SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 7

Hartz III und IV

Soziale Rechte außer Kraft

Am 17.10.2003 wurden das dritte und das vierte »Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« im Bundestag beschlossen. Im Zentrum von Hartz III steht die Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit (BA), der Beschäftigungspolitik und der Leistung »Arbeitslosengeld« (ALG) im SGB III. Hartz IV regelt im neuen SGB II die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe (ALHI) und Sozialhilfe in die nicht sichernde und gerade deshalb aktivierende Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II (ALG II).

Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) wird umstrukturiert zu einer Bundesagentur für Arbeit, die nicht mehr nach verlässlichen gesetzlichen Regelungen arbeitet. Ihre Steuerung erfolgt durch »Zielvereinbarungen« mit der Bundesregierung. Noch stehen dem die Rechtsansprüche der Versicherten entgegen; demnächst geraten sie aber in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zu dem Vermittler.
Die BA will sich auf das »Kerngeschäft Vermittlung« für die unabwendbar zu Vermittelnden konzentrieren; ein Vermittler ist dann für 75 Erwerbslose zuständig. Die Landesarbeitsämter unterstützen als »Regionaldirektionen« die Einrichtung von »Job-Centern«. Die neuen Agenturen für Arbeit erfüllen dann keine Rechtsansprüche mehr. Sie erbringen nach merkantilem Verständnis eine Dienstleistung am Kunden. Zwischen Vermittler und Arbeitslosem gibt es einen individuellen Vertrag, eine »Eingliederungsvereinbarung« mit »detaillierter Einzelfallregelung« zur Kontrolle der Eigenbemühungen des Erwerbslosen, wobei Sanktionen angedroht werden, wenn die Vereinbarung nicht unterschrieben oder erfüllt wird.
Das breite Spektrum arbeitsmarktpolitischer Instrumente wird gestrafft, z.T. gestrichen. Angesichts der begrenzten Aufnahmefähigkeit regionaler Arbeitsmärkte oder bei Vermittlungshemmnissen werden »zusätzliche« Beschäftigungen zur Wiedererlangung der »Beschäftigungsfähigkeit« eingeführt. Die »aktivierende« Arbeitsmarktpolitik wird durch ein neues Struktur- und Kurzarbeitergeld ergänzt. Da ab 2005 jede Arbeit für Erwerbslose als zumutbar gilt, kann auch in nichtsozialversicherte Tätigkeit vermittelt werden. Etliche »Aktivierungsmaßnahmen« setzen auf Pflichtarbeit. Andere zwingen zur Annahme ganz niedrig bezahlter Jobs. »Gefördert« wird u.a. in Minijobs und Gelegenheitsarbeiten. Das Ziel ist — in Anlehnung an die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU — die Überführung regulärer, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in einen nichtexistenzsichernden, ungeschützten Zustand.

ABM neu justiert

Schröder folgt der Demagogie der Unternehmerverbände, dass Arbeitsplätze nur in der Wirtschaft entstünden und der zweite Arbeitsmarkt überflüssig sei. Die Regierung setzt deshalb vereinfachte wirtschaftsfreundliche Arbeitsförderinstrumente durch. Sie hebelt die Arbeitnehmerinteressenvertretung in den Selbstverwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter (LAA) aus. Statt der Ausschüsse sollen nun die LAA selbst über die Steuerung der Arbeitsfördermaßnahmen entscheiden. Die Ausschüsse stimmen nicht mehr zu, sie werden nur informiert und können widersprechen.
Statt Eingliederungszuschüsse für Ältere, Schwervermittelbare und Jugendliche gibt es nun einen Eingliederungszuschuss für Arbeitnehmer mit Vermittlungshemmnissen, der den Spezifika der Gruppen nicht mehr Rechnung trägt. In der Regel wird die Kann-Leistung nur noch 12 Monate, für Schwerbehinderte bis zu 24 Monaten gewährt. ABM werden nur bewilligt, wenn die Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird. ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen werden zur neuen ABM zusammengefasst.
Statt Kultur, Sport, Denkmalpflege, Jugend- und Sozialarbeit werden »Problemschwerpunkte der regionalen und Teilarbeitsmärkte« gefördert und neue Fördertatbestände eingeführt: »notwendige Finanzierung der Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen«, Bewältigung von Naturkatastrophen und Maßnahmen »zur Erhaltung und Verbesserung der Umwelt«. ABM-Kräfte haben keine Chance, neue Ansprüche auf ALG zu erwerben. Ältere können bis zu drei Jahren ABM-Förderung erhalten, u.U. kommen sie nur mit ALG II bis zur Rente.

Zumutungen

In den 90er Jahren war die Zumutbarkeit der Arbeit an Qualifikationsstufen gebunden. Ab 1998 galten alle Arbeitsangebote des Arbeitsamts nach SGB III als zumutbar, deren Nettoarbeitsentgelt nicht unter dem ALG oder der ALHI lag. Mit dem neuen ALG II ab 2005 soll in der Regel nunmehr für Empfänger von ALG II jede Arbeit zumutbar sein, wenn sie körperlich und geistig dazu in der Lage sind — mit wenigen Ausnahmen. Das gilt auch für Eingliederungsmaßnahmen in Arbeit.
Dies bereitet den Weg für die Entsicherung von Erwerbsarbeit auf breiter Front. Ein Recht auf eine ergänzende Sozialhilfe gibt es nicht mehr. Die Hilfen aus dem SGB III und dem BSHG fließen im neuen SGB II zu Eingliederungsmaßnahmen in Arbeit zusammen. Nach dem Grundsatz »Fordern und Fördern« sind dies nunmehr vorrangige Leistungen gegenüber denen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Letztere verlieren den Status von Rechtsansprüchen und gelten nur noch als Gegenleistungen. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist kein voraussetzungsloses Grund- und Menschenrecht mehr. Erwerbslose verlieren dadurch ihre wehrfähige Position; Widerspruchs- und Klageverfahren sind nur für Verwaltungsakte geregelt.
Die Agentur für Arbeit soll mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen in einer je sechs Monate geltenden Eingliederungsvereinbarung festlegen oder sie entsteht durch Verwaltungsakt. Die Vereinbarung enthält Eingliederungsleistungen, Mindestmaß und Häufigkeit von Bemühungen und ihre Nachweisform. Nach Vermittlerermessen werden Leistungen für Personen der Bedarfsgemeinschaft in den Vertrag aufgenommen.
Die Agentur für Arbeit hat für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft Lebenden einen persönlichen Ansprechpartner zu benennen. Der »Bevollmächtigte« (z.B. der Mann im Haus) legt dann »in Vollmacht« für die anderen erwerbstätigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Familie, Ehe oder WG) deren »zumutbare« Tätigkeiten fest und erhält das zweifelhafte »Recht«, über die Pflichten der anderen zu entscheiden. Die Agentur wiederum erhält das Recht, sich das kooperationswilligste Mitglied der Sippe als Vertragspartner zu wählen. Welche Leistungen er anbietet, liegt im Ermessen des Fallmanagers.
Was sich wohlmeinend fürsorglich anhört, wandelt sich bei einer privatrechtlichen Behörde und einem sanktionsbewährten Kontrahierungszwang in höchste Kontrolle von Privatangelegenheiten.

Neue Stütze

Das klassische Arbeitslosengeld wird gehörig abgespeckt. Ab 2006 wird die Bezugsdauer drastisch gekürzt. Viele werden bisherige Ansprüche nicht geltend machen können oder keinen Zugang zum ALG finden. Anspruch auf ALG hat, wer einheitlich zwölf Monate Anwartschaftszeit geltend machen kann; Sonderregelungen, z.B. für Saisonarbeitskräfte, entfallen. Erwerbslose erhalten bis zu ihrem 55.Lebensjahr nur 12 Monate ALG, Ältere maximal 18 Monate. Diese Regelungen nehmen Ad-hoc-Beschäftigten in Kultur, Medien, Sport und Wissenschaft die Chance zur Ansammlung ausreichender Anwartszeiten.
Verlängerte Rahmenfristen für Zeiten des Bezugs von Unterhalts- oder Übergangsgeld, für Zeiten selbstständiger Tätigkeit sowie Pflegezeiten von Angehörigen entfallen. Wehr- und Zivildienstleistende, Pflegende, Existenzgründer und vorübergehend im Ausland Beschäftigte müssen sich privat weiterversichern. ALG soll es nur für »typische« Arbeitsverhältnisse geben, aber nicht z.B. für Kindererziehung. Dafür ist ein schnellerer Rausschmiss aus der Arbeitslosenversicherung garantiert. Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe oder Meldeversäumnis führen zum Erlöschen des Leistungsanspruchs.
2003 lebten 2,76 Millionen Menschen von Sozialhilfe, seit Mai 2003 mindestens 2 Millionen von ALHI. Für diese Menschen wird ALG II als neue Leistung kreiert. Dies gilt für alle Erwerbsfähigen, die nicht fähig sind, sich selbst aus Erwerbstätigkeit, Einkommen, Vermögen, anderen Sozialleistungen, Versicherungsansprüchen und Unterhaltsansprüchen zu erhalten. Sie und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Nichterwerbsfähigen müssen nach §2 SGB II vorrangig alle Möglichkeiten zur Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die aufwendigen »Kosten für die Arbeitssuche« werden nicht gesondert abgegolten und Betroffene haben für eine intensive Arbeitssuche in aller Regel keine finanziellen Mittel.
Gemeinsam Leben ist billiger. Für gewöhnlich überwiegen wirtschaftliche Gründe bei der Eheschließung. Unstrittig sind sie bei der Gründung einer Wohngemeinschaft. Das SGB II fasst all diese Lebensformen als Bedarfsgemeinschaft zusammen. Anspruchsberechtigt für SGB-II-Leistungen sind alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihre Angehörigen, die bis zu drei Stunden täglich erwerbstätig sein können, Personen, die mit Hilfsbedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, und die dem Haushalt angehörigen minderjährigen, unverheirateten Kinder, also Frau, Kind und Mitbewohner. Kommen aber die Erwerbsfähigen etwaigen Auflagen der Agentur für Arbeit nicht nach — wird also die Leistung an sie gemindert, dann werden Abhängige und Kinder mitbestraft, weil sie keinen unabhängigen Rechtsanspruch auf Leistungen (Sozialgeld) mehr haben. Die Agentur für Arbeit kann in solchen Fällen minderjährigen Sozialgeldempfängern ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewähren. Das liegt im Ermessen des Fallmanagers, ist abhängig von seinem Budget und seiner Laune.
Der Zwangscharakter des ALG II führt zur »Sippenhaft« der »Bedarfsgemeinschaft«. Solche Regelungen zerstören die Solidarität in Lebens- und Wohngemeinschaften. Sie schaffen neue ökonomische und persönliche Abhängigkeiten, obwohl es den traditionellen Familienverband gar nicht mehr gibt, sondern eine hochgradige Individualisierung und häufig ein örtlich getrenntes Leben von Angehörigen.

Keine Existenzsicherung

Zum ALG II gehören Regelleistungen, Mehrbedarfe sowie »angemessene Wohn- und Heizkosten«. Die Regelleistung (RL) nach §20 umfasst Mittel für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens, in vertretbarem Umfang Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Sie beträgt für alleinstehende oder alleinerziehende Personen im Westen inkl. Berlin (Ost) 345 Euro, im Osten 331 Euro im Monat.
Zwei Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahrs erhalten jeweils 90% der RL, sonstige erwerbsfähige Angehörige erhalten 80% der RL. Kinder zwischen 14 und 17 Jahren erhalten Sozialgeld unterhalb der Sozialhilfe. In den RL sind Pauschalen von rd. 46 Euro für einmalige Leistungen, z.B. Elektrogeräte, Möbel, Bekleidung enthalten, die bisher einzeln beantragt werden konnten. Wenn ein unabweisbarer Bedarf nicht allein gedeckt werden kann, wird er als Sach- oder Gelddarlehen erbracht und in den Folgemonaten mit bis zu 10% auf die RL angerechnet.
Nur außergewöhnliche Sonderbedarfe (z.B. Wohnungsbrand) sind durch die neue Sozialhilfe zu decken. Für Unterkunft und Heizung sollen angemessene Kosten übernommen werden. Bei einem beabsichtigten Wohnungswechsel muss zuvor die Zustimmung der Agentur für Arbeit zu Miethöhe, Wohnungsgröße, Kaution, Maklergebühr und Umzugskosten eingeholt werden.
Erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird die RL für 3 Monate um 30% gekürzt, wenn sie eine Maßnahme verweigern oder abbrechen oder nicht ausreichend Eigenbemühungen nachweisen können. Melde- und Terminversäumnisse werden mit einer 10%-Kürzung für 3 Monate bestraft. Die Kürzungen können bei Wiederholung sogar addiert werden. Häufen sich Sanktionen, sind erwerbsfähige Hilfebedürftige u.U. gar nicht mehr abgesichert. Jugendlichen bis zu 25 Jahren kann die Leistung 3 Monate lang auch ganz gestrichen werden. Dies führt zu Hunger und Obdachlosigkeit.
ALG II ist eine Leistung unterhalb des Sozialhilfeniveaus, die vorrangig die Annahme fast jeder Arbeit verlangt. Sie mindert auch die neue Sozialhilfe, die im SGB XII geregelt wurde.
Die Zukunft lautet Arbeit ohne Sicherheit. Für Erwerbslosigkeit, Krankheit und Alter kann es keinen breiten Weg der privaten Vorsorge für die Massen geben. Das Risiko der Arbeitslosigkeit wird nicht privatisiert. Es werden schlicht alle soziale Sicherungen entfernt.

Anne Allex

Anne Allex ist Mitarbeiterin bei Forum Wissenschaft und Mitglied der BAG Sozialhilfeinitiativen. Der Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft 4/2003, www.linksnet.de.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang