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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 9

Wilde Streiks in Italien

Ruf nach neuen Gewerkschaften

Tarifverträge sichern nicht mehr automatisch Fortschritte bei Löhnen und Arbeitszeiten. Manchmal führen die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen so, dass ein Rückschritt dabei herauskommt. So geschah es im vergangenen Jahr in Italien im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs.

Die drei Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL stimmten Ende des Jahres einem nationalen Tarifvertrag zu, der Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate vorsah. Den Metro-, Bus- und Tramfahrern in Mailand, die bereits Lohnrückstände in Höhe von 3000 Euro zu beklagen haben, platzte der Kragen; sie fordern eine monatliche Lohnerhöhung von 106 Euro.
Am 1.Dezember setzten sie die drei Gewerkschaftsverbände mitten während der Verhandlungen unter Druck: einen Warnstreik, den die Gewerkschaftsspitzen angekündigt hatten, verwandelten sie ohne Vorwarnung in einen ganztägigen Streik. Der Verkehr in der Millionenstadt Mailand brach zusammen; 150000 Menschen war nach offiziellen Angaben nicht in der Lage, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.
Die Gewerkschaftsverbände hatten nichts besseres zu tun, als sich umgehend von dieser »wilden Aktion« zu distanzieren. Arbeitgeber, die Gemeinde und der Innenminister verlangten harte Strafen für die Streikenden; die Presse entfesselte eine regelrechte Hetzkampane. »Entlasst sie!«, forderte die Titelseite der Tageszeitung La Stampa. Die Mailänder Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen »Unterbrechung des öffentlichen Nahverkehrs«. Die Digos, die italienische Antiterrorgruppe der Polizei, wurde beauftragt, die Namen der Verantwortlichen ausfindig zu machen.
Trotz der Proteste unterzeichneten die Gewerkschaften den Vertrag am 20.Dezember. Die wilden Streiks wurden fortgesetzt — zwischen dem 1.Dezember und dem 10.Januar an insgesamt sechs Tagen. Am 13.Januar ging es erneut los — diesmal nicht nur in Mailand, sondern auch in Brescia. In beiden Städten verhängte der Präfekt eine Arbeitsverpflichtung und drohte bei Zuwiderhandlung mit Geldstrafen bis zu 516 Euro pro Tag und Haftstrafen zwischen sechs Monaten und sieben Jahren.
Die Streikenden verlangen die Wiedereröffnung der Verhandlungen über den Tarifvertrag. Sie haben in der Öffentlichkeit erhebliche Unterstützung gewinnen können. Dario Fo hat eine große Solidaritätsversammlung organisiert, Rifondazione Comunista unterstützt die Streikenden.

Kontrolle über Kampfführung und Forderungen

Ihnen gegenüber stehen nicht allein Regierung und Gemeinde. Auf deren Seite hat sich auch die CGIL gestellt; sie lehnt eine Neuaufnahme der Verhandlungen ab und hat Streikende mehrfach aufgefordert, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Aus der Sicht des Generalsekretärs der CGIL ist die Arbeitsverpflichtung »keine Maßnahme, die sich gegen das Streikrecht richtet, sondern eine Maßnahme zur Verhinderung negativer Konsequenzen für die gesamte Einwohnerschaft«.
Die Fahrer auf den städtischen Linien lassen sich davon nicht einschüchtern. Sie drohen mit der Ausweitung der Streiks: »Die Fahrer stehen in ganzen Italien auf dem Kriegsfuß und können in wenigen Stunden über neue Kampfformen entscheiden.« Eine Koordination verschiedener Basisgewerkschaften gibt bei ihnen den Ton an. Sie wollen auch andere Kampfformen versuchen — gemeinsam mit den Fahrgastverbänden.
Durchschlagenden Erfolg hat der »Fahrscheinstreik«. Die Fahrgastverbände haben eine hohe Beteiligung gemeldet; sie rufen die Bewohner auf, umsonst zu fahren und erklären sich bereit, evtl. Strafzettel zu übernehmen.
Die Streikenden fordern, dass die neuen Verhandlungen mit den Basisgewerkschaften geführt werden; von den traditionellen Gewerkschaftsverbänden fühlen sie sich nicht mehr vertreten. Sie stellen auch Forderungen an die Art, wie Tarifverhandlungen zu führen sind. Sie haben mit ihren autonomen Aktionen eine Kampfführung durchgesetzt, die unmittelbar an der Basis kontrolliert wird: die Aktionen werden in den einzelnen Depots diskutiert und beschlossen. Darüber hinaus fordern sie, dass Abschlüsse künftig einer Urabstimmung unterzogen werden.
Inzwischen streiken in Mailand auch die Feuerwehrleute und in Rom die Beschäftigten bei Alitalia gegen Entlassungen.

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