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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 16

Fragwürdige Zugeständnisse

USA — Israel — Palästina

Seit dem 11.9.2001 findet eine Israelisierung der US-Politik statt, rhetorisch wie praktisch. Die US-Regierung hat sich der israelischen Sprachregelung angeschlossen und für sich festgestellt, sie befinde sich in einem existenziellen Krieg. Beide Staaten fördern das Image absoluter Verletztheit: Israel durch den Holocaust und die USA durch den 11.September. Rhetorisch haben die USA die klaustrophobe Weltsicht der israelischen Regierung übernommen: es gibt nur noch gut und böse. Beide Völker sehen sich als »von Gott auserwählt« an.

Israelisierung der US-Politik

Alle führenden israelischen Politiker behaupteten nach dem 11.9., dass der Terror, den die Amerikaner erlitten hätten, identisch sei mit dem Terror, den Israel seit seiner Gründung zu erleiden habe; Israels Feinde seien auch Amerikas Feinde. Und die gleiche Sprachregelung wurde von neokonservativer US-Seite benutzt.
In der praktischen Politik übernehmen die USA die Methoden Israels, indem sie das Völkerrecht und die UNO verspotten und im Irak ein ähnlich brutales Besatzungsregime errichten wie Israel in den besetzten Gebieten. Das Völkerrecht, dass die Gleichwertigkeit aller Länder garantiert, wurde seit dem 11.9. weitgehend außer Kraft gesetzt. Der US-Präsident selbst hat die Richtung vorgegeben: »Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen.«
Seit dieser Zeit hat George W. Bush Ariel Sharon freie Hand gegeben, seine eigene Variante des Kampfes gegen den Terror anzuwenden. Yasser Arafat mutierte zu Sharons Bin Laden. Das »palästinensische Terrorproblem« sollte à la Afghanistan gelöst werden.
Der antikoloniale Befreiungskampf der Palästinenser um Selbstbestimmung und Freiheit wurde seither erfolgreich als »Terrorismus« diffamiert. Amerikaner, die nicht für die offizielle US-Politik sind, werden als »Verräter«, »Nicht-Amerikaner« oder »Feinde« bezeichnet. Israelis, die die Sharon-Politik kritisieren, werden als »jüdische Selbsthasser« oder »Antisemiten« diffamiert.
Die amerikanische Besatzungspolitik israelisiert sich zusehends, d.h., die Unterdrückungsmaßnahmen der USA gegenüber den Irakern sind weitgehend identisch mit den israelischen.
In zahlreichen Fällen haben die USA Gebäude zerstört, aus denen heraus sie angegriffen worden sind. Sie haben begonnen, Verwandte von mutmaßlichen Terroristen einzusperren, um die potenziellen Täter zur Aufgabe zu zwingen. Neuerdings werden ausgewählte Städte durch Stacheldrahtverhaue eingeschlossen. Nur die Iraker können die Orte verlassen, die im Besitz einer englischen Magnetkarte sind. Sie müssen sie hintereinander aufstellen und einen Kontrollposten passieren. »Ich kann keinen Unterschied zwischen uns und den Palästinensern sehen. Wir konnten uns so etwas nicht vorstellen, als Saddam gestützt wurde«, zitiert ein Zeitungsbericht einen Iraker.
Die Amerikaner sagen zwar, sie würden die israelische Taktik nicht nachahmen, betonen jedoch, dass sie sie intensiv studiert haben, insbesondere den Guerillakampf in den Städten. Brigadegeneral Michael Vane bestätigte, dass US- Offiziere kürzlich in Israel waren, um sich über die neusten israelischen Erfahrungen bei der Unterdrückung des palästinensischen Aufstands zu unterrichten.
Die Amerikaner setzten auf diese neue Unterdrückungsstrategie. Auch die Bevölkerung müsse spüren, dass sie einen Preis zahlen müsse, wenn sie nicht kooperiert. Die einzige Sprache, die die Araber verstehen, sei die der Gewalt, erklärt Captain Todd Brown. Das Gleiche behaupten die Israelis auch von den Palästinensern. Dies ist der erste Schritt zur Dehumanisierung dieser Menschen. Die harten Gegenmaßnahmen scheinen einen oberflächlichen Erfolg anzuzeigen, wie der Oberkommandiere im Irak, General Sanchez behauptet. Die täglichen Angriffe seien von 40 auf 20 zurückgegangen. Wie es scheint, haben die Amerikaner mit der gleichen brutalen Strategie Erfolg wie Israel. Auch die Israelis behaupten, dass ihre brutale Vorgehensweise erfolgreich sei gegen Selbstmordattentäter. Ob die Verhaftung Saddam Husseins etwas am Widerstand der Iraker ändert wird, bleibt abzuwarten.

Die »Genfer Erklärung«

Seit der Vorstellung des sog. »Genfer Erklärung« durch Yossi Beilin und Yasser Abed Rabbo haben in Israel Friedenspläne Hochkonjunktur. Zahlreiche Politiker wie der stellvertretende Ministerpräsident Ehud Olmert, die Äußerungen der ehemaligen vier Geheimdienstchefs, die Ayalon-Nusseibeh-Stellungnahme und sogar die Siedlerbewegung veröffentlichten ihre Vorstellungen.
In der »Genfer Erklärung« haben erstmalig »Vertreter« beider Seiten in der Tat die weitreichendsten Konzessionen gemacht. Ob sie jemals umgesetzt werden, bleibt allerdings abzuwarten. Die Vorteile der Erklärung liegen sowohl im sachlichen als auch persönlichen Bereich. Der größte Erfolg in den Augen Israels ist, dass das palästinensische Verhandlungsteam eine »Lösung« des Flüchtlingsproblems akzeptiert hat, in der vom Rückkehrrecht keine Rede mehr ist. Israel kann eigenmächtig entscheiden, wieviel Flüchtlinge es akzeptieren will. Darin kommt Israels Ablehnung zum Ausdruck, an dem Flüchtlingsproblem beteiligt gewesen zu sein. Auch die finanzielle Kompensation wird fast ganz auf die internationale Staatengemeinschaft abgewälzt.
Neben dem Verzicht auf das Rückkehrrecht dürfte v.a. Beilin den größten Nutzen haben. Er wird dieses »Abkommen« als Wahlkampfplattform für seine neugegründete »linke« Arbeitspartei instrumentalisieren. Die Initiatoren wollten den Fehler von Oslo nicht wiederholen, in dem sie die schwierigen Fragen wie Siedlungen, Jerusalem, Grenzen und Rückkehrrecht der Flüchtlinge ausklammern. Die Vereinbarung widerlegt dabei diejenigen innerhalb der politischen Klasse Israels, die behaupten, dass es auf palästinensischer Seite keinen Partner gebe, wie von Barak und Sharon immer wieder behauptet worden ist. Erstmalig wurde das Recht des jüdischen Volkes auf Staatlichkeit mittels jüdischer Mehrheit und der Kontrolle über das Land endgültig anerkannt. Dies bedeutet, dass Israel für immer das historische Palästina für alle Juden auf der Welt offen halten kann, wohingegen den palästinensischen Flüchtlingen ihr Rückkehrrecht in ihre angestammte Heimat verweigert würde.
Die »Genfer Initiative« sieht mit Einschränkungen die Schaffung eines souveränen Staates Palästina vor. Alle israelischen Siedler, die nach der Grenzanpassung sich im palästinensischen Staat befinden, sollen nach Israel umgesiedelt werden. Alle Siedlungen in Gaza sollen verschwinden, aber auch große Siedlungen wie Ariel, Har Homa und Efrat in der Westbank. Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten. Israel behält die Souveränität in den Stadtvierteln, in denen überwiegend Juden wohnen, die Palästinenser in den arabischen Stadtvierteln. Der Haram al Sharif (Tempelberg) bleibt unter palästinensischer Souveränität. Auch bleiben die jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem und der Siedlerring um die Stadt als Teil des israelischen Jerusalem und unter israelischer Oberhoheit. Auf dem Tempelberg soll es eine multinationale Präsenz geben, während das Plateau unter palästinensischer Souveränität stehen soll. Die Klagemauer, das jüdische Viertel, die Zitadelle, der jüdische Friedhof auf dem Ölberg und der Tunnel unter der Westmauer bleiben israelisch. Das christliche, muslimische und armenische Viertel kommen unter palästinensische Aufsicht. Die Westbank und der Gazastreifen werden durch einen Korridor verbunden. Israel behält über diesen die Souveränität, die Palästinenser dürfen ihn verwalten und die Polizeikontrolle ausüben.
Das größte Handikap dieser Vereinbarung dürfte sein, dass im Haupttext 52 mal auf einen »Anhang X« verwiesen wird. Alle wichtigen Ausführungsbestimmungen zu den wohlfeil klingenden Artikeln befinden sich in diesem noch nicht bekannten Anhang, wie z.B. das Recht Israels zur Benutzung der Umgehungsstraßen, die nur für Juden bestimmt sind. Wie schon beim »Interimsabkommen« vom 28.9.1995, in dem in den zahlreichen Anhängen alle die Konzessionen, die im Vertragstext gemacht worden sind, relativiert oder zurückgenommen worden sind, muss auch hier die Skepsis überwiegen. So wurde ausführlich über die Vergabe von Taxilizenzen geschrieben, wohingegen im Artikel zu Wasser lapidar festgestellt wird: »noch zu vervollständigen«. Wären die Unterhändler wirklich an einem »gerechten Frieden« interessiert gewesen, hätte man zur Wasserverteilung schreiben können: »Der Zugang zu den Wasserressourcen von Israel und Palästina wird entsprechend der Bevölkerungsanzahl verteilt.« Dies wäre der einzig gerechte Weg gewesen.
Zu Euphorie, wie sie in Europa von Kommentatoren und Experten geäußert worden sind, besteht also kein Anlass. Die Unterzeichner der »Genfer Erklärung« behaupten, dass dies die einzige Alternative zum brutalen Weg Sharons sei und geben vor, dass das palästinensische Volk diesem Weg zugestimmt hätte. Wenn jedoch einmal ein solches Abkommen unterzeichnet ist, das auf das Rückkehrrecht verzichtet und die Siedlungen akzeptiert, wird es für jede palästinensische Verhandlungsdelegation sehr schwer, hinter diese Position zurückzufallen. Israel kann jederzeit ein neues Minimum festsetzen. Dramatisiert wird die Sache noch dadurch, dass die palästinensische Führung dieses Abkommen insgeheim gebilligt, wohingegen die israelische Regierung es verworfen hat.
Die Lösung des Konflikts verlangt keine Wiederaufbereitung fehlgeschlagener Abkommen wie Oslo, Camp David oder Taba. Die UNO-Resolutionen und das Völkerrecht reichen dazu aus. Sie sind das Rezept für einen gerechten Ausgleich, Sicherheit, territoriale Integrität und Achtung der Menschenrechte. Jene Israelis, die sich nach Frieden sehnen, müssen verstehen, dass Frieden und Versöhnung nicht realisiert werden können, solange die Israelis nicht mit ihrer nationalen Verantwortung für die palästinensische Tragödie ins Reine kommen.

Ludwig Watzal

Der Autor ist Journalist und Verfasser mehrerer Bücher zum Nahostkonflikt. In SoZ 6/03 führten wir mit ihm ein Gespräch über die sog. »Road- Map«.


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