SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 13

Öffentlicher Dienst in Großbritannien

Erhöhte Streikbereitschaft?

Die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften des öffentlichen Sektors und der britischen Regierung haben auch in den vergangenen Monaten an Schärfe zugenommen.

Ein wichtiges Beispiel ist die CWU, die Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter, die auch Postausträger umfasst. Die beiden höchsten Führungspositionen sind von anerkannt linken Aktivisten besetzt, somit reflektiert auch die CWU den Ruck nach links und die Ablehnung sozialpartnerschaftlicher Modelle, die sich zunehmend innerhalb der britischen Gewerkschaftsbewegung ausbreitet. Im September startete eine Kampagne um eine Gehaltserhöhung für Postausträger. Insbesondere in London und Umgebung sind Niedriglöhne ein großes Problem, da die Lebenshaltungskosten dort ein vielfaches höher sind als im Rest des Landes.
Die Unternehmerseite reagierte sofort auf die Gehaltsforderungen. Insgesamt fünf Briefe wurden an die Beschäftigten geschickt, in denen die Geschäftsführung mit einer Art Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie versuchte, die Postarbeiter von einem Streik abzuhalten. Auf der einen Seite stellten sich die Unternehmer als vernünftig und nachsichtig dar. Wenn es keinen Streik gäbe, könne sehr leicht eine Lösung gefunden werden. Die Gewerkschaftsführer wurden als uneinsichtig und verbalradikal porträtiert.
Auf der andern Seite waren in den Briefen massive Drohungen zu lesen. Sollte es zum Streik kommen, würden die Unternehmer 30000 Entlassungen und die effektive Zerstörung der Gewerkschaft herbeiführen.
Diese Briefe ereichten die Postarbeiter zeitgleich mit den Dokumenten und Briefwahlbögen für die Urabstimmung zum Streik. Nach Angaben einiger Gewerkschaftsaktivisten in Nordengland fühlte sich die Basis in dieser Frage von der Führung, auch vom linken Generalsekretär, allein gelassen. Die Gewerkschaftsführung reagierte nicht auf die Drohungen der Unternehmerseite und lies die Postarbeiter bei der Entscheidungsfindung allein.
Allein zu Hause sitzend, mit der scheinbaren Wahl zwischen Streik und Massenentlassungen konfrontiert und ohne irgendwelche Unterstützung durch die Gewerkschaftsführung, nahmen viele Gewerkschaftsmitglieder an der Urabstimmung gar nicht teil. Von denen, die abstimmten, stimmte eine knappe Mehrheit (50,9%) gegen einen Streik.
Die Unternehmer triumphierten. Dies sei das Ende kämpferischer Gewerkschaften in Großbritannien, tönte die Financial Times. Für britische Kapitalisten und die Regierung ist es wichtig, einer Gewerkschaft des öffentlichen Sektors eine empfindliche Niederlage beizubringen und dieses öffentlich auszuschlachten.
Hier haben die Gewerkschaften noch einen relativ hohen Organisierungsgrad. Sie wurden auch von der Repressionswelle gegen die Gewerkschaften in den 80er Jahren nicht so stark erfasst wie die Gewerkschaften im privaten Sektor. Im privaten Sektor finden sich einige der schlimmsten Formen ungesicherter Arbeitsverhältnisse.
Dies sowie die fast völlige Deindustrialisierung Großbritanniens und der damit verbundene Mitgliederrückgang macht den Industriegewerkschaften das Leben schwer. An vielen Arbeitsplätzen sind überhaupt keine Gewerkschaftsorganisationen mehr vorhanden, was in einem Land, wo die Menschen einst stolz auf die hohe Dichte gewerkschaftlicher Organisation waren, einiges bedeutet.
Diesen Zustand wollen Unternehmer und Regierung auch im öffentlichen Sektor erreichen. Schwache Gewerkschaften würden zunehmende Privatisierung, Abbau von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen viel einfacher machen. Im Fall der Postarbeiter begann die Arbeitgeberseite nun folgerichtig, massiv Druck auf die Gewerkschaft auszuüben und versuchte die schon in den Drohbriefen angekündigten Entlassungen sowie massive Kürzungen undArbeitsverschlechterungendurchzusetzen.

Spontane Streiks
Als die Postarbeiter erkannten, dass die Unternehmer nun trotz des Beschlusses, nicht in den Streik zu treten, in die Offensive gingen, brachen überall im Land, von Oxford ausgehend, wilde und nicht offizielle Streiks aus. Diese hatte es in dieser Form seit zehn Jahren nicht mehr gegeben. Der Guardian nahm den Streik als Anzeichen für eine weitere massive Verschlechterung der Beziehungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften.
Etwa 25000 Beschäftigte nahmen an der Aktion teil. Millionen von Briefen wurden nicht ausgetragen, die britische Post verlor 10 Millionen Pfund am Tag. Die Unternehmerseite wurde völlig überrascht, musste schnell nachgeben und Verhandlungen mit der Gewerkschaft wieder aufnehmen. Die meisten der Entlassungs- und Kürzungspläne waren schnell wieder vom Tisch. Die Aktion der Postarbeiter hatte effektiv die Existenz des britischen Postsystems gerettet.
Zwar hatte die Unternehmerseite umfangreiche Repressionsmaßnahmen geplant, unter anderem das planmäßige Abfotografieren von Gewerkschaftern sowie detaillierte Aufzeichnungen ihrer Bewegungen zum Zwecke der Einschüchterung als auch, um eine schwarze Liste anzulegen. Allerdings fruchtete dies nicht angesichts der Entschlossenheit der Postler.
Die Aktion der Postarbeiter fand sofort Nachahmer. Die Feuerwehrleute starteten in vielen Orten »Dienst nach Vorschrift« und reagierten nur noch auf Feuernotrufe, nicht mehr auf medizinische und kleinere Vorfälle. Dies war sowohl gegen die Gewerkschaftsführung als auch gegen die Regierung und ihre immer noch bestehenden Kürzungspläne gerichtet.
Nach dem Scheitern des Versuchs der Feuerwehrgewerkschaft im Herbst/ Winter 2002 eine Gehaltserhöhung durchzusetzen und weitreichende Kürzungen im Brandschutz zu verhindern, herrscht nun Unzufriedenheit. Viele Feuerwehrleute sind der Auffassung, die Gewerkschaftsführung sei den Streik viel zu passiv angegangen. Diese sagte damals wiederholt Streikmaßnahmen ab, ohne dies vorher mit der Mitgliedschaft abzusprechen.
Die »wilden« Kampfmaßnahmen der Feuerwehrleute sind ein weiterer Beleg dafür, dass die Stimmung in Großbritannien zunehmend gereizter wird.
Der nächste Schlagabtausch steht schon vor der Tür. Bei der Beamtengewerkschaft PCS stimmten 93% der Mitglieder kürzlich für Kampfmaßnahmen zur Wiederherstellung eines einheitlichen Tarifvertrags und für eine einheitliche Gehaltserhöhung. 96% stimmten für die Durchführung einer Kampagne gegen die Vorschläge der Regierung, das Rentenalter auf 65 Jahre festzusetzen. Die Regierung reagierte bereits gereizt und will ihre Vorstellungen einfach per Gericht durchsetzen. Mit einem heißen Frühling ist wohl zu rechnen.

Christian Bunke

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