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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 21

Ursula Rucker:

Silver or Lead, K7, 2003

»Nur ein Beispiel: so viele Labelbosse raten Frauen, bevor sie sie unter Vertrag nehmen, abzunehmen. Was zur Hölle hat dein Gewicht mit deiner Kunst zu tun? Die Industrie macht Gehirnwäsche. Und lässt sie glauben, dass die Sexschiene völlig OK ist — und ein Zeichen für ihre Unabhängigkeit — und die Frauen übernehmen diese Position — und glauben dran — es ist wie beim Lügen: einmal angefangen, musst du immer weiter machen« (Ursula Rucker).
So bot sich Ursula Rucker, auf ihrem Debut-Album 2001 als role model »supa sista« an, die als selbstbewusste Frau irgendwo zwischen Frida Kahlo und Angela Davis steht. Ob ihr dies gelungen ist, sei einmal dahingestellt. Ihre spoken poetry, unterlegt von einer coolen Musik, hat allerdings eine besondere Qualität, die mal als Erneuerung des Jazz dann wieder als Weiterentwicklung des HipHop gefeiert wird. Mit ihrem zweiten Album Silver or Lead geht sie diesen Weg konsequent weiter.
Den Titel hat sie der mexikanischen Lebensweisheit »Plata o plomo« entliehen. Sie widmet diese Produktion »allen Frauen … Müttern, Lesben, Aktivistinnen, Hausfrauen und denjenigen, die sich selbst als Schlampen bezeichnen«. Es ginge in jeder dieser Situationen darum, sein Leben entweder zu Silber oder zu Blech zu machen.
Ursula Rucker weiß, wovon sie spricht, wenn sie betont, wie sehr sie sich disziplinieren musste, um die Schule in Philadelphia zu schaffen, um dann dort Journalistik und afrikanische Geschichte zu studieren.
»Aber was mich betrifft, so habe ich Alkoholismus und Drogensucht erlebt. Nicht ich selbst, aber Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung, die daran zugrundegegangen sind. Ich habe Respektlosigkeit und Demütigungen erlebt, weil ich schwarz bin, und ich habe das bei anderen Schwarzen gesehen. Ich lebe in Amerika, in Philadelphia, und derjenige verschließt die Augen, der solche Art von Hass und Ungerechtigkeit nicht sieht. Ich sehe, wie schlecht Frauen von ihren Männern behandelt werden, und ich sehe, in welcher Gefahr Kinder schweben, die keine Zukunftsperspektiven haben.«
Weicher als Anne Clarks Produktionen der 80er Jahre sind die Stücke mit verschiedenen Musikerinnen und Musikern eingespielt. Ihre Themen trägt sie dennoch kämpferisch vor. In »What a woman must do« heißt es z.B.: »Sie muss ihre Tränen wegwischen und ihre Stärke zurückgewinnen.«
Dieses Stück in der Begleitung von Jazzanova wirkt am jazzigsten, wendet sich aber eben auch an die HipHop-Szene, der Ursula Rucker immer wieder scharf vorwirft, sich der Musikindustrie verkauft zu haben und der sie sich dennoch verbunden fühlt.
Musikalisch ein wenig aus dem Rahmen fällt »Release«, in der sie die Art und Weise des Vortrags nicht ändert, aber Lil Louie Vega mit afrikanische Rythmen das Spektrum der sonst eher durch verschiedene Clubsounds geprägten Musik anreichert. Dies Stück ist sicherlich dass kommerziellste der Platte und daher wohl auch auf der ersten Single zu finden, die Ursula Rucker überhaupt veröffentlichte.
Die samtene Stimme und die chillige Musik verleitet, besonders dort wo Englisch nicht die Muttersprache ist, die Stücke so am Ohr vorbeilaufen zu lassen. Daher gefällt mir »Q & A« mit »The Society« auch besonders, weil es kantiger daher kommt und die Stimme stärker in den Vordergrund schiebt. Dennoch ist es sicherlich richtig, was in einigen Kritiken zu dieser Platte bereits geschrieben wurde: Diese Platte erschließt sich erst, wenn sie häufiger gespielt wird. Dazu ist sicherlich hilfreich, dass die CD ein Booklet mit allen Texten der CD enthält.
Es wäre natürlich schön, wenn Frauen wie Ursula Rocker als role models erfolgreich wären, doch die Verfügbarkeit von Kunst als heruntergeladene Mp3 oder billig erworbene gebrannte CD hat keine Zeit für die notwendige intensive Auseinandersetzung die Silver or Lead verlangt.
In einer Konsumkultur, in der die Musikproduktionen wie Streichhölzer sind, die kurz aufflammen, um dann im Aschenbecher zu landen, werden Produktionen kaum wahrgenommen, die erst lange betrachtet werden müssen, ehe sie das Geheimnis ihres Feuers preisgeben. Dafür kann man immer wieder neue Flammen in diesem Feuer entdecken.
Ein Stück wie »Return to innocence lost«, erinnert beim ersten Hören eher an Quecksilber denn an Blech oder Silber, da die Musik von Soho es so träge vor sich hinfließen lässt, das es dem Fluss dieses Metalls ähnlich scheint. Doch nach und nach erschließt sich dieser Fluss als ein Bestandteil des Frauenalltags, um den es in diesem Lied eben geht.
Das Berliner Label K7, das auch schon Supa Sista veröffentlicht hat und das an dieser Stelle schon häufig ein dickes Lob bekam, kann auch mit dieser Produktion ein weiteres Schmuckstück in seine Veröffentlichungsreihe einsortieren.

Thomas Schroedter

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