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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 21

Der menschliche Makel

The Human Stain, USA 2003, Regie: Robert Benton. Mit Anthony Hopkins, Nicole Kidman u.a.

»Dunkle Gestalten.« Dieser Begriff wird dem Professor und College-Dekan Coleman Silk zum Verhängnis. Er wird ihm — zu Unrecht — als rassistische Äußerung ausgelegt. Damit sind wir schon mitten im Thema des Films: Verlogenheit und doppelte Moral. In einem Land, wo im 19.Jahrhundert Sklavenhaltung praktiziert wurde und wo bis weit ins 20.Jahrhundert hinein Rassentrennung herrschte, versucht man nunmehr ebenso rigide einen politisch korrekten Antirassismus durchzusetzen — und trifft oft die Falschen. Denn ebenso offensichtlich wie der Vorwurf des Rassismus gegen Silk falsch ist, ist sein eigenes Leben einerseits durch Rassismus und andererseits durch seine eigene große Lebenslüge geprägt. Denn Coleman Silk hat die Tatsache, dass er selber Afroamerikaner ist, sein ganzes Leben lang — begünstigt durch eine helle Haut — verheimlicht.
Das Thema hellhäutiger Schwarzer, der seine Herkunft verleugnet, hört sich abgelutscht an. In den 50er Jahren wurde es bereits thematisiert, so von dem Meister des Melodrams, Douglas Sirk (alias Detlef Sierck), in Imitation of Life (Solange es Menschen gibt). Auch populäre Fernsehserien wie Roots kannten das Problem. Trotzdem ist der Film interessant, weil er ein Porträt der USA der 90er Jahre ist, vor dem 11.September 2001, unter der Regierung des (neo-)liberalen Bill Clinton, der in den 70ern gegen den Vietnamkrieg demonstriert hatte und der, ebenso wie seine deutschen rot-grünen Kollegen aus der gleichen Generation, eine Politik des Sozialabbaus und der Militarisierung der Außenpolitik mit formaler linksliberaler political correctness verband.
Zu Beginn des Films, der 1998 spielt, heißt es: »Die Nation gönnte sich zwischen dem Kalten Krieg gegen den Kommunismus und dem heißen Krieg gegen den Terrorismus eine Atempause, in der sie sich vorwiegend mit Schwanzlutschen beschäftigte« — gemeint ist natürlich die Lewinsky-Affäre. Aber trotz aller liberalen Weltoffenheit, die es in den USA schon immer gab und die unter Clinton scheinbar dominant geworden war, war die Vergangenheit immer noch präsent. So kommt es auch, dass jemand wie Silk seine schwarze Herkunft, die ihm in seiner Jugend sowohl bei seiner sportlichen als auch bei seiner wissenschaftlichen Karriere hinderlich war, bis weit in die »liberalen« 90er Jahre verschwieg. Er ist zugleich Opfer der gesellschaftlichen Verlogenheit als auch Täter, indem er selber lügt.
Nach dem Ende seiner College-Karriere verliebt er sich in eine über 30 Jahre jüngere Frau. Sie ist nicht standesgemäß, denn sie kommt aus der Unterschicht: eine Putzfrau, white trash. Seine liberalen intellektuellen Freunde raten ihm von dieser Beziehung ab, er aber steht öffentlich zu seiner nicht großen aber letzten Liebe. So versucht er am Schluss seines Lebens einmal nicht zu lügen und gegen den Strom zu schwimmen. Das kostet ihm letztlich das Leben. So lauert in der bürgerlichen Gesellschaft hinter dem Liberalismus immer die Reaktion. Wirkliche Toleranz und herrschaftsfreies Leben sind nicht möglich, jeder, der gegen den Strom schwimmt, muss das bezahlen, so ist der Tod von Silk und seiner Geliebten auch ein Symbol für Intoleranz und Herrschaft.
Der Film ist in den Hauptrollen mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman sehr gut besetzt. Beide zeichnen die von ihnen dargestellten Figuren sehr einfühlsam, differenziert und ohne allzu viel Pathos. Letzteres ist gar nicht so einfach, da beiden gewissermaßen das ganze Unglück einer Gesellschaft aufgeladen wird. Silk als Opfer des Rassismus, das zu Unrecht des Rassismus bezichtigt wird, die von Kidman dargestellte Faunia als missbrauchtes Kind und misshandelte Ehefrau, die auch noch den frühen Tod ihrer Kinder verkraften muss. Da sie aber ein Liebespaar darstellen, dass dem Unglück seine Liebe entgegensetzt, erschlägt einen weder das geballte Unglück, noch besteht die Gefahr von kitschigem Liebesgesülze. Alles in allem ein sehr sehenswerter Film mit einer hervorragenden Hauptdarstellerin und einem hervorragenden Hauptdarsteller. Und wer meint, wegen der ersten Szene das Ende des Films schon zu kennen, der irrt sich.

Andreas Bodden

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