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Ende November verteilten Mitglieder der IG Metall bundesweit kleine Schoko-Nikoläuse in den Betrieben mit der
Aufschrift: »Weihnachtsgeld ist kein Geschenk! Erst Tarifverträge machens möglich.« Im Vorfeld des IG-Metall-
Gewerkschaftstags Mitte Oktober war es bei DaimlerChrysler und Porsche zu Protestaktionen gegen die von CDU/CSU und FDP geplanten Gesetzesinitiativen
zur Aushöhlung des Tarifvertragsrechts gekommen. Seither finden solche Aktionen flächendeckend statt.
Allein aus dem Metallbereich haben mittlerweile schätzungsweise über 100000
Beschäftigte die Arbeit deswegen unterbrochen; häufig war dies verbunden mit Protesten gegen betriebliche Entlassungspläne und
Kostensenkungsprogramme. An einigen Orten kam es dabei auch zu gemeinsamen Aktionen mit Studierenden.
Die Pläne der rechten Oppositionsparteien bedeuten die Entmachtung der
Gewerkschaften durch Aushöhlung ihres ureigenen Gestaltungs- und Durchsetzungsterrains, der Tarifverträge. Es ist also nicht verwunderlich, dass
die IG Metall nach einer selbst verordneten Sommerpause auf die Straße geht. Verwunderlicher ist eher, dass die anderen Gewerkschaften ihre Aktionen
eher lau angehen lassen. Bis auf wenige Ausnahmen reserviert verhalten sich die von Ver.di organisierten Bereiche; es kommt dort zwar zu
Unterschriftensammlungen, und das Thema wird auf Betriebsversammlungen behandelt, Mitgliederaktionen werden allerdings kaum organisiert. Die IG BCE
belässt es erwartungsgemäß bei einer gemeinsamen Erklärung mit dem Arbeitgeberverband der chemischen Industrie. Tenor: Wir
brauchen keine gesetzlichen Eingriffe in die Tarifautonomie, wir regeln das selber.
Mitte 2003 legten die Fraktionen von CDU/CSU und FDP Gesetzentwürfe vor, die neben der Rücknahme der Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes (BVG) von 2001 die Einschränkung der Mitbestimmung, die Verschlechterung des Kündigungsschutzes, die
untertarifliche Bezahlung von Arbeitslosen in der Probezeit, die Vorrangstellung von betrieblichen Bündnissen, vor allem aber die Neudefinition des
»Günstigkeitsprinzips« vorsah. Das Günstigkeitsprinzip besagt (§4 Tarifvertragsgesetz): »[Vom Tarifvertrag] abweichende
Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer
enthalten.« 1999 hatte das Bundesarbeitsgericht eindeutig entschieden, dass bei einem Günstigkeitsvergleich nur identische Regelungsinhalte
verglichen werden können: Arbeitszeit mit Arbeitszeit, Entlohnung mit Entlohnung, Arbeitsplätze mit Arbeitsplätzen.
Diese Rechtsvorschrift wollen FDP und CDU/CSU außer Kraft setzen; ebenso den
Tarifvorbehalt von §77 BVG, der regelt, dass es dort keine Betriebsvereinbarungen geben kann, wo die Inhalte tatsächlich oder üblicherweise
in Tarifverträgen abschließend geregelt sind. Eine solche Aushebelung des Vorrangs kollektiver Verträge gegenüber partikularen
Vereinbarungen ist im Kern ein Angriff auf die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit. Die FDP will noch weiter gehen: Jedes Arbeitsplatzangebot
und jede nicht durchgeführte Kündigung soll Grund genug sein, auf dem Weg einer individuellen Vereinbarung, einer kollektiven (mit einer
Mehrheit der betroffenen Beschäftigten gefällten) Vereinbarung oder eines Betriebsratsbeschlusses tarifvertragliche Ansprüche außer
Kraft zu setzen.
Die CDU will ebenfalls die betriebliche Abstimmung durchsetzen, allerdings verbunden mit
einer nachträglichen Informationspflicht an die Tarifvertragsparteien, die einer Betriebsvereinbarung innerhalb von vier Wochen unter Angabe von
Gründen widersprechen können. Beide Parteien wollen Arbeitszeiten sowie Entgelte von übertariflichen oder leitenden Angestellten von
betrieblichen Abstimmungen ausschließen. Es sollen alle Beschäftigten abstimmen, nicht nur Gewerkschaftsmitglieder.
Schröders »Agenda-Rede« vom 14.März hat der Opposition diesen
Vorstoß leicht gemacht. Schließlich hat der Bundeskanzler darin zur Ausdehnung betrieblicher Bündnisse für Arbeit aufgerufen und
den Gewerkschaften gedroht, diese per Gesetz zu befördern, falls weitere Öffnungsklauseln in Tarifverträgen verhindert würden.
Auf den Scheiterhaufen
BDI-Boss Rogowski hat vor der amerikanischen Handelskammer die neoliberale
Scharfmacherprosa von Merz und Westerwelle noch übertroffen. Ende Oktober erklärte er: »Ich wünsche mir manchmal ein
großes Lagerfeuer, um das Betriebsrätegesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen. Dann könnte man wieder von vorne
anfangen.« Unverhohlen droht er mit einer neuen Bücherverbrennung, die 1933 ja Hand in Hand mit der Zerschlagung der Gewerkschaften ging.
BDA-Chef Hundt und sein Pendant aus der Metallindustrie, Kannegiesser, unterlassen solche verbalen Provokationen und setzen lieber auf freiwillige
Abmachungen zwischen ihnen und dem DGB. Damit scheinen sie Erfolg zu haben.
Ein erster Anlauf für geheime Gespräche scheiterte in der ersten Dezemberwoche.
Der DGB-Vorsitzende Sommer hatte seine Zustimmung zu einer gemeinsamen Erklärung verweigert, BDA und DGB seien gemeinsam der
Überzeugung, dass es einer gesetzlichen Öffnungsklausel nicht bedürfe, wenn die Tarifvertragsparteien kurzfristig selbst entsprechende
Öffnungsklauseln tariflich vereinbarten. Diese Verknüpfung sie könnte aus Schröders Redemanuskript zur Agenda 2010
abgeschrieben sein lehnte Sommer ab laut Handelsblatt auf Intervention von Ver.di-Chef Bsirske. Nun hat sich der IGM-Vorsitzende Peters
bereit erklärt, in der jetzt beginnenden Tarifrunde mit Gesamtmetall eine generelle Öffnungsklausel und betriebliche Bündnisse auszuhandeln.
Dem Vernehmen nach wurde dies mit dem DGB, Ver.di und der IG BCE abgestimmt. Bei diesem »freiwilligen Verzicht« scheint es den
Gewerkschaften in erster Linie darum zu gehen, eine gesetzliche Einschränkung der Tarifautonomie in jedem Fall zu vermeiden und zu verhindern, dass
über betriebliche Regelungen die Arbeitszeiten stark erhöht werden.
Für die Unternehmer besteht der Kern der Auseinandersetzung nicht darin, das System
der Flächentarifverträge auszuhebeln. Auch Scharfmachern wie Rogowski ist klar, welch befriedende Wirkung kollektive Tarifverträge
haben. An dieser Funktion wollen sie festhalten. Die Unternehmer wissen auch, welche Möglichkeiten Tarifverträge heute schon bieten, unterlaufen
zu werden, sofern die Vertragsparteien zustimmen und die wirtschaftliche »Notwendigkeit« belegt werden kann.
Mit dem Vorstoß wollen sie erstens erreichen, dass die nach wie vor vorhandene
Bindung zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten gelockert wird. Deshalb soll die bestehende Pflicht, dass die Gewerkschaften vor Abschluss einer
den Tarif unterbietenden Betriebsvereinbarung zustimmt, in ein nur noch schwaches Recht auf Reklamation umgewandelt werden.
Zweitens wollen sie betriebliche Vereinbarungen zur Unterlaufung des Tarifvertrags auch dann
möglich machen, wenn der Betrieb sich nicht in einer Notlage befindet etwa bei der Verlängerung der Arbeitszeiten. Das Unternehmerlager
will die Rosinen aus allen Kuchen: die Kalkulationssicherheit durch Flächentarifverträge und gleichzeitig die jederzeitige Option, auf betrieblicher
Ebene die Tarifverträge zu unterlaufen notfalls durch die Mobilisierung der nicht gewerkschaftlich Organisierten gegen die gewerkschaftlichen
Abschlüsse.
Wenn die Gewerkschaften bei ihrer Strategie bleiben, anstelle der Ausweitung der
betrieblichen Mobilisierungen und ihrer Einordnung in die Proteste gegen Sozialabbau scheibchenweise Verzicht zu üben, werden die Unternehmer ihre
Interessen durchsetzen. Dann braucht man Gewerkschaften nicht mehr zu verbieten; dann haben sie sich überflüssig gemacht.
Udo Bonn/Thies Gleiss
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