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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 15

Irak

Keine Demokratie für Gewerkschaften

Am 6.Dezember 2003 griff um 10.30 Uhr die US-Besatzungsmacht mit Dutzenden Soldaten und zehn Panzerwagen das vorläufige Hauptquartier der Iraqi Federation of Trade Unions im Gebäude der Gewerkschaft Transport und Kommunikation (GUTW) im Kharkh- Distrikt in Bagdad an und verhaftete acht Funktionäre. Gleichzeitig zerstörten die GIs die Einrichtung und übermalten die Symbole und Aufschriften der IFTU und der GUTW. Irgendeine Begründung für den Überfall wurde den Betroffenen, wie die IFTU in ihrem am gleichen Tag veröffentlichten Solidaritätsappell an die weltweite Gewerkschaftsbewegung schrieb, nicht genannt. Der allgemeine Hintergrund des Angriffs ist jedoch durchaus nachvollziehbar.
Die IFTU wurde nach dem Sturz des Regimes auf Initiative von Kadern der 1980 in Opposition zum Saddam-Regime wesentlich von der Kommunistischen Partei des Irak (ICP) geschaffenen Demokratischen Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter (WDTUM) gegründet. Sie steht im Gegensatz zum baathistischen Gewerkschaftsverband GFTU, der bis zum Sturz des Regimes eine »gelbe« Staatsgewerkschaft war, aber auch zur Union der Arbeitslosen im Irak (IUU), die von der teilweise rätekommunistisch orientierten Arbeiterkommunistischen Partei Irak (WPI) ins Leben gerufen wurde.
Beide Parteien und folglich auch ihre Gewerkschaften sind — zumindest theoretisch — gegen die US-Besatzung. Während aber die IFTU der Meinung ist, dass es heute nicht angebracht sei, militante Aktionen und Demonstrationen durchzuführen, da diese von Elementen des alten Regimes für ihren Kampf gegen die Besatzung missbraucht werden könnten, führen die Mitglieder der IUU solche Aktionen durchaus durch, obwohl auch sie den gegenwärtigen bewaffneten Widerstandskampf als Werk der arbeiter- und demokratiefeindlichen Anhänger Saddams und der Islamisten verschiedener Provenienz ebenfalls ablehnen. Streikende Arbeiter und Anhänger der IUU sind entsprechend auch mehrfach physischen Angriffen von Seiten islamistischer Kräfte ausgesetzt gewesen.

Gewerkschafter als Opfer der Besatzungstruppen

Die WPI hat sich nicht an der von der Besatzung installierten Quislingregierung in Bagdad beteiligt, während dort durchaus der Vorsitzende der ICP sitzt, wenngleich nicht als Vertreter seiner Partei, sondern als Schiit. Entsprechend ist die sich weitgehend aus jüngeren Arbeitern rekrutierende und zu einer Mischung von Linksradikalismus und westlichem Liberalismus neigende WPI und ihre Räte- und Gewerkschaftsbewegung auch weniger bereit, sich an die Auflagen der Besatzungsmacht zu halten. Schon vor dem jüngsten Angriff auf die IFTU waren Mitglieder der IUU mehrfach Opfer der Repression durch die Besatzungstruppen geworden.
So wurden während eines 45-tägigen Sit-ins im Juli und August der Vorsitzende der IUU, Qazim Hadi, zusammen mit 54 anderen Mitgliedern der Arbeitslosengewerkschaft verhaftet. Qazim Hadi und Adi Salih, ein weiteres Führungsmitglied der IUU, wurden zuletzt am 23.11.2003 erneut verhaftet, an den Händen gefesselt abgeführt und für fünf Tage ohne Begründung festgehalten.
Die Besatzungsmacht, unwillig und unfähig, die soziale Lage von Millionen von Arbeitern im Irak zu verbessern, bemüht sich einerseits um die Einbindung des schiitischen Klerus und ist andererseits im Begriff, Teile des Apparats der Baathpartei, insbesondere des Geheimdienstes und anderer Repressionsorgane, zu recyclen. Freie und gar militante Gewerkschaften können in dieser Situation weder die von ihr umworbenen reaktionären irakischen Kräfte noch die Besatzungsmacht selbst brauchen.
Die Besatzungsmacht stützt sich deshalb z.B. gerne auf ein 1987 vom Baathregime erlassenes Gesetz, dass den Arbeitern in der Erdölindustrie die gewerkschafliche Organisierung verbietet. Zur Konkretisierung erließ Prokonsul Bremer im Juni eine weitere Verordnung über »verbotene Aktivitäten«. Als solche werden in Absatz B die Organisierung von Streiks oder anderer die Produktion störender Aktivitäten in jeder Art von wirtschaftlich relevanten Betrieben benannt. Diese werden durch Festnahme durch die Besatzungstruppen und die Behandlungen der Verhafteten als Kriegsgefangene geahndet.

Schlimmer als zu Saddams Zeiten

Ein halbes Jahr nach dem Sturz des Saddam-Regimes und dem Versprechen der Okkupanten, den Irak wieder aufzubauen, liegt die Arbeitslosigkeit immer noch bei 70%. Auch aus der von Bremer im Juli angekündigten 30%igen Lohnerhöhung und den Krediten ist noch nichts geworden. Der Durchschnittslohn beträgt 60 Dollar im Monat, exakt der zur Saddam-Zeit bezahlte Betrag.
Der Wert dieses Lohns ist aber inzwischen nicht nur wegen des Umrechnungskurses gefallen. Was heute ebenfalls fehlt, sind die unter dem alten Regime bezahlten Nahrungsmittel und Mietsubventionen. Unter diesen Umständen und auch angesichts der Wiedereinsetzung alter Betriebsleiter, die ihre diktatorischen Anwandlungen aus der Baath-Periode vollständig beibehalten haben, kann es nicht verwundern, dass ungeachtet aller Verbote an allen Ecken Streiks und Demonstrationen stattfinden.
Auf betrieblicher Ebene werden zunehmend Gewerkschaften gegründet. Schon im Juni nahmen in Bagdad rund 400 Gewerkschafter an einem ersten Treffen teil. In der Erdölindustrie tun sich amerikanische Firmen schwer, überhaupt die Anlagen zu betreten. Die südlichen Erdölfelder rund um Basra etwa wurden von den Arbeitern der Southern Oil Company bereits zu »No-go zones for Halliburton« gemacht. Sie verhinderten bisher, dass importierte »willige« Arbeitskräfte und amerikanische Techniker und Manager Betriebsgelände betreten.
Im Oktober traten die Arbeiter einer der größten Ziegelfabriken, die für 1,50 Dollar am Tag 14 Stunden arbeiten sollten, in den Streik. Auf den Hinweis des Eigentümers, er werde sie feuern und durch andere in Massen wartende Arbeiter ersetzen, reagierten sie, indem sie nach Hause gingen, ihre Kalaschnikows holten und bewaffnete Streikposten bildeten. Der Eigentümer gab nach, erhöhte ihren Lohn und erklärte sich bereit, mit der Gewerkschaft, von deren Existenz er bis dahin noch gar nichts gewusst hatte, in Verhandlungen über soziale und Gesundheitszulagen zu verhandeln.
Bei der wachsenden Zahl von Arbeitskämpfen stellen sich die Besatzer unmissverständlich gegen die Arbeitenden und Arbeitslosen. So wurde z.B. in Nassirya die Parteizentrale der WPI von italienischen Besatzungssoldaten einfach besetzt und beschlagnahmt.

Bewaffneter Kampf verhindert Privatisierungspläne

Zu den Hauptsorgen der Gewerkschafter gehören die Privatisierungspläne der Besatzungsmacht. So gab Thomas Foley, der Direktor für die Entwicklung des privaten Sektors bei der CPA, am 8.Oktober eine Liste der ersten zu verkaufenden irakischen Staatsbetriebe bekannt. Auf ihr standen Zement- und Düngemittelfabriken, Phosphat- und Schwefelminen, Arzneimittelfabriken und die irakische Luftfahrtgesellschaft.
Am 19.September veröffentlichte die CPA den Befehl Nr.29, der — mit Ausnahme der Ölindustrie — einen 100%igen ausländischen Besitz an Unternehmen und den Transfer ausländischer Profite aus dem Land gestattet. Eine solche Privatisierung würde die ohnehin exorbitante Arbeitslosigkeit im Land sprunghaft erhöhen.
Der Manager der Ölraffinerie Al Daura, Dathar Al-Kashab, sagte voraus, »im Falle einer Privatisierung muss ich 1500 Arbeiter (von den 3000 bei der Raffinerie Beschäftigten) entlassen. Wenn in Amerika eine Firma Leute entlässt, gibt es eine Arbeitslosenversicherung und sie müssen nicht verhungern. Wenn ich jetzt Beschäftigte entlasse, töte ich sie und ihre Familien.«
Die Aktion vom 6.Dezember stellt mithin einen Warnschuss dar, der in seiner Form der üblichen hemdsärmligen Methode entspricht, für die die herrschende Klasse des US-Imperialismus schließlich auch im Umgang mit ihrer Arbeiterklasse zu Hause berüchtigt ist.
Allerdings scheint unterdes zumindest den Privatisierungsplänen ein Riegel vorgeschoben worden zu sein. Wie die Washington Post am 28.12. schrieb, sehen sich die US-Besatzer inzwischen genötigt, einen Großteil ihrer weitreichenden Pläne zur politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung des Irak, darunter nicht zuletzt die zur umfassenden Privatisierung, fallen zu lassen. Der Grund sind der Zeitung zufolge nicht so sehr die Aktivitäten militanter Gewerkschafter als der von deren politischen Führern so geschmähte eskalierende bewaffnete nationale Befreiungskampf im Land und der deshalb immer dringlichere Wunsch der Besatzer, sich aus der vordersten Frontlinie zurückzuziehen und den Kolonialkrieg zu »irakisieren«.

Anton Holberg

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