SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 21

Gilbert Achcar (Hrsg.): Gerechtigkeit und Solidarität.

Ernest Mandels Beitrag zum Marxismus, Köln (Neuer ISP Verlag) 2003, 287 S., 18 Euro

Ein Jahr nach dem Tode von Ernest Mandel (1923—1995) veranstalteten Experten ein Kolloquium in Amsterdam, vornehmlich über die politökonomischen Leistungen des bedeutenden Marxisten. Zugleich würdigten sie den revolutionären Humanismus als Hauptbeweggrund seines Schaffens sowie seine Erkenntnis, dass gegen Ausbeutung und Unterdrückung nicht nur um der Produktivkraftentwicklung willen angegangen werden muss, sondern weil sie inhuman und unwürdig sind. Die Kolloquiumsvorträge sind in überarbeiteter Form abgedruckt.
Sechs Autoren aus Paris, Madrid und Lissabon widmen sich der Marxistischen Wirtschaftstheorie von 1962, mit der Mandel, auch die Sowjetwirtschaft analysierend, diese Lehre ins akademische Gedächtnis Westeuropas zurückrief, dem Standardwerk Der Spätkapitalismus von 1972 und der Darstellung Die langen Wellen im Kapitalismus, die 1980 auf Englisch erschien und 1995 erweitert neu aufgelegt wurde.
Letztgenannte gilt längerfristigen Entwicklungen, die wirtschaftliche Krisenzyklen mit umfassen und gleichzeitig historischer Natur sind. Beschrieben wird auch die gegenwärtige, durch gesteigerte Ausbeutung und staatlich exekutierte neoliberale Umverteilung zugunsten des Kapitals gekennzeichnete Welle.
Charles Post (New York) beschäftigt sich mit Mandels Theorie der Bürokratie, besonders der Arbeiterbürokratie. Deren reformistische Formation sorgte durch Unterordnen des Klassenkampfs unter Wahlpolitik und Verhandlungsrituale dafür, dass das Ziel, Sozialismus über stetig wachsenden Arbeitereinfluss zu erreichen, verfehlt wurde. Andererseits blockierte die Bürokratie postkapitalistischer Länder den Weg in eine bessere Gesellschaft. Catherine Samary (Paris) legt die Standpunkte Trotzkis und Mandels zur Übergangsperiode und zu Grundlinien der heutigen osteuropäischen Entwicklung dar, die bisher generell keinen »fertigen« Kapitalismus zustandebrachte.
Im letzten Kapitel empört sich Norman Geras (Manchester) über Mandel, weil dieser die industrielle Massenvernichtung von Juden durch die Nazis aus der Geschichte des Kapitalismus/Imperialismus heraus erklärte, statt sie für unerklärbar zu halten, und darauf hinwies, es habe vor, neben und nach der Shoah Verbrechen ähnlicher Art gegeben. Im Anhang ist die wichtigste Arbeit Mandels zum Thema wiedergegeben. Jeder kann überprüfen, welche Argumentationskette stichhaltig ist.
Ebenfalls im Buchanhang findet sich »Zur Lage und Zukunft des Sozialismus« von 1990. Auf bisher unübertroffene Art stellt Mandel darin die Krise von Sozialdemokratie und Poststalinismus, aber auch die sozialen Teilziele dar, die seinerzeit von den arbeitenden Massen erreicht wurden und heute aufs Äußerste gefährdet sind. Um ihre vollständige Demontage und eine durch erneute imperialistische Weltherrschaft drohende Menschheitskatastrophe zu verhindern, muss mehr reale Demokratie durchgesetzt werden. Die Alternative lautet Mandel zufolge nicht mehr wie zu Rosa Luxemburgs Zeiten »Sozialismus oder Barbarei«, sondern »Sozialismus oder Tod«.

Manfred Behrend

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