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Der 14.Dezember 2003 wird als Schwarzer Tag und Einschnitt in die Geschichte der PT eingehen: Unter dem Vorwurf des
wiederholten »Disziplinbruchs« schloss die Nationale Leitung nach dem Votum der Statutenkommission mit 55 zu 27 Stimmen drei Abgeordnete
des Bundesparlaments Luciana Genro, Babá und Joćo Fontes sowie die Senatorin Heloísa Helena aus der Partei aus. Einige
Mitglieder der Leitung, darunter die Umweltministerin Marina Silva, waren der Sitzung ferngeblieben.
Die Maßnahme geht in ihrer Zielrichtung klar über die vier unmittelbar
Betroffenen hinaus. Sie kann nur als offene Kampfansage gegen den nach wie vor starken linken Flügel der PT verstanden werden, der sich mit dem
Anpassungskurs der Leitungsmehrheit und der Mehrheit der PT-Minister nicht abfinden will.
Die vier ausgeschlossenen Parlamentarier in den bürgerlichen Medien Brasiliens
als »Radikale« tituliert gehören unterschiedlichen Strömungen auf der Parteilinken an. Ihr Widerstand gegen den
Regierungskurs reichte im Falle des Abgeordneten Fontes von der öffentlichen Aufführung eines Videos aus den 80er Jahren, der dokumentiert, dass
Lula und die PT Grundelemente der heutigen »Rentenreform« (vor allem die Besteuerung der meisten Renten sowie ein höheres
Rentenzugangsalter) stets bekämpft hatten, über die Unterstützung von Protestdemonstrationen betroffener Rentner bis hin zum abweichenden
Abstimmungsverhalten in Parlament und Senat.
Die bekannteste Persönlichkeit unter den »Dissidenten«, Heloísa
Helena (41) aus dem kleinen Bundesstaat Alagoas, ist seit 1985 in der Partei. Sie gehört der Strömung Democracia Socialista an, die zahlreiche
Persönlichkeiten der PT hervorgebracht hat, darunter die Bürgermeister von Porto Alegre, Raul Pont und Joćo Verle, den Minister für
Agrarreform, Miguel Rossetto, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden der PT-Fraktion im Bundesparlament, Walter Pinheiro.
Aus ärmlichsten Verhältnissen kommend ihre Mutter war Bedienstete in
reichen Haushalten hat sich die gelernte Medizinisch-technische Assistentin und Universitätsdozentin für Epidemiologie einen Namen im
Kampf gegen die mächtige und korrupte Oligarchie des Nordostens gemacht. 1992 wurde sie zur stellvertretenden Bürgermeisterin von
Macéio gewählt, dann zur Landtagsabgeordneten in Alagoas. 1998 war sie mit knapp 56% die erste gewählte Senatorin von Alagoas und der
PT in diesem Bundesland überhaupt, profilierte und engagierte Sprecherin der PT-Fraktion im Senat, Mitglied der Nationalen Leitung und des
Parteivorstands der PT.
Sie hat sich im Wahljahr 2002 gegen die Allianz der PT-Leitungsmehrheit mit der Liberalen
Partei (PL) gestellt, die in Alagoas besonders korrupt ist, was sie die aussichtsreiche Kandidatur für das Gouverneursamt kostete. Nach dem Sieg Lulas und
der PT wandte sie sich gegen die Unterstützung des früheren Staatspräsidenten José Sarney bei der Wahl zum Senatspräsidenten,
sie war gegen die Nominierung des neoliberalen Cardoso-Parteigängers Meirelles zum Präsidenten der Zentralbank und sie hatte sich einer Art
»Rentenreform« verweigert, wie sie von früheren Regierungen betrieben worden, aber am Widerstand der Linken, des
Gewerkschaftsdachverbands CUT und des Bundesgerichtshofs mehrmals gescheitert war.
Heloísa Helena vertrat engagiert die Positionen, die sie und die PT immer vertreten hat.
Für eine Rentenreform, die der Masse des Volkes etwas bringt ein Gesetz wurde zwar im Rahmen der Verfassungsänderung in Aussicht
gestellt, aber niemand weiß, wann es tatsächlich kommt , und für eine Reform, die nicht in erster Linie unter Zuhilfenahme von
neoliberaler Propaganda gegen »Supereinkommen« zu Besteuerungen und Verschlechterungen für die Masse der heutigen Rentner
führt. Trotz massiven Drucks der Parteispitze war sie nicht bereit, das programmatische Erbe der PT, ja selbst die von der Parteilinken in mancher Hinsicht
kritisierten Ergebnisse des letzten Parteitags vom Dezember 2001 in Recife, auf dem Altar parlamentarischer Bündniskonstellationen, der
Staatsräson und den »praktischen Zwängen« des Regierungshandelns zu opfern.
Der Vorwurf des Disziplinbruchs gegen sie ist umso absurder, als die Kurswende der PT an der
Regierung von keiner Parteitagsentscheidung gestützt wird. Außerdem gab es keine gründliche und abschließende Diskussion in den
Leitungsinstanzen, und die Meinungsverschiedenheiten sind selbst in der Parlamentsfraktion enorm.
Die Abgeordneten der PT wurden bspw. in der Rentenfrage zum konformen
Abstimmungsverhalten aufgefordert, als wichtige Einzelheiten der Gesetzesvorlage noch nicht einmal klar waren. 25 PT-Parlamentsabgeordnete erklärten
schließlich öffentlich, dass sie nur aus Parteidisziplin für die Verfassungsänderung stimmen würden. Acht enthielten sich der
Stimme, was ihnen 60 Tage Suspendierung von der Fraktion eintrug. Auch in den bürgerlichen Bündnisfraktionen gab es abweichendes
Abstimmungsverhalten, wenn auch aus anderen Gründen.
Die gleiche bürokratische Vorgehensweise des »harten Kerns« der PT im
Regierungspalast auf dem Planalto zeigte sich auch beim Streit um den Anbau genmanipulierter Sojapflanzen. Trotz massiver Differenzen in der Regierung
selbst und in der PT-Fraktion wurde ein »Provisorischer Erlass« des Präsidenten heraus gegeben, der den Anbau um ein weiteres Jahr erlaubt.
Dies führte zu wütenden Protesten der fortschrittlichen Bauernverbände, der Umweltschutzbewegung und zum demonstrativen Austritt des
exgrünen Parlamentsabgeordneten Fernando Gabeira.
Zehntausende Parteimitglieder und Sympathisanten aus aller Welt haben sich mit den
Ausgeschlossenen solidarisiert. Unmittelbar nach dem Ausschluss verließen eine Reihe namhafter Intellektueller aus Protest die PT, darunter der Philosoph
Leandro Konder, der Journalist und frühere Parlamentsabgeordnete Milton Temer, der Sozialwissenschaftler Francisco de Oliveira sowie der Philosoph
und scharfsichtige Analytiker Carlos Nelson Coutinho.
Für sie, die die Regierungspolitik und die Entwicklung der PT schon des öfteren
scharf kritisiert haben, war der Ausschluss mit den Worten Coutinhos nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie wollten die
zunehmende Institutionalisierung und »Blairisierung« nicht länger mittragen. Und in der Tat: Es mehren sich die Stimmen auf der
brasilianischen Linken, die von der Regierung Lula in Bezug auf die entscheidenden sozialen und politischen Fragen des Landes nicht mehr viel erwarten, sei es
bei den in 2004 anstehenden Reformen des Steuersystems, des Arbeitsrechts oder der Institutionen.
Aufgrund ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik, insbesondere des Finanzministers Palocci, dem
ironisch vorgeworfen wird, er kritisiere den IWF von rechts, sprechen einige bereits von einer »dritten Amtsperiode« Cardosos ohne Cardoso. Sie
glauben nicht mehr an die offizielle Lesart einer »Übergangsperiode«, sondern an einen Übergang nach Nirgendwo, wenn die Regierung
ihren Kurs beibehält.
Diese hat inzwischen wiederholt klargestellt, dass die Grundlinien der Wirtschafts- und
Finanzpolitik bis zum Ende der Wahlperiode durchgehalten werden sollen. Damit aber wären weitreichende Reformen unmöglich. IWF, Weltbank,
Finanzmärkte und bürgerliche Bündnispartner sehen dies mit Wohlgefallen.
Die linke Strömung von Luciana Genro und Babá, Movimento Esquerda Socialista
(MES), diagnostiziert bereits den »Tod der PT« und ist dabei, die PT kollektiv zu verlassen. Sie propagiert schon seit längerem den Aufbau
einer neuen Partei. Die Strömung DS und weitere Parteilinke halten es dagegen für verfrüht, die PT insgesamt aufzugeben. Sie orientieren
stattdessen auf eine grundlegende Auseinandersetzung innerhalb der bisher weitgehend demokratischen und pluralistischen Linkspartei, in der immer noch
Zehntausende engagierte Menschen aktiv sind und auf ein besseres, sozialistisches Brasilien hoffen. Sie fordern jetzt das Vorziehen des Parteitags um ein Jahr
auf 2004, wo die politische Orientierung der PT, ihr Verhältnis zur Regierung und die undemokratischen Ausschlüsse thematisiert werden sollen.
Doch die Zeit läuft, in dem Maße, wie sich die PT weiter verändert. Die
Apparatfraktion betreibt derzeit eine massive Aufnahmekampagne ohne politische Kriterien. Selbst der als korrupt verschriene Gouverneur von Roraima,
Flamarion Portela, wechselte unlängst zur PT über.
Ein Jahr nach dem Amtsantritt attestieren die jüngsten Meinungsumfragen zwar immer
noch eine hohe Zustimmung für den Präsidenten Lula trotz Konjunkturkrise, erheblich gestiegener Erwerbslosigkeit, gesunkener
Realeinkommen und Reformstaus aufgrund strenger Haushaltsbeschränkungen. Bisher haben er und seine Medienberater das Image des Reformers gegen
Hunger und Armut und des Hoffnungsträgers aufrecht erhalten können.
Noch ist Lula glaubwürdig, wenn er, wie unlängst in Brasília, vor
Tausenden demonstrierenden Landlosen eine beschleunigte Landreform verspricht. Zunehmende Kritik macht sich gegenwärtig noch in erster Linie an der
Regierung selbst fest, der die Verantwortung für die bisher magere Bilanz im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für die Landreform angelastet
wird bzw. für die Fortführung der neoliberalen Projekte der Vorgängerregierung Cardoso.
Erst wenig wird die Außenpolitik kritisiert, die sich von der Vorgängerregierung
deutlich unterscheidet, vor allem im Verhältnis zu den USA und in dem Bestreben, unter den Ländern des Südens Bündnispartner zu
finden.
Der Erwartungsdruck ist angesichts der historisch aufgetürmten wirtschaftlichen,
sozialen und politischen Probleme Brasiliens nach wie vor riesig. Aber noch räumt die Mehrheit der Lohnabhängigen Lula und seiner Regierung
politischen Kredit ein, um die geradezu herkulischen Aufgaben anzupacken.
Der Widerstand gegen die »Rentenreform«, von IWF und Finanzwelt im In- und
Ausland als Härtetest betrachtet, war bedeutend, aber keineswegs so stark, um die Regierung zum Rückzug zu bewegen oder bedeutendere soziale
Korrekturen durchzusetzen. Sie wurde im Verein mit den bürgerlichen Bündnispartnern gegen die Position des Gewerkschaftsbunds
CUT, gegen die Parteilinke in Parlament und Senat und gegen teilweise massive Proteste unter den Rentnern des öffentlichen Dienstes durchgezogen,
unter denen die PT traditionell viele Wähler hat.
2004 dürfte zum Jahr der Entscheidung werden. Nicht nur für den Kurs der PT,
der bedeutendsten Linkspartei Lateinamerikas, sondern auch für das Schicksal Lulas und seiner Regierung.
Antonio Andrioli/Hermann Dierkes
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