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Am 6. und 7.Dezember traf sich auf Einladung des AG Friedensforschung an der Universität Kassel und des
Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel zum zehnten Mal der »Friedenspolitische Ratschlag«. Das jährliche große Treffen von
Friedenswissenschaftlern, Friedensbewegung und Politik stand diesmal im Zeichen der bedrohlichen weltpolitischen Entwicklung, die der angloamerikanische
Krieg gegen den Irak heraufbeschworen hat. Das Motto des Kongresses lautete: »Perspektiven einer friedlichen Welt«.
Rund 350 Menschen aus der ganzen BRD und aus dem benachbarten Ausland diskutierten an
den beiden Tagen in der Kasseler Universität über die Folgen des Irakkriegs. Der Kampf gegen den Terrorismus habe in den vergangenen zwei
Jahren nach Meinung der Veranstalter eine fatale Richtung eingeschlagen, sagte Peter Strutynski in seinem Eröffnungsreferat. Anstatt mit rechtsstaatlichen
Mitteln und im Rahmen des Völkerrechts Terroristen zu verfolgen und zu bestrafen, sind die USA und andere Staaten der Versuchung erlegen, die
Probleme mit militärischer Gewalt »lösen« zu wollen.
Der Sozialwissenschaftler Arno Klönne sprach über die weltpolitischen
Konkurrenzbeziehungen zwischen USA und Europa. Klönne stellte heraus, dass es sich hierbei um eine neue Form innerimperialistischer
Widersprüche handelt. Europa dürfe sich nicht auf einen militärischen Wettlauf mit den USA einlassen und auch nicht das von Amerika
gepflegte »neoliberale Modell des Kapitalismus« übernehmen. Das Solana-Papier vom Juni 2003, eine Art Entwurf zu einer
europäischen »Sicherheitsdoktrin«, ist in der strategischen Stoßrichtung und bis in die Diktion hinein in Anlehnung an die Nationale
Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten vom September 2002 formuliert worden.
Eine andere Politik forderte auch der Vorsitzende der linken Fraktion GUE/NGL im
Europaparlament, Francis Wurtz. Der französische KP-Abgeordnete lehnt die Militarisierung der EU ab und verlangte, dass der Verfassung eine
allgemeine Erklärung vorangestellt werde, wonach die EU Krieg als Mittel der Politik ausschließt und sich zur friedlichen Konfliktbeilegung
verpflichtet.
Eva-Maria Stange, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,
erklärte ihre Bereitschaft, für einen konstruktiven Dialog zwischen Friedens- und Gewerkschaftsbewegung zu werben. Eine solche Zusammenarbeit
sei angesichts fortschreitender Sozialabbaumaßnahmen dringend erforderlich. Der Schlüssel zur Verminderung terroristischer Aktivitäten und
von inner- und zwischenstaatlichen Gewaltkonflikten liege in einer Zivilisierung und Verrechtlichung der Weltpolitik und in der Entwicklung einer langfristigen
Strategie gegen Hunger, Armut und Unterentwicklung.
Sabine Leidig, Bundesgeschäftsführerin von Attac, berichtete über die
Ergebnisse des Europäischen Sozialforums, das im November in Paris stattgefunden hatte.
Heinz Loquai, ehemaliger OSZE-Beobachter für den Kosovo und prominenter Gegner
des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien, zeigte an drei Beispielen, dem ersten Irakkrieg 1991, dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 und dem zweiten
Irakkrieg 2003 auf, wie sich viele Printmedien, teilweise aber auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten an der Konstruktion von Feindbildern und
dem Transport fingierter Gräuelmärchen über angebliche Massaker und Untaten des Feindes an der psychologischen Kriegsvorbereitung
beteiligten.
Conrad Schuhler berichtete über die (militär-)politische Bedeutung der in
München alljährlich stattfindenden NATO-«Sicherheitskonferenz«. Im Mittelpunkt der Konferenz 2004 werde die Frage stehen, wie
die zukünftige Aufgabenverteilung zwischen den Europäern und den USA aussehen soll. In dem Zusammenhang warnte Schuhler vor Illusionen,
eine militärische Stärkung Europas würde zur Absicherung des »solidaristischen« Ethos des alten Europa beitragen. Die
europäischen Regierungen setzten derzeit im Gegenteil mit Brachialgewalt das von den USA kultivierte neoliberale Politikmodell durch.
Die vielen Themen, die sonst noch auf dem Kongress behandelt wurde, können hier selbstverständlich nicht dargestellt werden. Neben den
Plenarveranstaltungen gab es noch 18 Foren, Arbeitsgruppen und Workshops. Alle Referate sollen in der Publikationsreihe »Kasseler Schriften zur
Friedenspolitik« veröffentlicht werden.
Der Kongress hat eine Erklärung abgestimmt, in der fünf vordringliche Aufgaben
der Friedensbewegung formuliert werden:
1. Der Irakkrieg soll in Form dezentraler Hearings und anderer Veranstaltungen mit Experten, Wissenschaftlern und
Augenzeugen aufgearbeitet werden. Diese Aufklärungs- und Ermittlungsaktivitäten sollen in ein Internationales Kriegstribunal münden.
2. Die Friedensbewegung soll sich noch stärker als in der Vergangenheit mit dem israelisch-palästinensischen
Konflikt beschäftigen. Mit der am 1.Dezember veröffentlichten »Genfer Initiative« liegt eine neue interessante Anregung von
Nichtregierungsseite vor, die dem Friedensprozess neue Impulse verleihen und der Gewaltspirale ein Ende bereiten könnte.
3. Der Entwicklung der Europäischen Union von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Militärbündnis
muss Einhalt geboten werden. Dies impliziert die Ablehnung der EU-Verfassung in der vorliegenden Form. Die Friedensbewegung wird sich am 9.Mai 2004 an
den europaweiten Protesten anlässlich des EU-Gipfels in Rom beteiligen. Die EU-Kritik schließt den Widerstand gegen die weitere Umwandlung
der Bundeswehr in eine Interventionsarmee ein.
4. Mit dem Beschluss des US-Kongresses, der Regierung Geld zur Verfügung zu stellen, um die Entwicklung sog.
»Mini-Nukes« voranzutreiben, droht ein atomarer Rüstungswettlauf. Die Friedensbewegung wird bestehende internationale Kampagnen, z.B.
die des weltweiten Hiroshima-Bündnisses von Bürgermeistern unterstützen, die Welt ganz von Atomwaffen zu befreien.
5. Die Friedensbewegung wird sich noch stärker in die Bewegungen gegen Sozialabbau und neoliberale Globalisierung
einbringen. Partner auf Seiten der Gewerkschaften und anderer sozialer Bewegungen (z.B. Attac) sind zahlreich vorhanden. Die Unterschriftenkampagne
»Abrüstung statt Sozialabbau« wird weitergeführt zunächst bis zum 20.März 2004.
Ich kann mich an keinen »Ratschlag« erinnern, der auch am zweiten Tag so
komplett besetzt war. Sicherlich auch dies Ausdruck der in den Jahren gewachsenen Verbundenheit vieler Friedensaktivistinnen und -aktivisten von
überallher mit dem »Kasseler Prozess«. Die Teilnehmenden kamen zum Teil von sehr weit her: Aus Österreich (Linz, Graz, Salzburg
und Wien) ein Dutzend Friedensaktivisten, eine Frau aus Basel und aus Athen Iraklis Tsadaridis, der die deutschen Teilnehmer zur Olympiade des Friedens im
nächsten Frühjahr/Sommer nach Griechenland einlud. Die gute Mischung aus seminaristischer Arbeit mit exzellenten Friedenswissenschaftlern und
praxisorientierten Diskussionen um friedenspolitische Strategien und Schwerpunkte soll auch künftig das Markenzeichen der Kasseler Ratschläge
sein.
Peter Strutynski, Kassel
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