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Im Januar vorigen Jahres versammelten sich Tausende von uns aus der ganzen Welt im brasilianischen Porto Alegre und
erklärten: »Eine andere Welt ist möglich.« Ein paar tausend Meilen weiter nördlich dachten in Washington George Bush und
seine Berater das gleiche. Unser Projekt war das Weltsozialforum. Ihr Ziel war es, das voranzubringen, was viele »Das Projekt für das neue
amerikanische Jahrhundert« nennen.
In großen Städten Europas und Amerikas, wo solche Dinge noch vor ein paar
Jahren nur geflüstert worden wären, sprechen Menschen nun offen von den guten Seiten des Imperialismus und von der Notwendigkeit eines starken
Imperiums, um eine aufsässige Welt zu überwachen. Die neuen Missionare wollen Ordnung auf Kosten von Gerechtigkeit. Disziplin auf Kosten von
Würde. Und Überlegenheit um jeden Preis. Gelegentlich werden einige von uns eingeladen, das Problem auf »neutralen Plattformen zu
debattieren«, die von Medienkonzernen gestellt werden. Imperialismus debattieren ist ein bisschen wie das Für und Wider von Vergewaltigung
abzuwägen. Was können wir dazu sagen? Dass wir so was wirklich vermissen?
Jedenfalls ist neuer Imperialismus bereits über uns gekommen. Es ist eine remodellierte,
modernisierte Fassung dessen, was wir einst kannten. Erstmals in der Geschichte hat ein einziges Imperium mit einem Waffenarsenal, das die Welt an einem
Nachmittag auslöschen kann, komplette, unipolare wirtschaftliche und militärische Hegemonie. Es wendet verschiedene Waffen an, um
unterschiedliche Märkte aufzubrechen. Es gibt kein Land auf Gottes Erden, das sich nicht im Fadenkreuz amerikanischer Marschflugkörper und
IWF-Scheckbücher befindet. Argentinien ist das Modell für die Titelfigur des neoliberalen Kapitalismus, der Irak hingegen das schwarze Schaf.
Arme Länder, die geopolitisch von strategischem Wert für das Imperium sind oder
einen »Markt« haben, der privatisiert werden kann, oder um Gottes Willen wertvolle natürliche Ressourcen wie Öl, Gold, Diamanten,
Kobalt, Kohle besitzen, müssen sich wie angeordnet verhalten, oder sie werden zu militärischen Zielen. Jene mit den größten
natürlichen Reichtümern sind am meisten gefährdet. Sollten sie nicht bereitwillig ihre Ressourcen der Konzernmaschinerie ausliefern, werden
zivile Unruhen initiiert oder Kriege vom Zaun gebrochen. In diesem neuen Zeitalter des Imperiums, da nichts mehr so ist wie es scheint, dürfen Manager
interessierter Companies außenpolitische Entscheidungen beeinflussen. […]
Natürlich wird jeder Krieg des Imperiums zum gerechten Krieg erklärt. Das
hängt zum großen Teil von der Rolle der Medienkonzerne ab. Es ist wichtig zu verstehen, dass Medienkonzerne nicht lediglich das neoliberale
Projekt unterstützen. Sie sind das neoliberale Projekt. Das ist keine moralische Position, die sie sich ausgewählt haben, sondern strukturell bedingt.
Es ist wesentlich für die Ökonomien, wie die Massenmedien arbeiten. Viele Nationen haben ähnlich wie Familien entsetzliche
Geheimnisse. Deshalb haben es die Medien oft gar nicht nötig zu lügen. Was betont und was weggelassen wird, zählt. […]
Wir müssen unsere Strategie des Widerstands diskutieren
In dieser Woche werden auf dem Weltsozialforum einige der besten Köpfe der Welt
Ideen darüber austauschen, was um uns herum geschieht. Diese Konversationen schärfen unsere Vision über die Art von Welt, für die
wir kämpfen. Das ist ein vitaler Prozess, der nicht untergraben werden darf.
Dennoch besteht das Risiko, wenn auf Kosten wirklicher Aktion alle unsere Energien auf
diesen Prozess gerichtet werden, dass das WSF, das eine entscheidende Rolle in der Bewegung für globale Gerechtigkeit gespielt hat, zu einem Guthaben
unserer Feinde wird. Wir müssen dringend unsere Strategien des Widerstands diskutieren. Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen und wirklichen
Schaden anrichten. […]
Es war herrlich, als am 15.Februar vorigen Jahres zehn Millionen Menschen auf einer
eindrucksvollen Demonstration öffentlicher Moral, zehn Millionen Menschen auf fünf Kontinenten gegen den Krieg im Irak marschierten. Es war
wunderbar, aber es war nicht genug. Der 15.Februar war ein Wochenende. Niemand musste einen Arbeitstag verpassen. Feiertagsproteste stoppen keine Kriege.
George Bush weiß das. Die Selbstsicherheit, mit dem er die überwältigende öffentliche Meinung missachtete, sollte uns allen eine
Lehre sein. Bush glaubt, der Irak kann okkupiert und kolonisiert werden, wie es mit Afghanistan geschieht, mit Tibet geschieht, mit Tschetschenien geschieht,
wie es in Osttimor der Fall war und in Palästina noch der Fall ist. Er glaubt, dass alles, was er zu tun hat, ist, sich hinzuhocken und zu warten, bis die
über Krisen berichtenden Medien, die dieses Thema bis auf die Knochen ausgeschlachtet haben, es fallenlassen und weiterziehen. Bald wird der Kadaver
von den Bestseller-Charts rutschen, und wir, alle Empörten werden das Interesse daran verlieren. So jedenfalls hofft er.
Diese unsere Bewegung braucht einen großen, globalen Erfolg. Es ist nicht gut genug,
Recht zu haben. Manchmal ist es wichtig, etwas zu gewinnen, wenn auch nur, um unsere Entschlossenheit zu testen. Um etwas zu gewinnen, müssen wir
alle, die sich hier und dort drüben bei Mumbai Resistance versammelt haben in etwas übereinstimmen: dass es nicht eine
überlappende, vorherbestimmte Ideologie braucht, in die wir unsere geschätzten, aufrührerischen argumentativen Selbsts
hineinzwängen. Es bedarf keines bedingungslosen Untertanengehorsams gegenüber der einen oder anderen Form von Widerstand, um alles andere
auzuschließen. Es könnte eine Minimalagenda sein.
Wenn alle von uns wirklich gegen Imperialismus und gegen das Projekt des Neoliberalismus sind, dann lasst uns den Blick auf den Irak werfen. Der Irak ist
die unvermeidliche Kulmination von beidem. Zahlreiche Kriegsgegner haben sich seit der Gefangennahme Saddam Husseins zurückgezogen. Ist die Welt
nicht besser ohne Saddam Hussein? fragen sie ängstlich.
Schauen wir der Sache ein für allemal ins Auge. Der Gefangennahme Saddam Husseins
durch die US-Army zu applaudieren und deshalb im nachhinein ihre Invasion und Okkupation des Irak zu rechtfertigen, ist wie Jack the Ripper anzubeten, weil
er den Boston-Würger ausgeweidet hat.[…]
Wenn wir also gegen den Imperialismus sind, sollten wir dann darin übereinstimmen,
dass wir gegen die US-Okkupation sind und dass wir glauben, dass die USA sich aus dem Irak zurückziehen und dem irakischen Volk Reparationen
für die Kriegsschäden zahlen müssen? Wie beginnen wir mit unserem Widerstand? Beginnen wir mit etwas wirklich Kleinem. Die Frage ist
nicht, den Widerstand im Irak gegen die Besatzung zu unterstützen oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand im Irak gehört ( Sind sie alte
Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten?) Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden.
Unser Widerstand muss mit der Zurückweisung der Legitimität der US-
Okkupation des Irak beginnen. Das bedeutet Handeln, um es dem Imperium unmöglich zu machen, seine Ziele zu erreichen. Es bedeutet, Soldaten sollten
sich weigern zu kämpfen, Reservisten sich weigern, eingezogen zu werden. Arbeiter sollten es ablehnen, Schiffe und Flugzeuge mit Waffen zu beladen. Es
bedeutet auch, dass wir in Ländern wie Indien und Pakistan die Pläne der US-Regierung zum Scheitern bringen müssen, indische und
pakistanische Soldaten zum Saubermachen in den Irak zu schicken.
Ich schlage vor, dass wir auf einer gemeinsamen Abschlusszeremonie von Weltsozialforum
und Mumbai Resistance zwei wichtige Unternehmen auswählen, die von der Zerstörung des Irak profitieren. Wir könnten jedes Projekt, in das
sie involviert sind, erfassen. Wir könnten ihre Büros in jeder Stadt und in jedem Land der Welt lokalisieren. Wir könnten sie jagen, zur
Schließung zwingen. Es ist eine Frage, unsere kollektive Weisheit und Erfahrung aus vergangenen Kämpfen für ein einzelnes Ziel
einzubringen. Es ist eine Frage des Wunsches zu siegen.
Das »Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert« strebt danach,
Ungleichheit fortzusetzen und amerikanische Hegemonie um jeden Preis, selbst wenn er apokalyptisch ist, zu errichten. Das Weltsozialforum verlangt
Gerechtigkeit und Überleben. Aus diesen Gründen müssen wir uns als im Krieg befindlich betrachten.
Aus: junge Welt, 20.1.2004 ).
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