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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite

Die Wüste lebt

Wahlen in Hamburg

Am 29.Februar wird in Hamburg die Bürgerschaft neu gewählt. Links von SPD und Grün hat sich ein breites Wahlbündnis zusammengeschlossen.
»Jetzt ist finito«, schnaubte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust am 8.Dezember 2003 ins Mikrofon der Pressekonferenz und kündigte an, die Regierungskoalition aus CDU, FDP und Schill-Partei (SoZ 10/03) werde das Parlament des Hamburger Stadtstaats, die Bürgerschaft, vorzeitig auflösen: Die »erfolgreiche Arbeit« der Regierung »wollen wir fortsetzen«, aber jetzt müsse es Neuwahlen geben, um Ronald Barnabas Schill loszuwerden: »Sich in den letzten Tagen bis heute steigernd, erleben wir ein unwürdiges politisches Kasperletheater mit zum Teil psychopathischen Zügen. Dieses ist mit der Würde und dem Ansehen der Stadt nicht vereinbar.«
Ronald Schill hatte tags zuvor damit gedroht, er und drei weitere Abgeordnete seiner Partei würden in der Bürgerschaft gegen den Haushalt stimmen — damit wäre die Mehrheit für den Bürgerblock aus CDU, FDP und Schill-Partei futsch gewesen. Damit wurden Neuwahlen unvermeidlich.

Projekt »Wachsende Stadt«

»Die absolute Mehrheit ist mein Wahlziel«, verkündete von Beust zum Wahlkampfauftakt am 9.Januar. Um von 26% in 2001 auf 50% zu kommen, muss sie allerdings die Wähler der Schill-Partei gewinnen. Laut Meinungsumfragen von Mitte Januar geht die Rechnung auf. Die SPD liegt abgeschlagen bei 37% und kann die bei der letzten Wahl zur Schill-Partei abgewanderten Stimmen nicht zurückgewinnen.
Die Festigung der Verschiebung des Wahlverhaltens nach rechts erscheint kaum verwunderlich angesichts der Politik der SPD in den letzten zwei Jahren. In Hamburg machte sie kaum Opposition gegen Privatisierungen und Sozialabbau — sie wäre auch unglaubwürdig angesichts der ähnlichen Politik der Bundesregierung sowie der Tatsache, dass der Bürgerblock in vielen Bereichen rabiater fortführte, was der vorherige »rot«-grüne Senat bereits begonnen hatte: »Rot-Grün hatte die Weichen gestellt für die rigide und repressive Politik des Rechtssenats. Dazu zählen der Bildungsbereich, die Kinderbetreuung — Stichwort Kita-Card —, die Abschiebepolitik und die Brechmitteleinsätze. In vielen Bereichen konnte die SPD-Politik nahtlos fortgeführt werden, wenn auch in verschärfter Form und mit mehr Tempo«, so Christiane Schneider, die Sprecherin der Hamburger PDS.
Ähnlich äußerte sich Karl-Joachim Dreyer, der Präses der Handelskammer in der traditionellen Jahresabschlussansprache vor der »Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns«: Das Vorhaben »Wachsende Stadt« sei lobenswert, die Wirtschaft erwarte aber »klarere Prioritäten«: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide dürften Wachstum nicht behindern. Stattdessen wünschte er »mehr Kraft und Tempo« bei wichtigen Verkehrsprojekten und die »Realisierung des EuroRapid von Hamburg nach Amsterdam«. Der »Konsens nahezu aller Parteien« zur Forcierung der Elbvertiefung, der Erweiterung des Werkes von Airbus Industrie und Schaffung der Hafen-City müsse ausgebaut werden. Die drei Großprojekte wurden noch unter »Rot«-Grün geplant.
Thomas Mirow ist Spitzenkandidat der Hamburger SPD. Von 1994 bis 2001 war er als Wirtschaftssenator federführend bei der Planung des Ausbaus von Airbus und der Hafencity. Beim Wahlkampfauftakt der SPD am 7.Januar lobte er sich selbst dafür, dass er die rechtlich fragwürdige Werkserweiterung von Airbus in der Planungsphase durchgesetzt hat — gegen den halbherzigen Widerstand der GAL, die eigentlich gegen das Zuschütten des Mühlenberger Lochs war, weil es ein im europäischen Recht anerkanntes Naturschutzgebiet ist.
Innenpolitischer Experte der SPD, der auch als potenzieller Senator gehandelt wird, ist Michael Neumann. Er ist Wahlkampfleiter der SPD. Bekannt ist er als vehementer Vertreter einer repressiven Law-and-Order-Politik: für Brechmitteleinsätze und geschlossene Heime sowieso, aber auch für eine erweiterte Gendatei, mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Das Hamburger Abendblatt fragte Neumann vor zwei Monaten, was er vom finalen Rettungsschuss halte — immerhin die polizeiliche Lizenz zum Töten ohne Notwehr im Einzelfall. Seine Antwort: »Ich sehe hier zur Zeit keinen Regelungsbedarf, zumal es auch bei der Polizei keine einheitliche Meinung gibt.« Folgerichtig erteilte Mirow auf Nachfrage einer Großen Koalition mit der CDU keine Absage: »Auch das ist denkbar, allerdings ist es nicht das Wahlziel der SPD.«

Regenbogen

Im Jugoslawienkrieg 1999 traten fünf Abgeordnete der GAL/Grünen aus Partei und Fraktion aus und bildeten die Fraktion »Regenbogen — Für eine Neue Linke«. Bei den letzten Bürgerschaftswahlen erhielt die Gruppierung 1,7%, womit sie an der 5%-Hürde scheiterte. Die PDS erhielt damals 0,5%.
Christiane Schneider betonte gegenüber dem Neuen Deutschland, dass es zwar graduelle Unterschiede zwischen den Bürgerschaftsparteien gibt, aber keine alternativen Politikmodelle: »In einigen Bereichen hat der CDU-FDP-Schill-Senat die Politik des Sozialabbaus und der Ausgrenzung verschärft, etwa mit der hemmungslosen Privatisierung der städtischen Krankenhäuser und der Berufsschulen, der Vertreibung des Bauwagenplatzes Bambule und der versuchten Zerschlagung der Geschichtswerkstätten, einem massiven Angriff auf die kulturelle Vielfalt in der Stadt. SPD und GAL hatten dieser Politik in der Bürgerschaft sehr wenig entgegenzusetzen, so dass nicht zu erkennen ist, dass ein neuer rot-grüner Senat eine grundsätzlich andere Politik machen würde. Was wir jetzt brauchen, ist eine linke Alternative.«
Mitglieder von Regenbogen und PDS luden Mitte Dezember gemeinsam zu einer Versammlung, auf der 300 Leute über eine linke Wahlliste diskutierten. Ob es sinnvoll sei zu kandidieren, war unter den Teilnehmenden nicht strittig — nicht wahlinteressierte linke Gruppen nahmen nicht teil. Dafür waren DKP, RSB, SAV und Linksruck vertreten. Eine gemeinsame offene Liste unter dem Mantel »Regenbogen« wurde beschlossen. Auch eine Landesmitgliederversammlung der PDS beschloss die Unterstützung der Kandidatur von Regenbogen. Am 22.Januar wird das dritte »Linke Wahl-Alternative-Treffen« stattfinden, auf dem eine Wahlplattform und eine Kandidatenliste beschlossen werden soll. Am 14.Februar veranstaltet Regenbogen eine stadtpolitische Konferenz »Die Wüste lebt — Ökonomie, Politik und Widerstand in Hamburg«.
Auch, wer nicht wählen will, hat am 29.Februar einen Grund, in die Wahlkabine zu gehen: Am selben Tag wird über das Volksbegehren abgestimmt, das sich gegen die Privatisierung der städtischen Krankenhäuser richtet.

Gaston Kirsche

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