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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 18

Wohnungspolitik

Stoppt die feindliche Übernahme von Wohnraum

Für eine nachhaltige Wohnraumpolitik sind breite Bündnisse zwischen Gewerkschaften und Mieterorganisationen unverzichtbar, um die Kräfte zu bündeln. Die Tagung »Stadtumbau und Wohnungsklau« wurde gemeinsam vom Mieterforum Ruhr und Ver.di Bochum organisiert. Die einleitenden Referate machten deutlich, dass in der Wohnpolitik ein anderer Wind weht, die Wohnungsunternehmen mit neuen Zielen auf dem Wohnungsmarkt agieren und die Betroffenen mit dem Rücken an der Wand um bezahlbaren Wohnraum kämpfen.

Die Arbeitsmarktkrise, zunehmende Verschuldung öffentlicher Haushalte, breit angelegter Sozialabbau und Bevölkerungsrückgang in den Städten führen einerseits zu Konkurrenz um begehrte Wohnstandorte und andererseits zu sozialer Segregation in weniger attraktiven Wohngebieten. Die neoliberalen Antworten, mit denen der Krise auf dem Wohnungsmarkt begegnet werden soll, heißen Deregulierung und Privatisierung, Förderung von Privateigentum bei gleichzeitiger Verabschiedung aus der aktiven, sozial gestalteten Wohnungsbaupolitik.
Auch öffentliche Wohnungsgesellschaften beteiligen sich am Handel mit der Ware »Wohnung«, auch sie wollen »Gewinne« machen, seitdem Gemeinnützigkeit als Rahmen des sozialen Wohnraumsektors abgeschafft wurde. Oft genug werden sie aber auch verkauft, um kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen. Für die Beschäftigten in diesem Bereich verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen und für die Mieter und Mieterinnen beginnt eine unsichere Zeit. Ein globaler Konzern wie E.on/Viterra handelt mit Wohnraum und kalkuliert mit Gewinnmargen von 7—8%. Das führt dazu, dass sie sich aus Problemzonen zurückziehen, indem sie bspw. 165000 Wohneinheiten im Ruhrgebiet abstoßen, um sich an attraktiveren Standorten wie das Rhein-Main-Gebiet wieder einzukaufen.
Aber auch diese Unternehmen sind vor Übernahmen nicht sicher. Der Handel mit Wohnraum hat fatale Folgen für die Mieterinnen und Mieter, die nicht wissen, ob sie ihre Wohnung morgen noch bezahlen können oder sie ganz verlieren.
In der anschließenden Diskussion wurde von Bewohnern einer Bergarbeitersiedlung beklagt, dass sich die IG Bergbau nicht in den Kampf um die Wohnrechte einschaltet. Sie forderten eine aktive Beteiligung der Gewerkschaften, denn schließlich sind die meisten Mitglieder in den Gewerkschaften Mieter.
350000 Menschen sind in Mieterbewegungen organisiert, da drängen sich Bündnisse mit den Gewerkschaften doch geradezu auf, um den Kampf um eine sozial gestaltete Wohnungspolitik in Angriff zu nehmen, Bürgerbegehren sind nur eine Möglichkeit. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt von Wohnraum, sondern auch um gewachsene Strukturen und soziale Nachbarschaften, um den Erhalt von Grünflächen und den einheitlichen Charakter der Siedlungen.
Bei Mieterversammlungen zeigt sich, dass die »eigenen vier Wände« für die Mehrheit ein Wunschtraum bleiben. So konnten z.B. in einer Bergarbeitersiedlung nur 5% der Mieter mit Hilfe der Banken ihre Wohnung kaufen. In der Realität herrscht Existenzangst vor, die meisten fühlen sich im Stich gelassen und sind mit Recht der Meinung, dass sie in den 30 Jahren mit der Miete ihre Wohnung längst bezahlt haben.
Wenn Wohnungsunternehmen in alten Beständen keine hohen Renditen mehr erzielen können, stoßen sie diese ab. Das gilt besonders für Häuser, wo ein Reparaturstau entstanden ist. In jedem Fall ziehen die Mieter den Kürzeren, denn beim Kauf der Wohnung haben sie weder Wahl noch Vergleichsmöglichkeiten bezüglich Lage und Zustand der Wohnung, sie verhandeln unter Zeitdruck mit den entsprechenden Nachteilen, wenn z.B. der Bausparvertrag noch nicht reif ist und teure Zwischenfinanzierungen fällig werden. Die Finanzierungsangebote der Banken täuschen oft, die Folgen der Verträge werden falsch eingeschätzt und wenn sich ihre soziale Lage verändert, kommt es zu Zwangsversteigerungen. Kann ein Mieter seine Wohnung nicht kaufen, muss er damit rechnen, eines Tages seine privatisierte Wohnung zu verlieren und damit auch das Geld, das er in die Wohnung investiert hat. Die zurzeit geltenden zehn Jahre Kündigungssperrfristen laufen im Sommer 2004 aus und fallen dann zum Nachteil der Mieter erheblich kürzer aus.
Im Beispiel Essen ging es um 18500 Wohnungen eines kommunalen Wohnungsunternehmens. Die SPD wollte es verkaufen, für die Mieter sollte sich nichts ändern. Mit Hilfe des Verkaufserlöses sollte der Stadthaushalt saniert werden. Nachdem die Verkaufsabsichten bekannt wurden, organisierten sich die Mieter. Sie beriefen Protestversammlungen ein, sammelten Unterschriften, verteilten Flugschriften, hielten Versammlungen auf Märkten ab, informierten mit Infoständen. Von den Gewerkschaften kam wenig Unterstützung und der Wohnungsbauminister Vesper konnte »die Probleme nicht nachvollziehen«.
Mit der eingeleiteten Unterschriftenaktion für ein Bürgerbegehren kamen 54000 Unterschriften zusammen (nötig waren 47000). Obwohl die Unterschriftenliste bereinigt wurde, fehlten schließlich 39 Unterschriften und die Wohnungen wurden verkauft. Besitzer ist jetzt eine Tochtergesellschaft der Stadt, der Verkaufserlös betrug 618 Millionen. Die Dividenden wurden erhöht, aber die Mieten auch. Letztere stiegen von 1998 bis 2003 um etwa 30%, 2004 sollen sie nochmals um 7% steigen. Trotz der gestiegenen Mieten verschlechterte sich die Bestandspflege und die seinerseits versprochenen Mieterbeiräte wurden nicht gebildet. Die SPD-Ratsfraktion wurde bei der nächsten Kommunalwahl abgewählt. Die Sanierung des städtischen Haushalts wurde nicht erreicht, mittlerweile explodiert das Defizit.
Obwohl in den nächsten Jahren viele Sozialbindungen bei den Wohnungen wegfallen, wehrt sich die CDU gegen Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Trotz der Niederlage haben die Betroffenen einen Mieterverein gegründet und wollen weiter kämpfen.
Ein weiterer Bericht aus Frankfurt machte deutlich, dass dort die Mieter vor den gleichen Problemen stehen. Dort ging es um intakten, preiswerten Wohnraum, der auf hochwertigen Grundstücken stand. Ein Teil der Bewohner zog mehr oder weniger freiwillig aus, der Rest wurde rausgeekelt. Unter ihnen waren viele Migranten, ältere Bewohnerinnen und Mütter mit Kindern, die sich diesen Wohnraum gerade noch leisten konnten. Eine Sanierung wäre billiger gewesen als der komplette Abriss. Das aber passte nicht in das Konzept der profitorientierten Politik dieser Wohnungsgesellschaft.
Grundsätzlich müssen alle Versuche verhindert werden, kommunale Wohnungsunternehmen am Markt zu veräußern. Gewerkschaften, Mieterorganisationen und lokale Initiativen sind natürliche Bündnispartner, die verhindern können, dass in vielen Jahrzehnten geschaffenes Sozialkapital verloren geht.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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