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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 22

Linsengericht ohne Linsen

Im Jahr 2003 sollen 10000 lebendige Menschen in die SPD eingetreten sein. Oder war es doch nur eine Kompanie Untoter? Zehntausend, die Geld dafür geben, in der Partei von Schröder und Scholz Mitglied zu sein. Gerhards willige Vollstrecker der Agenda 2010, Olafs junge Garde, Irrläufer auf der Suche nach exotischen Einsteckern für das letzte freie Schlitzchen im Scheck- und Mitgliedskartenfach der Brieftasche oder nur komplett abgedrehte Postmoderne, die endlich mal etwas gegen den Mainstream machen wollten — wie auch immer, es ist ein wunderbares letztes Gerhard-Schröder-Aufgebot.
Generalsekretär Scholz sollte alle im Kreis aufstellen und ein schönes Wahlkampffoto für die vielen Wahlgänge 2004 machen, das wäre eine Freakshow besser als jede Superstarwahl. Diese allerletzten Zehntausend sind der Lohn für die Regierungspolitik Schröders und seiner Kombattanten, doch was ist der Preis?
Der Vorsitzende der SPD und Bundeskanzler hat seine Partei in bester Tradition seiner Vorgänger an die herrschende Klasse verkauft, doch anders als früher gab‘s noch nicht einmal das berühmte Linsengericht dafür. Das Tellerchen blieb leer. Die Spenden und Dankeschöngaben an die Parteikasse nahmen nicht zu, sondern ab. Von einem Eintritt der Manager und Kapitaleigner, oder deren Söhne und Töchter in die SPD, kann selbstverständlich auch keine Rede sein.
Die harte Linie der Entstaatlichung und Deregulierung in Schröders Regierungspolitik hat auch den sonst mit jeder Regierungsübernahme verbundenen Aufschwung an Pöstchen und Posten verhindert. Und dass ein SPD-Parteibuch ein gutes Eintrittsbillet für die Privatwirtschaft ist, glaubt noch nicht einmal Andrea Nahles.
Im Jahr 2003 hat die SPD 43000 Mitglieder verloren, davon 38000 durch Austritt — allein 8500 im Dezember im Zuge der letzten Agenda-2010-Schweinereien. Mit offiziell 660000 Mitgliedern hat die SPD schon fast wieder das historische Tief von Mitte der 50er Jahre erreicht. Der große Aufschwung Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre auf über eine Million Mitglieder ist gänzlich zurückgeschraubt worden.
In Wahrheit ist die Krise noch viel tiefer, weil die Mitgliederbindung an die Partei immer dünner wird und fast kaum noch ein aktives Parteileben in Ortsvereinen und Betriebszellen existiert. Wir haben schon mehrfach vorhergesagt, dass die späteren Geschichtsbücher für Gerhard Schröder nur einen Satz verschwenden werden: Er hat dem deutschen Imperialismus den Weg zu neuem militärischen Weltmachtauftreten freigemacht. Heute müssen wir einräumen, dass Schröder seine Bilanz um 100% verbessert hat: Ihm wird ein zweiter Satz gewidmet sein, dass er als SPD-Vorsitzender den realen Einfluss seiner Partei und die organisierte Mitglieder- und Anhängermacht mehr als halbiert haben wird.
Dazu passt auch die katastrophale Bilanz der Gewerkschaften. Sie haben ihre Mitgliederzahl im letzten Jahrzehnt um ein gutes Drittel verringert. Waren 1991, nach dem künstlichen Mitgliederregen durch die Einverleibung der DDR-Gewerkschaften, noch 11,8 Millionen Menschen im DGB organisiert, so sind es heute mit 7,7 Millionen weniger als vor 1990. »Die Fan-Gemeinde schwindet«, titelt voller Häme das Institut der deutschen Wirtschaft seine Studie über die Entwicklung der organisierten Klassengegenmacht. Die größten Mitgliederverluste haben dabei die Gewerkschaften erlebt, die den Unterstützungskurs für Schröder und die rechte Anpassung am weitesten getrieben haben, wie IG Bau, Transnet, IG BCE und NGG.
Selten hat sich Anpassung und Unterwerfung so eklatant wenig ausgezahlt wie unter Schröders SPD. Im Reihenhaus in Hamburg-Langenhorn wartet der vorletzte SPD-Kanzler auf seine Nachrufe, in Hannover steht ein Reihenhaus leider immer noch die meiste Zeit des Jahres leer.

Thies Gleiss

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