SoZ Sozialistische Zeitung

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Bericht von der Aktionskonferenz am 17./18.Januar in Frankfurt/M

Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag

Die Aktionskonferenz am 17./18.Januar in Frankfurt/M ruft auf zum europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau am 2. und 3.April.

Fast 500 AktivistInnen aus Gewerkschaften, Attac, sozialen Initiativen, Erwerbslosenorganisationen sowie aus Gruppen der Friedens-, Frauen- und Studierendenbewegung haben sich Mitte Januar zu einer Aktionskonferenz getroffen, um den europäischen Aktionstag Anfang April vorzubereiten. Ein solcher Aktionstag war von der Versammlung der sozialen Bewegungen im Anschluss an das Europäische Sozialforum in Paris im vergangenen November vorgeschlagen worden; den konkreten Termin hat der Europäische Gewerkschaftsbund vorgeschlagen. In Deutschland ruft der DGB dazu auf; im Gespräch sind eine Großdemonstration in Berlin am 3.April, etvl. flankiert von weiteren Demonstrationen in Stuttgart und im Ruhrgebiet. Am 2.April sollen dezentrale Aktionen stattfinden; in der Diskussion sind auch betriebliche Aktionen.
Die Demonstration am 1.November hat den nötigen Druck geschaffen, einen europäischen Protesttag durchzusetzen. Die Teilnahme damals umfasste ein breites Spektrum, das bis weit in die Gewerkschaften hineinreichte. Darauf wollten die Organisatoren der Aktionskonferenz aufbauen, um Anfang April einen deutlich massiveren Protest auf die Straße zu bekommen. Das wird nicht einfach werden — weder die Erhöhung der Teilnehmerzahl (einige träumen von 1 Million), noch die Durchsetzung betrieblicher Proteste. Es ist nicht daran zu denken, dass ein Kräfteverhältnis, die in 20 Jahren durchgesetzt wurde, innerhalb weniger Monate gekippt werden kann.
Eine der Voraussetzungen für einen qualitativen Schritt nach vorn ist die Einheit der Bewegung. Diesbezüglich war die Aktionskonferenz ein Schritt nach vorn, aber zugleich auch ein halber Schritt zurück.. Ein Grundgedanke der Konferenz war, dass Gewerkschaften, Erwerbslose und die globalisierungskritische Bewegung gleichberechtigt miteinander ihre Forderungen diskutieren sollten — Bernd Riexinger sprach von einem langfristigen Bündnis, das über den Aktionstag hinaus wirksam sein soll. Entsprechend war der Sonntag vormittag gegliedert: Nach drei Impulsreferaten — von Hans Jürgen Urban (Leiter der Grundsatzbteilung bei der IG Metall), von Anne Allex (für den Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen) und von Sabine Leidig (Attac). Die Referate wurden in Arbeitsgruppen weiterdiskutiert, insbesondere im Hinblick auf die Forderungen, die in der Abschlusserklärung auftauchen sollten.
Hans-Jürgen Urban blieb — vielleicht ist das seiner neuen Funktion geschuldet — weit hinter dem zurück, was er schon mal entwickelt hat. Auf das Problem der Massenerwerbslosigkeit antwortete er mit zwei Sätzen: Die Gewerkschaften halten fest am Ziel der Vollbeschäftigung, und alle Arbeit muss sozialversichert werden. Das ist weder eine Antwort auf die Massenentlassungen, die Konzerne trotz hoher Gewinnmargen vornehmen; noch ist es eine Antwort an die Erwerbslosen, deren Rechte gerade unter die Räder der Hartz-Gesetze geraten. Anne Allex hatte da viel konkretere Vorstellungen. Sie forderte ein ausreichendes, garantiertes Grundeinkommen für alle Erwerbslosen und gemeinsame Aktionen von Gewerkschaften und Erwerbslosen zur Abwehr der Folgen der Hartz-Gesetze. Sie sprach von den schmerzhaften Erfahrungen, die Erwerbslose mit den Gewerkschaften gemacht haben, weil Gewerkschaftsmitglieder mit in der Hartz-Kommission gesessen sind und der DGB deren Ergebnisse lautstark begrüßt hat. Sie betonte aber auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, allerdings unter der Bedingung, dass Transparenz herrscht, dass alle Partner auf gleicher Augenhöhe miteinander umgehen, und dass es eine offene Diskussion um die unterschiedlichen Forderungen gibt.

Diese Diskussion gab es auch in den Arbeitsgruppen. Die Arbeitsgruppe zum Thema Erwerbslosigkeit war stark besucht. Die Diskussion kreiste um das Thema "Umverteilung von Arbeit” und was darunter zu verstehen sei. Vor allem aber um die Forderung nach einem Grundeinkommen. Hier gab es einen bedeutenden Fortschritt: Zwischen Erwerbslosen und Gewerkschaftern konnte Übereinstimmung hergestellt werden über die Forderung nach einem ausreichenden und garantierten Mindesteinkommen, das ein Leben in Würde ermöglicht und nicht von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig gemacht wird. Auch die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn war Konsens.
Damit sind nicht alle Fragen geklärt, die Forderungen sind auch noch lange nicht Gemeingut in den Gewerkschaften. Insbesondere die Forderung nach einem Grundeinkommen für alle Menschen ohne Erwerb stieß bei den Gewerkschaftern auf Widerstand. Zwei Argumentationen stehen sich hier gegenüber: Die eine legt Wert darauf, dass alle Menschen, die nicht in Erwerbsarbeit sind — darunter werden RentnerInnen, Kinder, Erwerbsunfähige, Auszubildende verstanden — die Möglichkeit haben müssen, über ein Grundeinkommen ihre Existenz abzusichern, damit sie leben können und nicht gezwungen werden, Arbeit zu jedem Preis anzunehmen. Die andere Argumentation betont, es sei Erwerbstätigen nicht zu vermitteln, dass auch derjenige, der von seinem Vermögen lebt (und nicht erwerbstätig ist), an einem solchen Grundeinkommen teilhat. Die Debatte muss fortgesetzt werden; u.a. bietet sich dafür der Zukunftskongreß von Ver.di Mitte Mai an, in dessen Rahmen der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen eine Fachtagung zum Thema Mindesteinkommen anbieten will. Die Chance, zwischen Gewerkschaftern und Erwerbslosen zu gemeinsamen Forderungen gegen die Massenerwerbslosigkeit zu kommen, ist so groß wie noch nie.
Die Annäherung kommt auch deutlich in einem Aufruf zum Ausdruck, den Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart initiiert hat und der eine Art Krefelder Appell gegen Sozialabbau darstellt; er soll Grundlage für eine Massenunterschriftensammlung sein.

Streit gab es dann am Ende trotzdem — nicht wegen inhaltlicher Fragen, sondern aus bündnispolitischen Erwägungen. Die Arbeitsgruppe, die die Abschlusserklärung formuliert hatte, hatte sich darauf verständigt, das Ziel, dass es möglichst auch Streiks in Vorbereitung des 3.April geben sollte, so zu formulieren, dass die gewerkschaftlich Verantwortlichen alle Möglichkeiten hätten selber zu entscheiden, wie sie dies vor Ort am besten umsetzen. Betriebliche Aktionen sollten vorbereitet werden; außerdem wurde klargestellt: "Wir halten betriebliche Protestaktionen während der Arbeitszeit für nötig” — eine Formulierung, die dem Wunsch entsprach, die innergewerkschaftliche Debatte über das Kampfmittel politischer Streik fortzusetzen. Attac hatte in der Arbeitsgruppe vehement gegen den Begriff "Streik” argumentiert und dies zur "Konsensfrage” stilisiert; es war dort schon auf Unverständnis bei Gewerkschaftern und Betriebsräten gestoßen, die mit dem Begriff Streik gut leben konnten, solange die Konferenz nicht versuchte, den Gewerkschaften Vorschriften zu machen, was sie zu tun hätten.

Die gewerkschaftliche Arbeitsgruppe hatte sich auf etwas Ähnliches verständigt, und alles wäre in Butter gewesen, wenn MLPD und die Gruppe Neue Einheit den Streit um das Wörtchen Streik nicht allzu gern zum Anlaß genommen hätten, um auf dem Abschlußplenum eine neue Abgrenzungslinie zu zelebrieren und Attac zu denunzieren. In einer Mail vor der Konferenz hatte die Gruppe Neue Einheit Attac in die Schublade derer eingeordnet, die "im Grunde die Hartz-Pläne begünstigen”, sah in der ganzen Veranstaltung nur einen Kniefall vor den Gewerkschaften und hatte deshalb kein Interesse an ihrem Gelingen. Leider ist es der Versammlungsleitung in dieser letzten Phase nicht gelungen, diese Haltung zu blockieren. Inhaltlich war das Anliegen "Arbeitsniederlegung” ja ausreichend beschrieben und man hätte es nicht zulassen dürfen, dass das Reizwort Streik zum Anlass wird, auseinanderzutreiben, was eigentlich zusammen gehört.
Auf das Reizwort stieg Attac jedoch mit großer Leidenschaft ein und kündigte an der Stelle nicht nur die Unterstützung der Abschlusserklärung, es versuchte auch zu verhindern, dass die Erklärung überhaupt verabschiedet wurde. Frei nach der Logik: Eine Aktionskonferenz kann sich nicht anmaßen, eine Erklärung zu verabschieden, wenn Attac ihr nicht den Segen gibt. Da kippte die Stimmung, und Attac hatte auf einmal den Saal gegen sich, einschließlich der Gewerkschafter. Am Ende gab es bei der Abstimmung über den Text, der nun zusätzlich das Wörtchen Streik enthielt, keine Gegenstimme mehr; Attac hatte seine ganze Energie darein gesetzt sich zu isolieren.

Das ist das zweite Mal, dass Attac sich ins Abseits manövriert. Im Vorfeld des 1.November war Attac die Organisation, die sich als letzte dazu durchringen konntem, bei einer "linskradikalen Veranstaltung” mitzumachen. Auf der Aktionskonferenz hatte man den Eindruck, die ganze Konferenz war Attac ein Ärgernis; denn auch sie war deutlich linksradikal dominiert. Die Vertreter von Attac führten sich auf, als suchten sie nur eine Sollbruchstelle, um sich aus einem ihnen unangenehmen Bündnis zu verabschieden; die wurde ihnen zu leicht geliefert.

Ein solches Verhalten wirft aber ein grundsätzlicheres Problem auf. Denn zwischen den Gewerkschaftsvorständen und den Erwerbslosen und Gruppen der radikalen Linken bedarf es einer "Mitte”, die Differenzen überbrückt, Zusammenhalt herstellt und somit ein breites Bündnis schafft, das eine große Masse von Menschen anzusprechen vermag. Attac wäre in der idealen Position für eine solche Vermittlerrolle, und es könnte sich über diesen Weg einen führenden Einfluss sichern. Im Koordinierungskreis versteht man das offenkundig nicht und lehnt es ab, unabhängig von den Gewerkschaftsspitzen eine verantwortliche politische Rolle zu spielen. Inhaltlich mag dies daran liegen, dass Attac dem Irrglauben aufsitzt, die Gewerkschaftsführungen bewegten sich nach links, und das Bündnis, das natürlicherweise dazu auserkoren sei, die "neue außerparlamentarische Opposition” zu führen, sei das zwischen Frank Bsirske, Jürgen Peters und Peter Wahl. Attac irrt auch, wenn es meint, mit seinem rigiden Verhalten, das viele als Erpressung empfinden, irgend jemanden zu beeindrucken.
Für die anderen Linken aber bleibt ein Problem, weil die Mitte fehlt. Es gibt jetzt nur noch die Gewerkschaftslinke, die einen solchen Brückenkopf darstellen kann; sie hat auf der Konferenz eine sehr gute Rolle gespielt. In Attac aber bedarf es einer offenen Debatte und demokratischen Abstimmung über die Bündnispolitik.
Angela Klein
(Der Artikel erscheint in der Februar-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung, SoZ.)

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