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Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Georg Braun, ist immer für originelle
Vorschläge gut. Jetzt präsentierte er einen neuen Geniestreich: »Eine Nullrunde für drei Jahre wäre der richtige Weg …
eine mehrjährige Nullrunde würde den Rationalisierungsdruck abschwächen, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen
erhöhen und die Beschäftigung fördern.« Dazu müsse aber dann die Variante von Öffnungsklauseln kommen, denn
erfolgreiche Unternehmen sollten ihren Belegschaften trotz der Nullrunden eine Erfolgsbeteiligung zahlen.
Braun stellt damit fast noch Friedrich Merz von der CDU-Bundestagsfraktion in den Schatten,
der einmal mehr beklagte, dass die Arbeitszeitverkürzungen der vergangenen Jahre »Millionen von Jobs gekostet« hätten. Dass solche
Propaganda immer wieder bereitwillige Medien zur Verbreitung findet, erinnert daran: es ist Tarifrundenzeit.
Im Bereich der IG Metall merkt man von der laufenden Tarifrunde nicht viel. In allen Bezirken
endet die Friedenspflicht Ende Januar, und es haben fast überall bisher zwei Verhandlungsrunden stattgefunden. Die IG Metall hat mit 4% ihre bisher
niedrigste Einstiegsforderung aufgestellt, von der fast die Hälfte durch bereits vereinbarte Finanzierungsregelungen des neuen gemeinsamen
Entgeltrahmenabkommens (ERA) für Arbeiter und Angestellte festgelegt wurde.
Dieser Einstieg und das gesamte Auftreten der IG Metall seitdem, die Presseverlautbarungen
und die kaum wahrnehmbare Öffentlichkeitsarbeit, haben eines sehr deutlich gemacht: die IG-Metall-Führungsriege hat ein nachdrückliches
Interesse daran, die Tarifrunde schnell und geräuschlos zu beenden. Nach dem Streikdesaster in den ostdeutschen Bezirken vom Vorjahr und dem daraus
folgenden innerorganisatorischen Richtungsstreit, beäugen sich die verschiedenen Flügel und Bezirksfürsten misstrauischer denn je und sind
sich allein in der Haltung einig, niemandem eine Aufsehen erregende Tarifrunde zu gönnen und kein Risiko eines neuen unkontrollierbaren Arbeitskampfs
einzugehen.
Ginge es nur um den »Tarif«, könnte dieser Wunsch sogar in
Erfüllung gehen. Die unternehmernahen Wirtschaftsinstitute und »Experten« haben einen Lohnabschluss zwischen der sog.
Produktivitätssteigerungsrate von 1,4% und »leicht über 2%« als vertretbar oder gar wünschenswert erklärt. Da die ERA-
Strukturkomponente von 1,39% schon festgelegt ist, kann mit wenig tarifdiplomatischer Bewegung ein Abschluss erreicht werden, den beide Seiten vor den
Fernsehkameras als Erfolg darstellen können.
Obwohl alle Bezirke kurze, maximal 12-monatige Laufzeiten gefordert haben, wünschen
die Unternehmer mindestens 24-monatige. Und wenn ein optisch aufgehübschter Abschluss faktisch verschlechtert werden soll, bieten die Laufzeiten eine
gute, kaum wahrnehmbare Wunderwaffe.
Aber der geschwächte Zustand der IG Metall hat die Unternehmer schwer in Versuchung gebracht, die Gelegenheit zu einem tarifpolitischen Backlash
auszunutzen. Nicht die Anpassung der ostdeutschen Arbeitsverhältnisse an den Westen, sondern die umgekehrte Anpassung zu längeren
Arbeitszeiten wie im Osten stände auf der Tagesordnung. Mit der Lage in den Betrieben hatte und hat das rein gar nichts zu tun.
Schon lange gibt es Möglichkeiten, die Arbeitszeiten fast unbegrenzt zu
verlängern, wenn entsprechende Aufträge da sind. In nahezu allen Betrieben wirken mittlerweile Jahresarbeitszeitkonten, die dazu führen,
dass die früheren »Überstunden« zu zuschlagfreien Normalstunden deklariert werden. Mit der 13/18%-Ausnahmeregelung
können schon jetzt offiziell 40-Stunden-Verträge für Teile der Belegschaft abgeschlossen werden.
In fast keinen Betrieb wird die Einhaltung dieser 13 bzw. 18% ernsthaft kontrolliert. Die
tatsächliche vertragliche Wochenarbeitszeit nähert sich auf diese Weise in den letzten Jahren beharrlich der regulären
Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche, gar nicht zu reden von der faktischen Arbeitszeit inkl. aller unerfassten und Mehrarbeit.
In der Regel wünscht ein in die Krise geratenes Unternehmen zudem nicht die
Verlängerung, sondern die Verkürzung der Arbeitszeit und entsprechend auch der Löhne und Gehälter. Das ist allerdings auch
gesetzlich über Kurzarbeit und tariflich über den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und Härtefallklauseln geregelt.
Von Seiten der IG Metall wurde auf diese Arbeitszeitdemagogie nicht spürbar reagiert.
Einzelne Bezirksleiter und auch Huber stammelten stattdessen nur von »mehr Flexibilität bei der Gestaltung von Arbeitszeitkonten« und
brachten den »Arbeitszeitkorridor« von 3040 Stunden, über den die Betriebsparteien entscheiden sollten, erneut in die Debatte. Und da
witterten die Unternehmer immer mehr ihre Chance, ihr großes Ziel, die Löhne zu senken, mit der neu angestachelten Arbeitszeitdebatte zu
verknüpfen.
Es ist dies geradezu ein Musterbeispiel, wie die aktuelle Regierungspolitik direkt und ohne
großen diplomatischen Umweg in den betrieblichen Alltag verlängert wird und offenbart die nahtlose Deckungsgleichheit der Ziele von
SPD/Grüne/CDU/FDP und des Unternehmerlagers.
Plötzlich erklärte der Gesamtmetall-Chef Kannegießer, dass kein
Tarifabschluss 2004 möglich sei, ohne einen Einstieg in Arbeitszeitverlängerung, über deren Bezahlung die Betriebsparteien entscheiden
sollten. »Wer Innovation und Dynamik in den Betrieben fordert, der muss Arbeitsschleusen über längere Strecken nachhaltig
öffnen«, wobei es »vorübergehend nur mit teilweisen oder ohne Lohnausgleich« gehen müsse. Niedrigere Ränge aus
dem Unternehmerlager und in den einzelnen Bezirken, wurden noch direkter und konnten sich die Forderung nach Rückkehr zur 40-Stunden-Woche ohne
Lohnausgleich nicht verkneifen.
Allgemeines Ziel der Tarifrunde wurde jetzt die angeblich sofort einlösbare und unverzichtbare Arbeitszeitverlängerung, über deren
Bezahlung die Betriebsparteien entscheiden sollten. Was über den Haupteingang »Günstigkeitsprinzip« und
»Tarifautonomie« nicht erreicht werden konnte, oder besser gar nicht ernsthaft über diese Zugänge versucht wurde, soll jetzt über
den Nebeneingang »Arbeitszeitverlängerung« erneut in die Debatte gebracht werden. Zweck ist und bleibt: Lohnkürzung.
Und der politische Hebel dazu ist unverändert, die Eröffnung der
Möglichkeit, dass »die Betriebsparteien« nachträglich über kollektive Abschlüsse zu Lohn- und Arbeitsbedingungen
richten dürfen. Auf diese Weise geht der Wunsch der Unternehmer, die Vorteile von Flächentarifverträgen und betrieblichen
Einzelabschlüssen optimal zu kombinieren, in Erfüllung.
Noch ist offensichtlich nicht entschieden, wie ernsthaft die Kapitalseite dieses Projekt in dieser
Tarifrunde zu Ende führen will. Viel spricht dafür, dass zunächst nur einmal getestet werden sollte, wie schnell und umfassend der
Gewerkschaft ein politisches Thema aufgezwungen werden kann und wie schwach die Gegenwehr ausfällt. Ein Indiz dafür ist, dass der Bezirk
Baden-Württemberg als Musterbezirk auserkoren wurde und mit dem 23. und 27.1. gleich zwei Verhandlungstermine in kurzer Frist anberaumt wurden.
Ein niedriger Abschluss in der Lohnfrage mit langer Laufzeit, der möglicherweise noch mit der Zusage erkauft wurde, die Arbeitszeitfrage noch einmal
aufzuschieben und separat zu verhandeln, liegt bei dieser Terminplanung auf der Hand. Denkbar ist auch, dass wie üblich ein, zwei Wochen Warnstreiks
abgewartet werden, um zu sehen, wie mobilisierungsfähig die Gewerkschaft ist.
Leider ist zu befürchten, dass die IGM-Spitze sich darauf einlassen wird. Ein
Gegenkonzept ist wenigstens nicht in Sicht. Das müsste eine vehemente Mobilisierung nicht nur »gegen Arbeitszeitverlängerung«,
sondern für eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich im Mittelpunkt haben. Gleichzeitig müsste auch von
Gewerkschaftsseite die »politische Frage« in die Betriebe geholt werden. Was in Berlin beschlossen wird, hat nicht nur Auswirkungen auf die
Betriebe und Verwaltungen, sondern kann auch nur dort verhindert werden.
Was die Unternehmer begriffen haben, gilt allemal auch für die Gewerkschaften. Ihnen
stände dafür zudem ein kämpferischer und bereitwilliger Bündnispartner zur Seite: die globalisierungskritische Bewegung, die
Sozialforen und die Erwerbslosenbewegung. Mit ihnen zusammen wäre eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen die gesamte neoliberale Politik
möglich, ohne die das ist die eindeutige Schlussfolgerung aus der jetzigen Tarifrunde selbst die bescheidenste Lohnforderung bald nicht
mehr durchsetzbar ist.
Thies Gleiss
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