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Du hast am letzten Treffen des Geraer Dialogs Mitte Januar nicht mehr teilgenommen. Welchen Stellenwert hat die Arbeit in der PDS noch für
dich?
Die Gründe für die Nichtteilnahme lagen woanders: Die Produktion der neuen der 16. Ausgabe der Zeitung gegen den
Krieg hatte sich u.a. durch die erzwungene Suche nach einer neuen Druckerei verzögert und wir mussten dann an dem Wochenende des 10. und
11. Januar die Zeitung produzieren. Abgesehen davon hat für mich eine Arbeit in der PDS keinen Stellenwert mehr.
Macht es noch einen Sinn, in der PDS eine linke Strömung aufbauen zu wollen?
Das machte für mich bis Ende 2003 Sinn. Seither nicht mehr. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Zeitpunkt, der eher ein
individuell gewählter ist, und dem Vorhaben »linke Strömung in der PDS«, das eine strategische Orientierung darstellt. Zum ersteren:
Wir die Linke in der PDS, der ich persönlich und politisch verbunden bin haben nach der verlorenen Bundestagswahl vom September
2002 gesagt, dass diese Wahlniederlage selbstverschuldet, ein Ergebnis der Anpassung der PDS an den politischen Mainstream war. Deutlichster Ausdruck
dieser Anpassung waren damals bereits die antisoziale PDS-Politik im Rahmen der SPD-PDS-Landesregierung in Berlin, aber auch der Beschluss desselben
SPD-PDS-Senats vom Mai 2002, wonach kein SPD- und PDS-Senatsmitglied an der Demonstration gegen den US-Präsidenten am 21.Mai 2002
teilnehmen dürfe. Die Entschuldigung meines damaligen Fraktionsvorsitzenden bei George W. Bush wegen unserer Protestaktion im Bundestag am
23.Mai 2002 lag voll auf dieser allgemeinen Linie.
Nach dieser PDS-Wahlniederlage kam es mit dem Geraer Parteitag im Oktober 2002 in der
PDS zu einer auch für uns überraschenden Öffnung für linke Politik. Wir haben damals im Dezember 2002 zur
Gründung des Zusammenschlusses »Geraer Dialog« aufgerufen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Kampf der gesamten PDS-Linken um den
sozialistischen Charakter der PDS zu führen. Kurz darauf, bereits im April 2003, kam es zu dem innerparteilichen Putsch, mit dem die sog. Reformer die
Kontrolle der PDS wieder übernahmen. Der Berliner Sonderparteitag im Juli 2003 sanktionierte diese Machtverschiebung nach rechts. Das war wohl der
eigentliche Einschnitt, mit dem sich der Charakter der PDS definitiv veränderte.
Wie hast du diesen Charakter definiert vor und nach diesem Einschnitt?
Die PDS als eine sozialistische Partei im klassischen Sinn zu bezeichnen, war wohl immer problematisch, auch aufgrund ihrer Geschichte als
organisatorische Fortsetzung der ehemaligen Staatspartei SED, die mit ihrer Führung bis 1989 die Herrschaftsinteressen der DDR-Nomenklatur vertrat.
Dieser Ausgangspunkt spielte immer eine Rolle, zumal die Führungsgruppe der PDS immer in erheblichem Umfang Ausdruck der personellen
Kontinuität in dieser Tradition war. Dennoch war die PDS ab Anfang der 90er Jahre nicht mehr mit der SED gleichzusetzen. Bis Mitte 2003 bezeichnete
ich die PDS als eine Partei, die eine Politik an der Seite von allen im Kapitalismus Unterdrückten, Ausgebeuteten und Benachteiligten verfolgt, die auf
Reformen in diesem Sinne setzt, die den außerparlamentarischen Kampf als entscheidend ansieht und in der die Position von Menschen, die auf eine
sozialistische Umwälzung der Gesellschaft orientieren, ihren legitimen Platz hat.
Ein mir immer besonders wichtiges Spezifikum dieser Partei war ihr konsequenter Kurs gegen
Kriege und zur unfassenden Abrüstung der Bundeswehr bzw. zur Auflösung der NATO und gegen jede EU-Militarisierung. All diese linken
Specifika wurden spätestens mit dem Chemnitzer Parteitag im Oktober 2003 und dem dort beschlossenen neuen PDS-Programm weitgehend aufgegeben.
Dies wird abgeschlossen mit der neuen Orientierung auf die Europäische Union und der Zustimmung der PDS zur europäischen Verfassung mit der
Verpflichtung zur EU-Aufrüstung.
Diese Veränderungen des Grundcharakters der PDS bildete Mitte 2003 für mich
den Hintergrund für den gesetzten Zeitpunkt Ende 2003, bis zu dem ein Engagement für eine linke Strömung Sinn machen würde. Dass
in Chemnitz das neue Programm beschlossen werden würde, war uns klar. Wir setzten jedoch auf die kleine Hoffnung, bis Ende 2003 und erkennbar auf
dem Chemnitzer Parteitag eine strukturierte linke Strömung aufbauen zu können, die eigenständig und mit klarer sozialistischer Position
agieren und sich vom Mehrheitskurs der PDS in Organisationsform und Auftreten nach außen erkennbar profilieren würde.
Ich möchte nicht bestreiten, dass wir in Chemnitz mit vielen Beiträgen in diesem
Sinn eine gewisse Sichtwirkung hatten. Doch es gelang nicht, die Minimalziele organisatorischer Art zu erreichen, die wir uns intern selbst gesetzt hatten.
Insbesondere gab es keine Einheit der linken Strömungen in der PDS das Marxistische Forum verhielt sich hinsichtlich einer gemeinsamen
Organisierung zurückhaltend und passiv; die Kommunistische Plattform betrieb in dieser Hinsicht Obstruktion; Sahra Wagenknecht als ihre bekannteste
Sprecherin enthielt sich sogar bei der Endabstimmung über das Chemnitzer Programm der Stimme. Von daher war für mich entschieden, dass ein
weiteres Engagement in diesem Sinn keine Perspektive hat.
Die heutige PDS ist eine vage linke Partei mit besonderer Verankerung in den neuen
Bundesländern, in denen sie teilweise eine ähnliche Funktion wie die SPD im Westen einnimmt, eine Partei mit offenen Anleihen an SED-
Traditionen hinsichtlich ihrer Verachtung für Demokratie, und in ihrer politischen Praxis mit neoliberalen Ansätzen teilweise sogar mit
neoliberalen Vorreiterpositionen. Letzteres, die neoliberalen Positionen, ergeben sich übrigens strukturell aus ihrer Vergangenheit als Staatspartei
(»Wir müssen den Mangel verwalten, alles ist objektiv bedingt« das war vor 1989 die Devise; das wird heute so formuliert; im
Grunde ist es die TINA-Position: »There is no alternative!«) Es resultiert auch aus der soziologischen Zusammensetzung der PDS mit ihrem
überproportionalen Anteil von Kleinexistenzen unter den Funktionären und Mandatsträgern.
Du sprachst von einer strategischen Orientierung auf eine linke Strömung?
Eine längerfristige Orientierung hätte es geben können, wenn es bis Ende 2003 gelungen wäre, die minimalen
organisatorischen Voraussetzungen für eine solche Kraft zu schaffen. Das wäre aber eine Kraft gewesen, die eindeutig innerhalb und
außerhalb der PDS hätte arbeiten müssen. Die PDS-Führung hätte dies als offene Herausforderung verstanden und versucht, sich
dieser Strömung zu entledigen. Einen solchen offenen Machtkampf hätte man einkalkulieren und gegebenenfalls einen Rauswurf mit
Zwischenstadien im Sinne des »letzten gallischen Dorfes« in einzelnen Landesverbänden in Rechnung stellen müssen.
Das wäre etwas anderes als das, was der Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog auf seiner
Mitgliederversammlung im Januar 2004 in der neuen Satzung beschlossen hat. Dort heißt es: »Der Geraer Dialog ist ein … solidarischer und
basisdemokratischer Zusammenschluss von Mitgliedern und Sympathisanten der PDS.« Faktisch ist und bleibt der Sozialistische Dialog/Geraer Dialog in
der gegebenen Situation auf die PDS beschränkt, da er im genannten Zeitraum nicht das spezifische Eigengewicht erlangte, um nach außen attraktiv
zu werden. Damit erledigt sich ein solches Projekt, da die PDS weiter nach rechts rutscht und gleichzeitig jeden Monat Dutzende gute, linke PDS-Leute der PDS
den Rücken kehren.
Du hast die PDS immer als Kristallisationspunkt einer sozialistischen Linken in Deutschland gesehen und dich deshalb u.a. in den 90er Jahren von
der VSP abgewandt, weil sie eine so eindeutige taktische Orientierung nicht mittragen wollte. Muss man nicht sagen, dass im Nachhinein gesehen deine
Einschätzung falsch war?
Als Gegenfrage könnte ich formulieren: Wir haben 1985/86 die VSP als Ausgangspunkt für eine vereinigte sozialistische Linke gesehen
und ihr daher diesen Namen gegeben. Offensichtlich kam es zum Gegenteil die VSP blieb für sich, ihre Mitgliederzahl schmolz derart, dass auch
die Übersetzung der Buchstaben VSP geändert werden musste. War also diese taktische Orientierung falsch? In beiden Fällen VSP
1986 und PDS in den 90er Jahren würde ich mit nein antworten. Lass uns mal absehen von der zutreffenden Volksweisheit, wonach mensch
hinterher immer klüger ist. Die PDS bot im genannten Zeitraum 19902002 eine erhebliche Chance für sozialistische Politik. Sie war auch als
Antikriegspartei für das politische Klima im Land wichtig.
Nach der Bundestagswahl 2002, als alle mit viel Berechtigung die PDS als
linke Partei abgeschrieben hatten, gab es aufgrund einer sehr spezifischen internen Gemengelange und einer Spaltung des inneren Kerns der Reformer mit dem
Geraer Parteitag und mit der Wahl von Uwe Hiksch zum PDS-Bundesgeschäftsführer nochmals eine Öffnung für genuine, sozialistische
Politik. Das hatte niemand vorhergesehen. Dass wir und andere diese Chance vergeigt haben, war nicht objektiv bedingt. Verantwortlich dafür war in
erster Linie das subjektive Versagen der PDS-Linken insbesondere auch die fehlende Einheit der Linken in der PDS. Linke außerhalb der PDS
möchte ich als Verantwortliche hier nicht mehr nennen, die waren bereits zu weit weg von der PDS, hatten diese seit zwölf Jahren immer wieder
abgeschrieben. Meine Distanz zur VSP erfolgte im Übrigen erst Ende der 90er Jahre. Bis 1997 (oder 98) war ich noch Redaktionsmitglied der SoZ.
Und diese Distanz hatte auch damit zu tun, dass die VSP im NATO-Krieg gegen Jugoslawien zur UÇK eine zweideutige Position einnahm.
Inzwischen entwickeln sich neben der PDS andere Projekte so z.B. die EAL, deren Freundeskreis in Deutschland versucht, ein politisches
Bündnis mit klarem antikapitalistischem Profil aufzubauen. Bisher warst du diesem Zusammenschluss gegenüber sehr zurückhaltend. Wird
das so bleiben?
Ich kann nicht erkennen, dass die Kräfte, die hinter der EAL stehen, fähig wären, den erforderlichen breiten Ansatz zur
Herausbildung einer neuen sozialistischen Partei zu bilden. Europaweit macht Rifondazione bei dem Reformer-Projekt EL mit, bei dem die PDS
maßgeblich ist. Bei der EU-Wahl kandidiert die DKP im Solo. Vor allem ist die Position der Globalisierungsgegner in der EAL faktisch nicht vertreten.
Ich beobachte das EAL-Projekt gewissermaßen mit Sympathie und Skepsis.
Was ist deine politische Perspektive, wenn die PDS es nicht mehr ist?
Es gibt im individuellen politischen Leben immer auch Phasen, in denen Besinnung und Neuorientierung angesagt sind. Wann es zu solchen Phasen
kommt, ist natürlich individuell verschieden. Wäre ich in einem anderen Zusammenhang eingebunden, wäre heute ein »Weiter
so« am Platz. So wie es lief, befinde ich mich in einer solchen Phase. Und ich möchte die PDS-Erfahrung und die Erfahrung von acht Jahren Arbeit
als Bundestagsabgeordneter nicht missen. Ich habe viel praktisch kapiert, was ich »nur« theoretisch wusste. Ich habe einen rassistischen Botschafter
aus dem Amt gebracht, eine bis heute wichtige Antikriegszeitung aufgebaut und in all den Jahren den aufrechten Gang auch bei der Bush-Rede im
Bundestag am 23.Mai 2002 praktiziert. Dabei habe ich nicht den Eindruck, an sozialistischer Überzeugungskraft oder an analytischer,
antikapitalistischer Klarheit verloren zu haben. Ich bin offen für sozialistische Projekte, auch für neue Organisationsprojekte. Ich engagiere mich wie
seit Ende der 60er Jahre konkret für sozialistische Ziele.
Der Journalist Winfried Wolf hoffte, mit dem Geraer Dialog ein neues Zeitungsprojekt realisieren zu können. Ist das Projekt damit für
dich gestorben?
Im Rahmen der skizzierten Orientierung des Geraer Dialog sagten wir uns Mitte 2003, dass ein offenes Wirken nach außen sich auch
publizistisch niederschlagen müsste. Heute ist ein solches Projekt für mich ebenso tot wie das einer linken PDS-Strömung. Als politischer,
sozialistischer Journalist bin ich jedoch weiter maßgeblich an der Zeitung gegen den Krieg beteiligt, die ich 1999 während des Kriegs gegen
Jugoslawien gründete, die ich gemeinsam mit Tobias Pflüger und der Informationsstelle Tübingen herausgebe und die seit Ende 2002 bereits
mit fünf neuen Ausgaben erschien trotz des Verlustes erheblicher materieller Ressourcen durch den Verlust meines Bundestagsmandats. Einen
Raum für eine allgemeine, sozialistische neue Zeitung sehe ich nicht es gibt ausreichend viele linke Blätter und der linke
»Markt« ist rückläufig. Eine andere Sache wäre ein publizistisches Projekt mit thematischer spezifischer Aufgabenstellung.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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