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Am 17.10.2003 wurden das dritte und das vierte »Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« im
Bundestag beschlossen. Im Zentrum von Hartz III steht die Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit (BA), der Beschäftigungspolitik und der
Leistung »Arbeitslosengeld« (ALG) im SGB III. Hartz IV regelt im neuen SGB II die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe (ALHI) und
Sozialhilfe in die nicht sichernde und gerade deshalb aktivierende Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II (ALG II).
Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) wird umstrukturiert zu einer Bundesagentur für Arbeit, die nicht mehr nach verlässlichen
gesetzlichen Regelungen arbeitet. Ihre Steuerung erfolgt durch »Zielvereinbarungen« mit der Bundesregierung. Noch stehen dem die
Rechtsansprüche der Versicherten entgegen; demnächst geraten sie aber in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zu dem
Vermittler.
Die BA will sich auf das »Kerngeschäft Vermittlung« für die
unabwendbar zu Vermittelnden konzentrieren; ein Vermittler ist dann für 75 Erwerbslose zuständig. Die Landesarbeitsämter
unterstützen als »Regionaldirektionen« die Einrichtung von »Job-Centern«. Die neuen Agenturen für Arbeit erfüllen
dann keine Rechtsansprüche mehr. Sie erbringen nach merkantilem Verständnis eine Dienstleistung am Kunden. Zwischen Vermittler und
Arbeitslosem gibt es einen individuellen Vertrag, eine »Eingliederungsvereinbarung« mit »detaillierter Einzelfallregelung« zur
Kontrolle der Eigenbemühungen des Erwerbslosen, wobei Sanktionen angedroht werden, wenn die Vereinbarung nicht unterschrieben oder erfüllt
wird.
Das breite Spektrum arbeitsmarktpolitischer Instrumente wird gestrafft, z.T. gestrichen.
Angesichts der begrenzten Aufnahmefähigkeit regionaler Arbeitsmärkte oder bei Vermittlungshemmnissen werden »zusätzliche«
Beschäftigungen zur Wiedererlangung der »Beschäftigungsfähigkeit« eingeführt. Die »aktivierende«
Arbeitsmarktpolitik wird durch ein neues Struktur- und Kurzarbeitergeld ergänzt. Da ab 2005 jede Arbeit für Erwerbslose als zumutbar gilt, kann
auch in nichtsozialversicherte Tätigkeit vermittelt werden. Etliche »Aktivierungsmaßnahmen« setzen auf Pflichtarbeit. Andere zwingen
zur Annahme ganz niedrig bezahlter Jobs. »Gefördert« wird u.a. in Minijobs und Gelegenheitsarbeiten. Das Ziel ist in Anlehnung an
die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU die Überführung regulärer, sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse in einen nichtexistenzsichernden, ungeschützten Zustand.
Schröder folgt der Demagogie der Unternehmerverbände, dass Arbeitsplätze nur in der Wirtschaft entstünden und der zweite
Arbeitsmarkt überflüssig sei. Die Regierung setzt deshalb vereinfachte wirtschaftsfreundliche Arbeitsförderinstrumente durch. Sie hebelt die
Arbeitnehmerinteressenvertretung in den Selbstverwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter (LAA) aus. Statt der Ausschüsse sollen nun
die LAA selbst über die Steuerung der Arbeitsfördermaßnahmen entscheiden. Die Ausschüsse stimmen nicht mehr zu, sie werden nur
informiert und können widersprechen.
Statt Eingliederungszuschüsse für Ältere, Schwervermittelbare und
Jugendliche gibt es nun einen Eingliederungszuschuss für Arbeitnehmer mit Vermittlungshemmnissen, der den Spezifika der Gruppen nicht mehr
Rechnung trägt. In der Regel wird die Kann-Leistung nur noch 12 Monate, für Schwerbehinderte bis zu 24 Monaten gewährt. ABM werden
nur bewilligt, wenn die Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird. ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen werden zur neuen ABM zusammengefasst.
Statt Kultur, Sport, Denkmalpflege, Jugend- und Sozialarbeit werden
»Problemschwerpunkte der regionalen und Teilarbeitsmärkte« gefördert und neue Fördertatbestände eingeführt:
»notwendige Finanzierung der Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen«, Bewältigung von Naturkatastrophen und
Maßnahmen »zur Erhaltung und Verbesserung der Umwelt«. ABM-Kräfte haben keine Chance, neue Ansprüche auf ALG zu
erwerben. Ältere können bis zu drei Jahren ABM-Förderung erhalten, u.U. kommen sie nur mit ALG II bis zur Rente.
In den 90er Jahren war die Zumutbarkeit der Arbeit an Qualifikationsstufen gebunden. Ab 1998 galten alle Arbeitsangebote des Arbeitsamts nach SGB III
als zumutbar, deren Nettoarbeitsentgelt nicht unter dem ALG oder der ALHI lag. Mit dem neuen ALG II ab 2005 soll in der Regel nunmehr für
Empfänger von ALG II jede Arbeit zumutbar sein, wenn sie körperlich und geistig dazu in der Lage sind mit wenigen Ausnahmen. Das gilt
auch für Eingliederungsmaßnahmen in Arbeit.
Dies bereitet den Weg für die Entsicherung von Erwerbsarbeit auf breiter Front. Ein
Recht auf eine ergänzende Sozialhilfe gibt es nicht mehr. Die Hilfen aus dem SGB III und dem BSHG fließen im neuen SGB II zu
Eingliederungsmaßnahmen in Arbeit zusammen. Nach dem Grundsatz »Fordern und Fördern« sind dies nunmehr vorrangige
Leistungen gegenüber denen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Letztere verlieren den Status von Rechtsansprüchen und gelten nur noch als
Gegenleistungen. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist kein voraussetzungsloses Grund- und Menschenrecht mehr. Erwerbslose verlieren dadurch ihre
wehrfähige Position; Widerspruchs- und Klageverfahren sind nur für Verwaltungsakte geregelt.
Die Agentur für Arbeit soll mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die
für seine Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen in einer je sechs Monate geltenden Eingliederungsvereinbarung festlegen oder sie entsteht
durch Verwaltungsakt. Die Vereinbarung enthält Eingliederungsleistungen, Mindestmaß und Häufigkeit von Bemühungen und ihre
Nachweisform. Nach Vermittlerermessen werden Leistungen für Personen der Bedarfsgemeinschaft in den Vertrag aufgenommen.
Die Agentur für Arbeit hat für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft Lebenden einen persönlichen Ansprechpartner zu benennen. Der »Bevollmächtigte«
(z.B. der Mann im Haus) legt dann »in Vollmacht« für die anderen erwerbstätigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Familie, Ehe
oder WG) deren »zumutbare« Tätigkeiten fest und erhält das zweifelhafte »Recht«, über die Pflichten der anderen
zu entscheiden. Die Agentur wiederum erhält das Recht, sich das kooperationswilligste Mitglied der Sippe als Vertragspartner zu wählen. Welche
Leistungen er anbietet, liegt im Ermessen des Fallmanagers.
Was sich wohlmeinend fürsorglich anhört, wandelt sich bei einer privatrechtlichen
Behörde und einem sanktionsbewährten Kontrahierungszwang in höchste Kontrolle von Privatangelegenheiten.
Das klassische Arbeitslosengeld wird gehörig abgespeckt. Ab 2006 wird die Bezugsdauer drastisch gekürzt. Viele werden bisherige
Ansprüche nicht geltend machen können oder keinen Zugang zum ALG finden. Anspruch auf ALG hat, wer einheitlich zwölf Monate
Anwartschaftszeit geltend machen kann; Sonderregelungen, z.B. für Saisonarbeitskräfte, entfallen. Erwerbslose erhalten bis zu ihrem 55.Lebensjahr
nur 12 Monate ALG, Ältere maximal 18 Monate. Diese Regelungen nehmen Ad-hoc-Beschäftigten in Kultur, Medien, Sport und Wissenschaft die
Chance zur Ansammlung ausreichender Anwartszeiten.
Verlängerte Rahmenfristen für Zeiten des Bezugs von Unterhalts- oder
Übergangsgeld, für Zeiten selbstständiger Tätigkeit sowie Pflegezeiten von Angehörigen entfallen. Wehr- und
Zivildienstleistende, Pflegende, Existenzgründer und vorübergehend im Ausland Beschäftigte müssen sich privat weiterversichern.
ALG soll es nur für »typische« Arbeitsverhältnisse geben, aber nicht z.B. für Kindererziehung. Dafür ist ein schnellerer
Rausschmiss aus der Arbeitslosenversicherung garantiert. Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe oder Meldeversäumnis führen zum Erlöschen
des Leistungsanspruchs.
2003 lebten 2,76 Millionen Menschen von Sozialhilfe, seit Mai 2003 mindestens 2 Millionen
von ALHI. Für diese Menschen wird ALG II als neue Leistung kreiert. Dies gilt für alle Erwerbsfähigen, die nicht fähig sind, sich
selbst aus Erwerbstätigkeit, Einkommen, Vermögen, anderen Sozialleistungen, Versicherungsansprüchen und Unterhaltsansprüchen zu
erhalten. Sie und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Nichterwerbsfähigen müssen nach §2 SGB II vorrangig alle
Möglichkeiten zur Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die aufwendigen »Kosten für die Arbeitssuche«
werden nicht gesondert abgegolten und Betroffene haben für eine intensive Arbeitssuche in aller Regel keine finanziellen Mittel.
Gemeinsam Leben ist billiger. Für gewöhnlich überwiegen wirtschaftliche
Gründe bei der Eheschließung. Unstrittig sind sie bei der Gründung einer Wohngemeinschaft. Das SGB II fasst all diese Lebensformen als
Bedarfsgemeinschaft zusammen. Anspruchsberechtigt für SGB-II-Leistungen sind alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihre
Angehörigen, die bis zu drei Stunden täglich erwerbstätig sein können, Personen, die mit Hilfsbedürftigen in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, und die dem Haushalt angehörigen minderjährigen, unverheirateten Kinder, also Frau, Kind und Mitbewohner.
Kommen aber die Erwerbsfähigen etwaigen Auflagen der Agentur für Arbeit nicht nach wird also die Leistung an sie gemindert, dann
werden Abhängige und Kinder mitbestraft, weil sie keinen unabhängigen Rechtsanspruch auf Leistungen (Sozialgeld) mehr haben. Die Agentur
für Arbeit kann in solchen Fällen minderjährigen Sozialgeldempfängern ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen
gewähren. Das liegt im Ermessen des Fallmanagers, ist abhängig von seinem Budget und seiner Laune.
Der Zwangscharakter des ALG II führt zur »Sippenhaft« der
»Bedarfsgemeinschaft«. Solche Regelungen zerstören die Solidarität in Lebens- und Wohngemeinschaften. Sie schaffen neue
ökonomische und persönliche Abhängigkeiten, obwohl es den traditionellen Familienverband gar nicht mehr gibt, sondern eine hochgradige
Individualisierung und häufig ein örtlich getrenntes Leben von Angehörigen.
Zum ALG II gehören Regelleistungen, Mehrbedarfe sowie »angemessene Wohn- und Heizkosten«. Die Regelleistung (RL) nach
§20 umfasst Mittel für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens, in vertretbarem Umfang
Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Sie beträgt für alleinstehende oder alleinerziehende Personen im Westen inkl.
Berlin (Ost) 345 Euro, im Osten 331 Euro im Monat.
Zwei Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahrs
erhalten jeweils 90% der RL, sonstige erwerbsfähige Angehörige erhalten 80% der RL. Kinder zwischen 14 und 17 Jahren erhalten Sozialgeld
unterhalb der Sozialhilfe. In den RL sind Pauschalen von rd. 46 Euro für einmalige Leistungen, z.B. Elektrogeräte, Möbel, Bekleidung
enthalten, die bisher einzeln beantragt werden konnten. Wenn ein unabweisbarer Bedarf nicht allein gedeckt werden kann, wird er als Sach- oder Gelddarlehen
erbracht und in den Folgemonaten mit bis zu 10% auf die RL angerechnet.
Nur außergewöhnliche Sonderbedarfe (z.B. Wohnungsbrand) sind durch die neue
Sozialhilfe zu decken. Für Unterkunft und Heizung sollen angemessene Kosten übernommen werden. Bei einem beabsichtigten Wohnungswechsel
muss zuvor die Zustimmung der Agentur für Arbeit zu Miethöhe, Wohnungsgröße, Kaution, Maklergebühr und Umzugskosten
eingeholt werden.
Erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird die RL für 3 Monate um 30%
gekürzt, wenn sie eine Maßnahme verweigern oder abbrechen oder nicht ausreichend Eigenbemühungen nachweisen können. Melde-
und Terminversäumnisse werden mit einer 10%-Kürzung für 3 Monate bestraft. Die Kürzungen können bei Wiederholung sogar
addiert werden. Häufen sich Sanktionen, sind erwerbsfähige Hilfebedürftige u.U. gar nicht mehr abgesichert. Jugendlichen bis zu 25 Jahren
kann die Leistung 3 Monate lang auch ganz gestrichen werden. Dies führt zu Hunger und Obdachlosigkeit.
ALG II ist eine Leistung unterhalb des Sozialhilfeniveaus, die vorrangig die Annahme fast
jeder Arbeit verlangt. Sie mindert auch die neue Sozialhilfe, die im SGB XII geregelt wurde.
Die Zukunft lautet Arbeit ohne Sicherheit. Für Erwerbslosigkeit, Krankheit und Alter
kann es keinen breiten Weg der privaten Vorsorge für die Massen geben. Das Risiko der Arbeitslosigkeit wird nicht privatisiert. Es werden schlicht alle
soziale Sicherungen entfernt.
Anne Allex
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