnungen wie »Hochschuloptimierungskonzept« oder »Zukunftssicherungskonzept« massive Einschnitte im Bildungs- und Sozialbereich zur Diskussion. Teilweise sind ganze Fachbereiche oder sogar Hochschulen von Schließungen bedroht. Parallel wird laut über die Einführung von Studiengebühren nachgedacht.
Am 29.November fand deshalb auf Einladung des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) ein Koordinierungstreffen in Jena statt. Anlass ist das zehnjährige Jubiläum des bundesweiten Dachverbands. Angesichts der aktuellen Lage wurde kurzfristig ein Protestplenum ins Programm integriert. Die mehr als 120 Teilnehmenden aus dem ganzen Bundesgebiet wurden sich schnell einig, dass gemeinsam Druck aufgebaut werden soll. Als Termin wählte man den 13.Dezember und legte als zentrale Demonstrationsorte Frankfurt am Main, Leipzig und Berlin fest. Die anwesenden Vertreter von GEW und Ver.di unterstützen die Idee. Auch bei der LandesschülerInnenvertretung NRW, die eine Teilnehmerin zum Protestplenum geschickt hatte, traf der Vorschlag auf Zuspruch. Auch Schüler sollen zur Demonstration mobilisiert werden.
In der allgemeinen Proteststimmung der folgenden zwei Wochen kamen zahlreiche Hochschulen neu hinzu. Noch einmal gab es an vielen Orten Vollversammlungen: Teilweise wurde Unterstützung zugesagt, an anderen Plätzen wählte man die Form des »aktiven Protests«. Einige Hochschulen entschieden sich auch für einen Streik. Die Protestwelle begrenzte sich nun nicht mehr auf einzelne Bundesländer. Mehr als 60000 Menschen setzen am 13.Dezember ein deutliches Zeichen gegen Bildungs- und Sozialabbau. Parallel fanden Demonstrationen in Paris und Wien statt. Bereits am Donnerstag zuvor hatte man in Belgien und Dänemark protestiert.
Kritisiert wird die aktuelle Politik auf Landes- wie auf Bundesebene: Anstatt Bildung als eine die Entwicklung einer Gesellschaft überhaupt erst ermöglichende gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, wird mit dem Sachzwangargument der »leeren Kassen« nicht nur im Bildungs-, sondern auch im Sozialbereich drastisch gekürzt. Dieser Sachzwang wird aber als konstruiert angesehen. Die Mittel sind deshalb knapp, weil die Steuer- und Finanzpolitik gezielt Unternehmen und Besserverdienende begünstigt.
Was fehlt, ist die Verantwortung für eine qualitativ hochwertige, gebührenfreie und emanzipatorische Bildung, die gerade auch für Menschen aus sozial schwachen Familien zugänglich sein muss. Mit der Europäisierung der Hochschulen im sog. Bologna-Prozess wird stattdessen Etikettenschwindel betrieben, eine wirkliche, qualitative Studienreform bleibt aus. Wissenschaftskritisches und gesellschaftskritisches Denken will man sich aber offensichtlich nicht mehr leisten.
Im Aufruf, der auf der Veranstaltung in Jena entstand, werden die gemeinsamen Forderungen klar zum Ausdruck gebracht: »Wir fordern, dass Bildungsfinanzierung von Bund und Ländern gleichermaßen als zentrale Aufgabe gesehen wird und sprechen uns klar gegen Sozialabbau aus. Wir halten sowohl einen Verteilungskampf innerhalb des Bildungsbereiches selbst für falsch und kritisieren außerdem, dass Gruppen, die vom Sozialabbau betroffen sind, nicht nur gegenüber StudentInnen, sondern auch untereinander ausgespielt werden. Auch Studiengebühren lehnen wir nicht nur aus Gründen der Chancengerechtigkeit weiterhin ab. Wir wollen als Studierende nicht in eine Kundenrolle gedrängt werden. Hochschulen sind keine Unternehmen, die Bildung wie eine Dienstleistung verkaufen. Bildung ist ein gesellschaftliches Gut und erfordert deshalb gleichberechtigte Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden. Studiengebühren laufen dieser Auffassung entgegen.«
Mit den Demonstrationen sollen also vor allem die Konsequenzen der verfehlten Finanz- und Bildungspolitik ins Bewusstsein gerufen werden. Die erfolgreichen Großdemonstrationen sollen nicht den Abschluss der Protestbewegung bilden, sondern den Auftakt für eine breit angelegte Debatte über die derzeitige Bildungspolitik in Deutschland. Spätestens im Februar wird der fzs erneut zu einer Großveranstaltung einladen. Hier soll es um eine deutliche und umfassende Kritik des aktuellen Bildungswesens gehen. Gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen Bündnispartnern sollen konkretere Alternativen zur herrschenden Politik gemeinsam erarbeitet und mit einer starken sozialen Bewegung in die Gesellschaft getragen werden.

Nele Hirsch

Nele Hirsch ist aktiv im Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs).



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