SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 20

Die Kommune lebt!

Bonner NN-TV präsentierte Peter Watkins‘ La Commune — Paris 1871

»Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld als ihre ›Gutmütigkeit‹«, schrieb Marx am 17.April 1871 an Kugelmann, als die kurzlebige Pariser Kommune den ersten von gut zwei Monaten hinter sich hatte. Weniger gutmütig als vielmehr kämpferisch präsentieren sich die Kommunarden in einem jüngeren französischen Film, der kürzlich im Bonner Kult 41 gezeigt wurde.
Die Umsetzung des immer noch zu unbekannten Films gelingt dem Regisseur Peter Watkins durch einen kleinen regietechnischen Geniestreich: Das Medium Fernsehen macht einfach eine Zeitreise in das Jahr 1871, was zugleich eine scharfe Kritik am herrschenden Mediendiskurs aufmacht. So werden bürgerliche Nachrichtensendungen als Medium der herrschenden Klasse entlarvt und zugleich die Notwendigkeit der Kommune aufgezeigt, über einen eigenen Sender zu verfügen. Dieser ist immer nah an den Aufständischen dran, gibt Aktionen und Diskussionen wieder und führt noch auf den Barrikaden Interviews. Selbstkritisch wird dabei auch reflektiert, inwieweit die »Nachrichten von unten« unverfälscht sind und wieviel Heterogenität der Bewegung nach außen dringen sollte.
Die (Laien-)Schauspieler hatten sich vorab intensiv mit der Historie auseinandergesetzt. Dabei konnten sie ihre jeweiligen Charaktere selber mit entwickeln sowie ihre eigenen Überzeugungen einfließen lassen. Dieses Konzept ging brillant auf, da der Film immer wieder die Aktualität der Kommune auf die Tagesordnung setzt.
Phasenweise reflektieren die Darsteller in gemeinsamer Diskussion ihre Rollen und die damaligen politischen Debatten, so auch die Frage nach der Rolle des Staates. »Revolution heißt zerstören und aufbauen«, schlussfolgert eine Darstellerin. Eine andere versichert, dass sie im Laufe der Dreharbeiten das Lenin‘sche Resümee aus der Kommune besser verstehen lernte, nach der zur Verteidigung der Revolution vorübergehende diktatorische Gewalt gerechtfertigt sei. Das kann von einem anderen Schauspieler mit dem Verweis auf Kronstadt nicht unwidersprochen bleiben.
Wenn es um Fragen wie Mietsenkung, unentgeltliche Schulbildung, Religionskritik, Probleme der Selbstverwaltung, der Disziplin in der Bewegung bzw. der Volksarmee oder um Formen des Widerstands geht, gleitet die Diskussion mitunter fast unmerklich zu heutigen Fragestellungen über.
So betont eine Akteurin, dass sie sich lieber bei den Sans-Papiers engagiere als auf Repräsentationsformen der bürgerlichen Demokratie zu vertrauen. Oder es wird kontrovers diskutiert, ob so manche Selbsthilfegruppe den Kapitalismus nicht lediglich abfedert. Auch Anspielungen auf die Antiglobalisierungsbewegung dürfen nicht fehlen.
Bei allen unterschiedlichen Ansichten sind sich die Akteure jedenfalls einig darin, dass es zum Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse keine Alternative gibt, gleich ob 1871 oder im 21.Jahrhundert.
Auch die nachgestellten Diskussionen mit den Bürgerlichen sind interessant. Die reichen von wüsten Beschimpfungen bis hin zur Debatte mit einer Dame, die es offenbar gut mit den Kommunarden meint: »Wenn du nur gnädig hilfst statt mit uns zu kämpfen, bleibst du eine Bourgeoise«, wird ihr jedoch resolut klar gemacht. Überhaupt ist der Ton sehr kämpferisch, insbesondere auch von Seiten der Frauen, deren herausragende Rolle im Kampf anschaulich verdeutlicht wird.
Ein anderes größeres Thema ist der Umgang mit Denunzianten, Spitzeln und Verrätern. Dabei werden etwa die Verselbstständigung bürokratischer Überwachungsformen kritisiert oder Hinrichtungen von nur vermeintlichen Spionen problematisiert. Es bleibt aber der Tenor, dass gerade in Kriegssituationen Fehler kaum ausbleiben können.
Daneben ist die internationale Zusammensetzung der Kommune ebenso Thema wie die unbekanntere Tatsache, dass die französische Armee im Anschluss an die Niederschlagung der Revolution auch über 100000 Soldaten nach Algerien schickte, um mit einem dortigen Aufstand kurzen Prozess zu machen.
Am Ende steht das Massaker an rund 30000 Kommunarden. Wenn der Vorhang fällt, bleibt aber mehr noch die Einsicht, dass die Kämpfe der Kommune auch über 130 Jahre später nichts an ihrer Aktualität eingebüßt haben. So erinnert der Film letztlich eindrucksvoll daran, dass greifbare Veränderungen stets das Produkt gemeinsamen Handelns sind, was heute bei aller gut gemeinten Ideologiekritik vielfach übersehen wird.
Geschlagene sechs Stunden (!) dauert der Film. Wenn ihn eine Gruppe wie das nichtkommerzielle NN-TV an einem grauen Novembersonntag zeigt, dann geht man hin, um »mal reinzugucken«. Dass jedoch kaum jemand frühzeitig aufstand, lag daran, dass dieser Film jede Minute wert ist.
Mario Tal

Der Film La Commune — Paris 1871 von Peter Watkins ist ein französischer Film, produziert von 13Production, La Sept-Arte und dem Musée d‘Orsay, 1999, Dauer: 5 Stunden und 45 Minuten. Er kann bestellt werden.
Weitere Infos.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang